25. April 2014 – Fotoschwemme im Blog
So viel, vielleicht zu viel Zeit habe ich damit verbracht, den Blog mit Fotos auszustatten, dabei war der Blog eigentlich fast nur für Texte gedacht. Fotos, gerade Urlaubsfotos, lenken von den Texten ab, sie erschweren den Zugang zu ihnen, sie führen auf die falsche Spur, sie können einen Text im schlechtesten Fall sogar dominieren. Deshalb dekorieren anspruchsvolle Literaturforen ihre Websites zumeist sparsam und künstlerisch fundiert, das heißt zum Beispiel abstrakt oder herausfordernd naiv, jedenfalls nicht gewöhnlich. Die Fotografie eines Hundes ist keine Kunst, in der Ablichtung einer schönen Landschaft bildet sich auch allzu leicht ein schlichtes Gemüt ab, also ein schrecklicher Verdacht.
Ich habe mich entschlossen, mit möglichen Verdächtigungen solcher Art zu leben, mehr noch, ich lasse sie links liegen, ich verlache sie, denn mein Leben ist, wahrscheinlich mehr als bei anderen Menschen, geprägt von mehr oder weniger sinnlosen Spekulationen über die wahre Beschaffenheit meiner Persönlichkeit – diese Spekulationen lassen sich leider nicht in einem griffigen Ergebnis zusammenfassen, ich bin mir nicht einmal sicher, dass sie überhaupt zu einem Ergebnis geführt haben. Meine Persönlichkeit erscheint mir, schmeichelhaft formuliert, irgendwie uneinheitlich, manchmal komme ich mir vor wie ein menschliches Larifari, wie der Komparse in einem Z-Film, wie der Inhalt des Otto-Versand-Kataloges oder wie eines dieser Blechmännchen, mit denen ich als Kind spielte, man dreht es hinten mit einem großen Schlüssel auf, und dann geht das Männchen stur geradeaus, bis es von der Tischkante fällt… doch das sind abwegige Gedanken, außerdem geht das Leben sowieso weiter, morgen bricht wieder ein neuer Tag an.
In seinen Foto-Dateien herum zu kramen, kann einem Begegnungen der dritten Art bescheren, man erhält frappierende Einblicke in die Gesetzlosigkeit des Gehirns, so dass man sich manchmal unwillkürlich fragt, ob dieses Gehirn wirklich das eigene sein kann. Ich betrachtete Fotos von einem Markt irgendwo, ich erkannte ihn sofort wieder, stimmt, da war ich schon einmal. Kein Wunder, denn ich hatte die Fotos ja selbst gemacht – aber als ich mir dann die Fotos näher anschaute, bemerkte ich erstaunt, dass es ein Fischmarkt war, es gab dort nur Fisch, was mich fast verrückt machte, denn ich hatte Gerüche von Gemüse im Kopf und den Duft von Blumen, und erst als ich mich schlagartig an das markante Gesicht eines Händlers erinnerte, der gerade einen Riesenfisch ausnahm, da begann es auch in meinem Inneren langsam nach Fisch zu riechen. Ich war diesem Mann dankbar, ich hätte ihn umarmen können, er verschaffte mir wieder die Eindrücke von dem Markt, die ich damals hatte, ohne ihn wären sie auf ewig in mir verschüttet gewesen.
Das Gehirn reduziert Erinnerungen auf eine vollkommen unkontrollierte Weise, nicht selten unerhört drastisch und deplaziert, es reduziert bei mir etwa die Erinnerungen an eine weltberühmte Millionen-Metropole zu einem Ausblick aus dem Hotelfenster auf einen seltsamen Tank, der auf dem Dach des gegenüber liegenden Gebäudes stand – ich weiß nicht, was es mit diesem silbrigen Metall-Tank auf sich hatte, ich habe keine Ahnung, wozu er diente oder was er enthielt, es ist total uninteressant… bloß mein Inneres legt mir diese Frage bis heute immer wieder vor, sobald in einem Gespräch oder im Fernsehen auch nur der Name dieser Großstadt auftaucht. Dabei hatte diese Stadt damals vieles zu bieten, die Durchsicht meiner Fotos beweist es: eine Fußgängerzone mit tausend Geschäften, eine restaurierte Altstadt, ein supermodernes Hochhaus-Ambiente und darum herum endlos ausgedehnte Elendsviertel, also eine normale Großstadt in einem sogenannten Schwellenland.
