6. November 2013:
Verdichtete Trauer
Seinen Tod hatte er lange vorausgeplant, davon bin ich überzeugt – die Perspektive, sich das Leben zu nehmen, war vielleicht sogar ein Antrieb für ihn, möglicherweise fasste er den Suizid als Befreiungsschlag auf. Dieter Leisegang, der Lyriker und Doktor der Philosophie, wurde nur 31 Jahre alt. Vor seinem Freitod im Jahr 1973 setzte er die Polizei schriftlich darüber in Kenntnis, er klärte sie auch darüber auf, dass er die Pistole in Südafrika erworben hatte.
Schon als Jugendlicher entfernte man bei ihm wegen Tuberkulose den Teil eines Lungenflügels, aber er rauchte bis zum Ende weiter wie ein Schlot. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich das Leben von Dieter Leisegang zu verstehen, er hatte auch Erfolg in der freien Wirtschaft, er hatte dazu einen Ruf als Lyriker erworben, und er galt an der Universität als exzellenter Philosoph, von dem man wusste, dass er an einem umfassenden Werk arbeitete… doch wahrscheinlich wurde er zunehmend von einer existenziellen Trauer gefangengenommen, die in seinem Charakter angelegt war und die ihn letztlich in den Tod trieb. Wie passt es zusammen, dass Leisegang sowohl eine philosophische Abhandlung über Franz Kafka als auch über Karl May schrieb? Ich weiß es nicht, aber ich glaube es zu ahnen. Er hielt sich immer aus dem Literaturbetrieb heraus, ein Kauz, ein Exot, doch er hat große Lyrik hinterlassen, die leider viel zu wenig Beachtung findet – Dieter Leisegang ist praktisch schon vergessen.
Einsam und allein
Einsam ist ja noch zu leben
Hier ein Ich und dort die andern
Kann durch die Alleen wandern
Und auf Aussichtstürmen schweben
Einsam ist noch nicht allein
Hat noch Augen, Ohren, Hände
Und das Spiel der Gegenstände:
Und die Trauer, da zu sein
Doch allein ist alles ein
Ist nicht da, nicht dort, nicht eben
Kann nicht nehmen oder geben
Leergelebt und allgemein
von Dieter Leisegang (1942-1973)
Traum
Vor uns lief zu blauer Weite
Eine Linie her aus Hügeln
Drüber hingen wie auf Bügeln
Deutsche Wälder ausgebreitet
Unser Weg zerschnitt das Weben
Raunen, Rufen, diese Gegend
Zweifach auseinanderlegend
Ihrer Gänze Grenzen gebend –
Abends kamen manchmal Wagen
Uns entgegen aus der Ferne
Lauter abgestürzte Sterne
Die nicht mehr nach Hause fanden
Ihre langgezognen Klagen
Rissen Wunden in die Ruhe –
Endlich zogen wir die Schuhe
Aus und kamen auch abhanden
von Dieter Leisegang
Stimmt, viel zu wenig beachtet …
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Ja, guter Mann. Ich besorg mir mal etwas von ihm.
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Durch Dich praktisch eben etwas weniger vergesssen. Danke.
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Heute schreibt jede/r angebliche/r Promi ein nichtssagendes Büchlein zu Liebes-, Lebens-oer Kochkunst, aber so wirklich starke Sachen wie das hier verstauben auf dem Dachboden.
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Seinen Band „Lauter letzte Worte“ bei Suhrkamp habe ich in Wien auf einem Flohmarkt erworben. Ein guter Kauf.
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Leisegang, wie sein Name schon sagt, im Hintergrund und viel zu wenig beachtet.
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