Kreuzfahrt

AM 1. SEPTEMBER 2013 – Das Kreuz mit der Kreuzfahrt

Ein Geschenk, ein überraschendes, eine Kreuzfahrt in die Ostsee, mit der „Aidablu“ – da passen locker 2.500 Passagiere drauf. Wetter gut, Sonne mit Himmel, erstes Ziel Tallin, früher Reval: zuerst ewiges Gelatsche, dann Gedränge, Rummel, Menschenmassen, eine hoffnungslos überschönte Altstadt, trällernde Kostümbarden, erblondete Maiden, überall Stände, ein Restaurant nach dem anderen. Und Kirchen, natürlich, Kirchen und Museen. Immer alles besichtigen, muss sein, rein in die Kirchen – wie heißt diese gerade noch? – welchem Heiligen ist sie gewidmet? – vergessen, jedenfalls Backstein-Gotik. Programmgemäß das Gefühl von Erhabenheit, sakrale Stille, hier residiert Gott: da die alte Frau auf der harten, schmalen Holzbank, er ist bei ihr, sie sind schon zusammen, da der Altar, da die Leidensgeschichte, frisch restauriert, mein Blick verliert sich in der Höhe, das Kirchenschiff, wie hoch aufragend, Raum, ja, und wie klein wir Menschen doch sind, für zehn Minuten – danach kommt das Militär-Museum, Größe in Kanonen gegossen.

Dann St. Petersburg, Ausflug gebucht, guided Tour im Kleinbus, man freundet sich schnell an mit den Leuten, alle sind wahnsinnig nett, die neuen Kumpanen knipsen das Riesenschiff von außen. In der Eremitage voll die Krise: Hitze, so viele Menschen, so viel Geplapper, so viele Handy-Shots, ununterbrochenes Blitzlicht-Gewitter, so viele Nationalitäten, so viele Japaner, so viele bescheuerte Amis: „Georgous, oh my god!“ – nicht auszuhalten. Vor einem belagerten Tizian melde ich der Anführerin Alina, dass ich abhaue: Sie meint, dass ginge nicht, weil ich mich mit dem Behelfsvisum nicht unbegleitet in der Stadt aufhalten dürfe – ist mir egal, auch ihr Gezeter. Draußen kontrolliert mich prompt ein russischer Polizist, er hat aber Mitleid, wir rauchen eine zusammen, er will wissen, wie es in Deutschland aussieht.

Werbung Aidablu: „Größter Wellnessbereich der Weltmeere“ – oder: Fressen und Saufen in einer Plastikwelt mit Meerblick. Die Gäste, ach die Gäste… besser Anfälle von Arroganz unterdrücken, die Gäste wollen etwas erleben, sie erleben etwas, eine routinierte Aneinanderreihung von Highlights, sie irren mit vorgewärmten Tellern in der Hand um endlose Buffets, sie stochern in Rührei-Bergen, sie begutachten die Fleisch-Scheiben, sie bewundern in Eis oder Melonen geschnitzte Visagen, sie starren fasziniert auf die Opulenz der Genüsse, sie verteidigen verbissen ihren Tisch am Fenster, und sie schauen nicht hinaus.

Wenn die Sonne scheint, ist die Pool-Landschaft belagert, ein Massenauflauf: Drinks, Gedudel, Wasserspiele, bunte Rutschen, TÜV-abgenommen wie die Gäste, zertifizierte Edelstahl-Einstiege, tausend blaue Liegestühle, tausend gelbe Badetücher, tausend farblose Menschen, die unbedingt braun werden wollen, die sich auf rätselhafte Weise erholen, die ihre Vorstellungen von Genuss in ihrer Art von Perfektion inszenieren und exerzieren – Urlaubskäfighaltung ohne Käfig, man fühlt sich wohl unter seinesgleichen, je mehr desto besser, das Wohlfühl-Gewimmel, ein mir völlig unverständliches Phänomen.