Selbst gemachte Fotos können im Nachhinhein entlarvend werden, man kommt einfach nicht an der Einsicht vorbei, dass man einem verbreiteten, aber bedenklichen Verschönerungswahn verfallen ist, hinsichtlich der Eindrücke und besonders hinsichtlich der Gefühle auf Reisen. Fotos machen auch noch den beschissensten Trip zu einem wunderbaren Urlaub, Fotos heilen fast alle Ferien-Wunden – indem wir die Fotos selektieren und retuschieren, verballhornen wir unkritisch die Wahrhaftigkeit auch unserer noch frischen Erinnerungen, wir werkeln so lange an unserem Rückblick herum, bis wir uns mit ihm befreunden können.
Früher musste man seine Fotos zum Entwickeln weggeben, und wenn man sie schließlich nach zwei Wochen erhielt, hatte man eine Wundertüte in der Hand – heute sind Fotos sozusagen optische Knetmasse, die sich zwar nicht nach Belieben, doch weitgehend nach den eigenen Bedürfnissen formen lässt: dieses oder das wegschneiden, mehr oder weniger Licht, mehr oder weniger Farbe, meistens mehr, und zur Not kann man das Foto immer noch mit allerlei Effekten verfremden. Was dabei herauskommt, sind Hilfsidealisierungen von Unzureichendem, von stets Unzureichendem übrigens, das perfekte Foto ist regelmäßig eine Illusion. Da ich nicht viel von der Fotografie verstehe, im Grunde fast nichts, und da ich aus Bequemlichkeit nur eine ganz kleine Knips-Kamera habe, bin ich darauf angewiesen, mich gnadenlos bei der Verschönerungssoftware zu bedienen – ich greife ohne Rücksicht und so tief es eben geht in die digitalen Farbtöpfe, ich schärfe nach, ich helle auf, ich mache das Bild dunkler, ich entzerre, und wenn ich fertig bin, kommen mir wieder die gewohnten Zweifel: War ich selbst überhaupt jemals an einem Ort, der so aussieht? Egal, sage ich mir dann, in dem Wissen, dass die Erinnerung ohnehin eine trügerische göttliche Gabe ist, an der sich selbst das eigene Gehirn ohne nachzufragen vergreift – warum sollte ich dann nicht auch etwas nachhelfen, besonders wenn schmeichelhafte Retro-Perspektiven dabei entstehen?
Andererseits ist es schwer, sich mit Fotos auf Dauer selbst zu belügen. Irgendwann kommt man unweigerlich dahinter, dass man sich mit seinen Mogel-Fotos eine Scheinwelt zurechtgebastelt hat, bei der es vor allem darum geht, in ihr selbst gut auszusehen, also von konstruierten Phantasien für sich zu profitieren. Zu dieser faden Erkenntnis passt eine merkwürdige Eigenschaft von Fotos: Sie können auf eine gewisse Art aktiv werden, sie können eine spürbare autosuggestive Wirkung entfalten – je öfter ich mir eine Foto-Sammlung zu einer Reise anschaue, desto wahrscheinlicher wird es für mich, dass die Fotos die Reise so wiedergeben wie sie tatsächlich war, ich verdränge einfach die Wahrheit, und damit hat sich’s. Fotos erzeugen also auch eine innere Spannung, sie versetzen mich in eigene Widersprüche, sie flankieren weniger das persönliche Selbstwertgefühl als dass sie es malträtieren. Fotos sind die zeitgemäßen Schimären unserer Wahrnehmung, nur noch gesteigert durch Filme und moderne Computerspiele, bei denen die Menschen praktisch in eine andere Person schlüpfen, weil sie sich selbst mal wieder zu mickrig sind.
