AM 15. SEPTEMBER 2013 – Hitler und die Hitlerizer
Nach zwei Stunden bin ich immer noch nachdenklich, sogar etwas bedeppert, fürchte ich – dabei ist eigentlich nichts passiert außer einem nichtigen Wortwechsel, der nach Sekunden vorbei war. Als Deutscher kennt man das Schlangestehen vor den Kassen der Supermärkte, ich hatte keinen Einkaufswagen, weil ich keine Einkaufswagen mag, weil ich mit ihnen meistens zu viel einkaufe, sie sind so groß, dass man nicht wagt, nur wenige Dinge hineinzulegen, ein lächerlicher Anblick, öffentlich vorgeführte Konsumverweigerung. Also stand ich mit ein paar Sachen, die ich irgendwie mit meinen Armen vor der Brust eingeklemmt hielt, in der Schlange, als mich schon zum zweiten Mal ein Einkaufswagen von hinten andellte – was nicht weiter schlimm gewesen wäre ohne diesen verdammten niedrigen Metallbügel unten bei den Einkaufswagen, der genau die Achillessehne trifft. Ich hatte mit diesen Anschlägen auf meine Achillessehne schon mehrere unangenehme Erfahrungen gemacht, deshalb drehte ich mich um und sagte mehr ins Blaue hinein:
„Passen Sie doch auf, das tut weh!“
Es waren junge Leute – die Antwort machte mich prompt sprachlos:
„Halt’s Maul, du Nazi-Schwein!“
Seine merkwürdige und offenbar spontane Reaktion schien den Jüngling im Nachhinein zu verunsichern, er schaute sich schnell prüfend um, gleich danach suchte er abrupt das Weite, zusammen mit seinen Freunden und dem Einkaufswagen.
Das sind so Erlebnisse. Mir fällt seit längerem auf, dass bei einem Teil der jungen Leute die Nazis beliebt sind, zumindest das Nazi-Vokabular und entsprechend albern-strammes Gehabe, inklusive des Führergrußes, dem man als Provokation gerade bei solchen Halbwüchsigen begegnet, die dafür gar nicht prädestiniert erscheinen. Dann habe ich meistens ein deprimierendes Gefühl, eine fatale Wahrheit dämmert auf, die in Deutschland ignoriert wird: Hitler ist nicht totzukriegen, er ist sogar auf eine unheimliche Art wieder populär geworden – sein markiger, für meine Ohren ziemlich dämlich klingender Jargon wird gerne imitiert, und diejenigen, die es arglos zu tun pflegen, ernten damit Lacherfolge. In Internet gab es eine inzwischen abgeschaltete Webseite, auf der man einen sogenannten Hitlerizer anklicken konnte, man schrieb einen kurzen Satz in das Feld, und der wurde dann zu „Hitlerisch“ verformt wiedergegeben, eine ausgesprochen kurzweilige Beschäftigung.
Das deutsche Fernsehen produzierte in den vergangenen zehn Jahren viele Dokumentationen, Spielfilme sowie andere Beiträge um das Kriegsende und um den Gröfaz herum, darunter auch Satirisches… nur für den Fall, dass Sie das Wort „Gröfaz“ nicht kennen: Größter Führer aller Zeiten, ich glaube, dieser Begriff wurde in den 68iger Jahren von den Linken erfunden, er könnte aber auch bereits während der Nazi-Zeit aufgekommen sein, irgendjemand wird es ganz genau wissen, egal. Ist aber Satire auf Adolf Hitler überhaupt anwendbar? Darf man Hitler angesichts seiner ungeheuerlichen Gräueltaten im Rückblick satirisch noch bis in die Belanglosigkeit menschlicher Reaktionsmuster vermenschlichen – darf man ihm solche exkulpierenden Zugeständnisse machen, nur um ein Bedürfnis nach flachem Amüsement zu befriedigen? Ja, man darf es in einer meinungsfreien Gesellschaft, selbstverständlich… obwohl in Deutschland die diesbezügliche Meinungsfreiheit Grenzen findet, die allerdings bei der Satire naturgemäß nebulös bleiben und insofern nicht existieren. Die Macher der Hitler-Jokes und Comedy-Sketche sind jüngere Menschen, sie wuchsen nicht mehr im eiskalten Nachhall des deutschen Faschismus auf, sie sind unbedarft, sie haben keine rechte Ahnung von dem, was sie da, zumeist aus Distanzierungs- und Entlastungsreflexen heraus verzapft haben – das entschuldigt sie zwar, kann aber nicht die Beklemmung bei den Älteren wegmachen.
Hitler bleibt den Deutschen erhalten. Ohne mir eine prophetische Ader zuzubilligen, prophezeie ich, dass er auch noch in tausend Jahren im Bewusstsein der Menschen präsent sein wird, so etwa wie Nero, der Rom in Brand gesetzt haben soll, das ist zweitausend Jahre her. So unglaublich es sich auch anhören mag: Adolf Hitler, dieser eher nichtssagende und problembehaftete Mensch aus dem Alpenvorland, diesen kläglichen Hitler erwartet posthum eine Beständigkeit in der historischen Wahrnehmung, die ohne weiteres der von Albert Einstein gleicht, der von Cäsar, der von Hunnenkönig Attila, der von Karl dem Großen oder der von Napoleon Bonaparte, letztere übrigens, bis auf Einstein, alle brutale Feldherrn. Der Schriftsteller und Journalist Timo Vermes hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben, das in diesem Jahr kontrovers rezensiert wurde, es trägt den Titel: „Er ist wieder da“ – und wer ist wohl wieder da? Natürlich Adolf Hitler, er erwacht in dem Roman wie aus einem Tiefschlaf im Berlin des Jahres 2011: Der Führer muss sich in einer für ihn unbegreiflichen Welt zurechtfinden, was immer wieder zu oberflächlich lustigen Kalamitäten führt. Diese Kalamitäten, die Hitler symphatisch erscheinen lassen, sind der Clou des Buches, und dazu der vom Autor raffiniert angelegte Effekt, dass der Leser im Laufe des Geschehens in wachsende Zweifel über seine eigene Belustigung getrieben wird. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das Buch empfehlen kann, es ist zwar unterhaltsam, doch desillusionierend und irgendwie betäubend. Hitler ist wirklich wieder da – war er überhaupt jemals weg?
Inzwischen gibts das auch als Film. Mir ist das zu leichtfüßig.
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Das Buch ist flach und geht mit dem Thema vollkommen unangemessen um, Satire hin, Satire her.
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Geht mir auch so.
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Ich finde Buch und Film unangemessen und geschmacklos. So was ist auch keine Satire.
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Beschissenes Buch, Scheißfilm. Punkt.
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„Hitlerizer“ gibts reichlich, leider.
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Ekelhaftes Buch, ekelhafter Film, auch wenn für Preise vorgeschlagen.
Einige Leute benötigen neben Gewissensbissen vor allem Wissensbissen.
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Lustig, wenn neuerdings von political correctness gepredigt wird und so etwas als lustig empfunden wird.
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