Eine Balkonkabine, man gönnt sich ja sonst nichts – die erste Balkonkabine meines Lebens, wahrscheinlich auch die letzte. Während der Reise lerne ich, dass eine Balkonkabine ein wichtiges Statussymbol darstellt, es taucht bei Gesprächen regelmäßig auf, ganz beiläufig. Die Kabinen sind ein beliebtes Gesprächsthema, besonders die südostasiatischen Putzkräfte: Sie sind keine Menschen im engeren Sinne, es sind ständig lächelnde Wesen, sie gehören wie der Fernseher zum Inventar der Kabine, es geht darum, wie sie funktionieren – wie gut, dass der Deutsche an sich tolerant ist, er beschwert sich nur, wenn es unvermeidbar wird, wenn etwa die Handtücher im Bad nicht ordentlich zusammengelegt sind.

Ich will in der Kabine bleiben, mich den Urlaubsfreuden wenigstens zeitweise entziehen, ich will mich auf dem sensationellen Balkon verbarrikadieren und mitten am Tag Rotwein trinken, lesen und gelegentlich auf die deprimierende Hochhaus-Kulisse schielen, mit der sich St. Petersburg den Kreuzfahrt-Touristen empfiehlt – da steht plötzlich der Putzmann vor mir, er muss die Kabine aufräumen. Es gibt nicht viel aufzuräumen, ich versuche, ihn freundlich abzuwimmeln, sogar mit Hilfe einer Zwei-Euro-Münze. Die nimmt er entgegen, doch er lächelt weiter, er hört nicht auf zu lächeln, so hartnäckig, so ausdauernd, dass ich am Ende aufgebe: „Must be cleaned“, sagt er lächelnd. Ich gehe weg, irgendwie schäme ich mich.

Allein trotte ich durch Helsinki, langsam, ziellos, auch erleichtert, weil aller Besichtigungs- und Einkaufsverpflichtungen enthoben. Helsinki ist eine Stadt, eine Stadt am Meer im Norden. Triumph der eigenen Widersprüchlichkeit: Trotzdem lasse ich mich zu einer Stadtrundfahrt überreden, ein Fehler, ich breche die Tour schon nach dritten Station frustriert ab, ich fliehe schon wieder, halsüberkopf – wieder zu viele Menschen, viel zu viele, Gestoße, Beschwerden, keifende Rentner aus Recklinghausen und Idaho, Enge, während der Fahrt im Bus sinnlose Erläuterungen zu Feldherren und Monarchen aus dem Kopfhörer, in sieben Sprachen, für Deutsch Nummer vier drücken.

Was ist das Schönste an der Reise? Die Einfahrt durch die Schären nach Stockholm, der Schärengarten: kleine bewaldete Felsinseln, unzählige, mit rostrot angemalten Häuschen am Ufer, Segelboote mit blaugelben Schwedenfähnchen oben am Rigg, eine heile Welt für sich – morgens, Sonnenaufgang, keine Wolken, das Schiff braucht zwei Stunden, um sich langsam nach Stockholm vorzutasten, und in diesen beiden Stunden lohnt sich die Balkonkabine. Lautsprecheransage des Kapitäns, dass die Villa dahinten zwischen den Bäumen einem Bandmitglied von Abba gehört, einige Gäste klatschen. Stockholm, eine saubere Stadt voller sauberer Menschen, alles aufgeräumt, alles ansehnlich, die Menschen fahren mit dem Fahrrad, tausende, ein Fahrrad-Meer, sie joggen, sie wirken offenherzig, doch auf mich verdächtig, ich weiß nicht warum. Der Tivoli, wieder das Parlament, wieder Museen, same Procedure as Helsinki – nur nicht am nächsten Tag in Kopenhagen.

