Jetzt wird’s gemütlich!

Vor allem über die Sprache begreift der Mensch die Wirklichkeit, sagt man, die Sprache wäre das geniale Ausdrucksmittel, das nur der Mensch hat, und kein anderes Wesen, auch nicht der liebe Gott, der liebe Gott kommuniziert, wenn überhaupt, nur sehr einseitig und wenn, dann bestimmt nicht auf Deutsch. Aber von wegen geniales Ausdrucksmittel – manchmal widert mich die deutsche Sprache direkt an, zum Beispiel das Wort „gesellig“, ist es nicht widerlich? Natürlich, aber der Ekel lässt sich noch steigern mit dem Begriff „geselliges Beisammensein“, es gibt keinen Zweifel, dass die Deutschen das einzige Volk auf der ganzen Welt sind, die ein geselliges Beisammensein veranstalten können, ja, ich schrieb ausdrücklich „veranstalten“, denn Geselligkeit ist hierzulande in erster Linie ein Vorsatz, der systematisch in die Tat umgesetzt werden muss, etwa durch das Einverleiben von viel Bier unter Gefasel, und erst danach ist geselliges Beisammensein eine Befindlichkeit – spontane Treffen haben für den gemeinen Deutschen immer etwas Befremdliches, sie werden als Happening empfunden, dementsprechend als eine Art von Zusammenrottung, die gewöhnlich in südlichen Ländern grassiert.

Ein Happening kann also kein geselliges Beisammensein sein, allein deshalb nicht, weil dazu meistens ein anderes deutsches Unwort gehört, nämlich „zünftig“. Neulich rief mich ein Bekannter an, ich hatte ihm beim Einpflanzen von kleinen Kirschlorbeer-Büschen geholfen, mehr unfreiwillig, ich konnte meiner nach außen hin gepflegten Hilfsbereitschaft nicht entkommen, sozusagen – hatte ich übrigens schon eingestreut, dass mir Kirschlorbeer verhasst ist? Ich hasse diese plastikartige Hervorbringung der Natur aus tiefstem Herzen, sie ist eine Pest, die das ganze Land durchseucht, der immergrüne deutsche Jägerzaun, nur blickdicht… egal, jedenfalls wollte sich der unweit in einem vollunterkellerten Eckbungalow residierende Bekannte erkenntlich zeigen und lud mich zu einem geselligen Beisammensein ein, auch für das leibliche Wohl sei, so drohte er am Telefon unverhohlen, in jeder Hinsicht gesorgt in Form eines deftigen Abendbrots, bei dem jeder zünftig zulangen könne – Himmel hilf – ich verstummte entsetzt, ich fand keine Worte, der Bekannte bemerkte es.
„Hallo? Bist du noch da?“
„Ja, ich musste nur eben, äh… niesen.“
„Gesundheit! Du kommst doch, oder?“
„Klar, ich freu mich schon – bis dann.“

9 Gedanken zu “Jetzt wird’s gemütlich!”

  1. Es reicht vollkommen, wenn Nachbarn mal bei Abwesenheit eine Postsendung annehmen und sich sonst gefälligst nicht blicken lasseb.

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  2. Anita sagte:

    Auf einige Wörter haben wir eine globale Hoheit: Energiewende, Kindergarten, Geschlechtsverkehr, Waldsterben und leider auch für „geselliges Beisammensein.“

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    • Peter sagte:

      Wie wärs einfach mit: Ne goile Pahdy machen …?

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    • Vor kurzem sah ich im Vorbeifahren an einem Hundetrainigsplatz ein kleines Holzhäuschen mit einem Schild „Rottenwart Nr.9“. So etwas können auch nur Deutsche 🙂

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      • Heute habe ich ein Schreiben mit dem Hinweis „Vorratsbeschluss“ erhalten. Auch feinstes deutsch …

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  3. Rüdiger sagte:

    Während „gemütlich“ ein Adjektiv ist, das etwas beschreibt, was viele andere Sprachen nicht ausdrücken können (am ehesten noch dänisch „hyggelig“), ist „gesellig“ einfach nur schrecklich und „geselliges Beisammensein“ löst bei mir Brechreiz aus.

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  4. Gesellige Beisammenseins hatten in jeder Generation ihre eigenen Speisen.

    Erst gabs Käseigel, dann Zaiziki-Quark, heute so dunkel vormarinierte Nackenkoteletts für den Grill, dass man das ganze Fett nicht mehr sieht.

    Aber so langsam wirds vegan.

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