AM 31. AUGUST 2013 – ANGRIFF AUF SYRIEN?
Vielleicht steht der Angriff auf Syrien unmittelbar bevor, Grund: 1.500 Menschen wurden vergast, höchstwahrscheinlich vom Assad-Regime, da sind sich die Amerikaner sicher. Hoffentlich stimmt das auch. Es geht um Rache für die Giftgas-Toten, es geht um einen Bestrafungseinsatz aus Empörung über den perfiden Anschlag. Die Giftgas-Toten sind der Kriegsgrund, aber sie wurden bereits von ihm vereinnahmt, sie wurden instrumentalisiert und damit anonymisiert – kaum noch jemand denkt an sie, man gedenkt ihrer nicht, man trauert nicht um sie, man legte keine Schweigeminute ein, niemand hielt für einen Moment inne. Wo wurden sie bestattet? – zentral, damit man später wenigstens eine Gedenktafel für sie aufstellen kann? – oder wurden sie in der Hitze schnell verscharrt, irgendwo im Sand, irgendwo unter all dem Schutt, in dem Syrien zu versinken droht? Keiner weiß es.
Es soll eine humanitäre Militäraktion mit chirurgischen Schlägen werden – welch ein Vokabular, das klingt nach Heilung und Menschenfreundlichkeit. Eine Militäraktion kann nicht humanitär sein, sie kann allenfalls humanitäre Ziele verfolgen. Die menschenfreundliche Nato-Mission von März bis August 2011 in Libyen umfasste 7.500 Luftangriffe, bei denen 60.000 Menschen umkamen – damals setzten die USA ein Mandat des Weltsicherheitsrates durch: England und Frankreich stimmten dafür, Russland, China und Deutschland enthielten sich, entscheidend wurden die Ja-Stimmen von nicht ständigen Mitgliedern wie Bosnien-Herzegowina, Gabun, Libanon und so weiter. So merkwürdig geht es immer wieder zu in der guten Gaststube der Amerikaner, die man allgemein als UNO bezeichnet.
Zu dem geplanten Militärschlag gegen Syrien fehlt bisher ein Beschluss des Weltsicherheitsrates – doch es gibt seit acht Jahren einen Ausweg, und der heißt R2P oder RtoP: „Responsibility to Protect“, auf Deutsch „Verantwortung zum Schutz“ bzw. „Schutzverantwortung“. Mit dieser Klausel lassen sich das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen umgehen, sie läuft praktisch darauf hinaus, dass schon die Feststellung eines humanitären Notstandes in einem Land Kriegseinsätze legitimiert. Wenn also die Amerikaner keinen Sicherheitsratsbeschluss erwirken können, dann bleibt ihnen immer noch R2P – die UNO hat sich damit aus global bedeutsamen Entscheidungen über Krieg und Frieden selbst ausgebootet. Diese Weltinstitution wird von Jahr zu Jahr suspekter, eine Steigerung ist schwer vorstellbar.
Chirurgische Schläge gegen das Assad-Regime… aber das Regime soll nicht vernichtet werden. Man könnte es auch gar nicht vernichten ohne eine massive Land-Invasion, die einen sehr langen Krieg bedeuten würde. Die einzige Alternative wäre, den gesamten Großraum von Damaskus mit einem Flächenbombardement in Schutt und Asche zu legen – also keine realistische Option. Hinter dem Begriff „Chirurgische Schläge“ verbirgt sich ein hilfloser Zweckoptimismus, der den begründeten Verdacht übertünchen soll, dass man in jedem Fall danebenschießen wird. Mit Sicherheit treffen dagegen wird man eine Menge unschuldiger Zivilisten. Die Amerikaner und die Europäer wissen, dass es eigentlich keine geeigneten Ziele gibt, um den Giftgas-Anschlag zu sühnen – die Russen wissen das sowieso, sie betätigen sich nicht nur weiterhin als Beschützer von Assad, sondern nun auch noch als Advocatus diaboli des Westens, eine fast tragikomische Rolle.
Allein die Unübersichtlichkeit des Bürgerkrieges in Syrien müsste jede ausländische Macht automatisch von einem Eingreifen abhalten. Denn nicht einmal Assads Truppen sind homogen und agieren in diesem großen Land koordiniert – es gibt das Militär, doch es gibt dazu unabhängigere Bürgerwehren und andere militärische Hilfsverbände unterschiedlicher Couleur, mal von der libanesischen Hisbollah dominiert, mal von international agierenden ausländischen Söldnern, die vom Iran bezahlt und ausgerüstet werden. Auch auf der Gegenseite bietet sich ein verwirrendes Bild – die sogenannten Rebellen sind aufgespalten in größere sunnitische Kampfgruppen, hinter denen Saudi-Arabien steht, und in viel kleinere, von der Al-Qaida durchsetzten Gruppen, dazu kommen die Kurden im Nordosten des Landes, die wie in der Türkei und im Irak ihre eigenen Interessen verfolgen. Die Kurden kämpfen zwar offiziell für Assad, doch ihre Aktivitäten bleiben undurchsichtig. Im syrischen Bürgerkrieg existieren auch keine festen Fronten, schon gar nicht im weiten Land – wenn, dann eher in umkämpften Städten wie Aleppo, Homs oder Daraa. Man kann Syrien nicht wie einen Sack zubinden und einfach darauf einschlagen.
Am 15. August 2001 sagte Daniel Cohn-Bendit: „Ich will, dass wir uns als Europäer politisch und kulturell auch als Gegenmacht zu den USA verstehen.“ – am 30. August 2013 sagte Daniel Cohn-Bendit: „Ich warne davor, sich mit einem billigen Anti-Amerikanismus Stimmen zu holen. Wenn Rot-Grün damit Erfolg haben sollte, wäre das ein Pyrrhus-Sieg.“
Der Fraktionschef der Grünen im Europäischen Parlament demonstriert, wie das eigene Rückgrat allmählich aufweicht, mit der Folge, dass man sich man sich am Ende wie ein Wurm bewegen muss. In einem Interview von gestern ruft Cohn-Bendit praktisch zum Krieg gegen Syrien auf, selbstverständlich im Namen der Menschlichkeit, er will Massenmord mit Massenmord ausradieren – „Ausradieren“ ist ein schlimmes Wort, aber hier passt es. Der selbst angesagte Gutmensch vom Dienst hat sich nach zu vielen Gänsestopflebern und erlesenen Weinen hoffnungslos in seinen Idealen verheddert, er wird zum friedensbewegten Kriegstreiber, und er eifert damit unserem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer nach, der am 7. April 1999 sagte: „Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.“ Auschwitz im Kleinformat kann heute, wie man sieht, überall sein. Wenn sogenannte humanitäre Militäreinsätze zum Regelfall werden, dann wird der Westen im Ergebnis die Welt in Zukunft mit Kriegen überziehen.
Gibt zwischen schweigend zusehen und intervenieren denn einen dritten Weg ???
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Vielleicht mit allen Beteiligten auf Augenhöhe verhandeln …
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Wie romantisch … 😦
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Das war 2013, Und heute? Wir schreiben den 26.9.2016 …
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Zu Syrien fällt einem nur noch der Spruch ein:
Schlimmer geht immer !
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