Kopenhagen, nett, ähnlich, skandinavisch eben – dieses Mal keine Stadtrundfahrt, Ziel: Christiania, die nostalgische Hippie-Enklave, sie lebt noch, sie wird sogar behutsam von ihren Bewohnern gepflegt und gegen die Behörden in Schutz genommen. Die Bruchbuden haben etwas Heimeliges, eine Villa Kunterbunt neben der anderen, davor Küchenkräuter und Cannabis in Blumentöpfen. Stundenlang schlendere ich durch die Freistadt – es ist nicht mehr so wie früher, der Tourismus grassiert auch hier: Räucherkerzen, Voodoo-Krallen, Che-Guevara-Shirts, Mao-Bibeln, Krimskram. Aber auf der Pusher-Road kann man immer noch offen jede Menge Shit kaufen, die Sortiment ist reichhaltig. Manche sitzen in Gruppen auf dem Rasen, machen Yoga oder meditieren – was nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass in Christiania auch schwer gesoffen wird, die Figuren sehen teilweise ziemlich abgerissen aus, mehr wie Penner. Im Café kommt einer ein an und will mir einen Joint verkaufen, warum nicht… mein erster Joint nach wer weiß wievielen Jahren, ich nehme ein paar Züge, und mir wird fast schlecht. Nein, die Zeiten sind vorbei.

Vorletzte Station Danzig – wie in Tallin eine pittoreske, eine kommerzverseuchte Altstadt, innerlich abhaken. Und noch ein Ausflug ins Seebad Sopot, vorgebucht, kein Entkommen: Sheraton-Hotel, große Bühne am Meeresstrand, weiße VIP-Zelte, alles überfüllt, Eleganz, aber Z-Film: zu robuste Ladys mit Designer-Hüten, die sie im Seewind krampfhaft festhalten müssen, Mini-Hunde mit Schleifchen, die quiekend auf die Promenade kacken, Dandys aus Masuren, die ihren Porsche-Schlüssel zu lässig dem viel zu üppig uniformierten Concierge zuwerfen – ein Vanity Fair zum Gruseln, verkehrte Welt in Polen, lachhaft, peinlich, real. Am nächsten Tag endlich zurück in Warnemünde, der heißeste Tag des Jahres, die Fahrt nach Hause im überfüllten Zug ein Drama.

8 Gedanken zu “Kreuzfahrt”

  1. Johnk984 sagte:

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  3. Limonette sagte:

    „Dandys aus Masuren, die ihren Porsche-Schlüssel zu lässig dem viel zu üppig uniformierten Concierge zuwerfen“ – so wird ein Kleingeist eben zum Wichtikus.

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  4. bunnie sagte:

    Eine solche Kreuzfahrt mit sehr ähnlicher Route haben wir auch in diesem Jahr gemacht, noch nicht in Kenntnis und trotz deiner Reisebeschreibung. Ein Hauptproblem dieser Veranstaltungen sind auch die unglablichen Passagiermengen, die dort befördert und animiert werden müssen.

    Viele deiner Eindrücke decken sich mit unseren, mit Ausnahme Danzigs und der sie umgebenden Kaschubei. Richtig ist allerdings auch, dass es in der Altstadt nur touristische Angebote gibt und zwar solche, die wirklich kein Mensch mögen kann.

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    • Wiesenhof, K. sagte:

      AIDA, Cunard, Costa – alle großen Reedereien liefern sich eine Schlacht auf dieser touristisch voll durchgetakteten Strecke mit mehreren 100.000 Passagieren pro Jahr.

      Man kann diesem Baltic-Rummel entgehen, in dem besser kleinere Fähren bucht.

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      • zartestrenge sagte:

        Ja, lieber mit einer Fährer von Travemünde nach Riga oder von Sassnitz nach Klaipeda und an der Kurischen Nehrung Fische essen !

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      • Lilly + Lothar sagte:

        Lieber ganz raus aus der Ostsee und mit der Hurtigrute die grandiöse norwegische Küste hoch. Kleine Schiffe, super Service, kein Gigantismus mit Menschenmassen auf dem Wsser.

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      • bunnie sagte:

        Unterm Strich kann man das ruhig mal eine Woche zusammen (nicht allein) machen, aber länger auch nicht.

        Es gibt Rund-um-die-Welt-Kreuzfahrten von 144 Tagen. So etwas ist doch eine Höchststrafe für Leute mit Zeit, Geld und ohne Job.

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