Vielleicht hätte ich es doch bei dem einen Foto über dem Blog belassen sollen, ich weiß es nicht – Tatsache ist jedenfalls, dass es vom Schreiben ablenkt, wenn man sich zu sehr mit seinen Fotos beschäftigt, und doch bringen sie unerwartet neue Ideen und Motive auch für Texte hervor. Die besseren Fotos sind meiner Ansicht nach die, die lakonisch beobachten, und nicht so sehr diejenigen Fotos, an denen man sich delektieren soll – ob man es denn kann, ist noch eine andere Frage. Ich mache immerhin darauf aufmerksam, dass sich unter den eingestellten Fotos keine oder kaum Sonnenuntergänge finden, obwohl mich Sonnenuntergänge über alles faszinieren und ich mich nicht an ihnen sattsehen sehen kann, weshalb ich eine Menge solcher Fotos besitze… eigentlich kann man gar nicht genug Sonnenuntergänge fotografieren, sie sind das einzige wirklich Fotografierenswerte.
Die absolute Zufälligkeit, wie Bild und Text in diesem Blog zusammentreffen ist für mich anregend und faszinierend. Demselben Text einmal angesichts einer menschenfernen Eisberge-Landschaft oder das andre Mal unter den Augen einer Porträtfotografie zu begegnen ist sehr interessant.
Außerdem begegnet der Leser des Blogs den Fotos ja ganz unbelastet von (Reise)Erinnerungen…….
Am Ende dieses Fotoschwemme-Texts zeigt sich plötzlich eine überraschende Verwandtschaft Deeplookers mit dem Kleinen Prinzen, der auf der Erde ja vor allem die zahlreichen und bald nacheinander folgenden Sonnenuntergänge auf seinem winzigen Planeten vermisste…. 🙂
Der letzte glühende Sonnenuntergang ereignete sich zur absoluten Unzeit :
auf meiner Fahrt nach Hause durchs ärgste Industrie-und Hafengelände meiner Stadt. Mein automatisch eingestellter vertrauenswürdiger Lieblingssender
brachte ausgerechnet ein Kriminalhörspiel mit Schmerzensschreien eines
Gefolterten, was die Absurdität der Realität ins Unerträgliche steigerte und ich mich zwingen musste, nicht sofort OFF zu drücken, sondern mich zwang, doch einen Moment lang diese Variation weitverbreiteter Abend“unterhaltung“ oder
– noch viel viel viel schlimmer – an aktuellen Kriegsschauplätzen tatsächlich stattfindender Grausamkeiten zur Kenntnis zu nehmen, während jede Wellblechfassade, jeder Container, jede RiesenLKWPlastikplane im Widerschein dieser Abendrotflut erglühte, die immer weiter anhielt und nicht aufhörte,
all diesen Ausbund menschengemachter Hässlichkeit mit roter Herrlichkeit zu beschenken und ich machte mir klar, dass all meine satte Bequemlichkeit, mein bequemes Nachhausefahren auf genau dieser monströsen Hässlichkeit beruht,
die eigentlich von S c h a m r ö t e zu glühen hätte…………
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Wer deine Texte aufruft, der bekommt ein automatisch wechselndes Foto, meistens aus Uruguay, von der Antarktis etc. Sie sind ganz unprätentiös, mit gutem Auge für das Alltagsleben. Sozusagen eine Art „Betthupferl“. Ich mags.
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Also mich lenken die großartigen Fotos gar nicht von den Texten ab. Meistens erzählen sie eine eigene Geschichte.
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Manchmal stehen die Fotos sogar im Kontext, zufällig und nicht programmiert. Ganz unterhaltsam.
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