• 02… September 2013
    • Adlersfeld-Ballestrem
    • Anonym
    • Gahr
    • George
    • Hebbel
    • Lasker-Schüler
    • Laub
    • Moscherosch
    • Novalis
    • Rilke
    • Ringelnatz
    • Schwitters
    • Stüsser-Simpson
    • Zünder
  • 03… Oktober 2013
    • Benn
    • Fürnberg
    • Nazi-Lyriker
    • Seidel
    • zu Knyphausen
  • Blass
  • Erdbeermund
  • Goll
  • Jammes
  • Leisegang
  • Toller
  • Vischer
  • Eindrücke
    • 01 neu – Good bye K.
    • Alles berechenbar
    • Danke, kein Interesse
    • Derrida – Da Da
    • Fotoschwemme im Blog
    • Goldener Saal
    • Hitler
    • Kreuzfahrt
    • Menschenmüll
    • Sackkarren säumen seine Spur – eine Annäherung
    • Syrien
    • Uncle Sam philosophisch
    • Würstchen zu Weihnachten
    • Jetzt wird’s gemütlich!
  • Impressum

Deeplookers Blog

~ Texte für die Schädelbasis

Deeplookers Blog

Kategorien-Archiv: D – AUFSATZ, ESSAY

Mit dem Klima sind wir durch

06 Donnerstag Feb 2014

Posted by deeplooker in Mit dem Klima sind wir durch

≈ 8 Kommentare

Ein Zusammenbruch muss nicht so spektakulär aussehen wie der des World Trade Centers in New York am 11. September 2001, ein Zusammenbruch kann auch schleichend erfolgen. Was waren das für Vorsätze vor 17 Jahren, als das berühmte Kyoto-Protokoll beschlossen wurde, als zum ersten Mal in der Geschichte eine Welt-Solidarität spürbar wurde Weiterlesen →

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …

Schnee in Dubai

29 Mittwoch Jan 2014

Posted by deeplooker in Schnee in Dubai

≈ 6 Kommentare

Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch – aber bitte nicht Katar in die Suppe spucken, Beckenbauer sagt:

„Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen.“ Weiterlesen →

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …

Von der Ferne zu mir

12 Sonntag Jan 2014

Posted by deeplooker in Von der Ferne zu mir

≈ 10 Kommentare

Ich bin nicht ich. Dieser Sachverhalt erscheint nicht weiter tragisch Weiterlesen →

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …

Betretenheit auf Knopfdruck

09 Samstag Nov 2013

Posted by deeplooker in Betretenheit auf Knopfdruck

≈ Ein Kommentar

Deutschland – das besinnungslose Land

Gestern, am 8. November 2013, erschien ein Artikel in SPIEGEL-Online: „Juden in Deutschland fürchten wachsenden Antisemitismus“. Darunter ein Foto von drei Grabsteinen in einer Reihe, auf die flächendeckend große Hakenkreuze gesprayt waren, babyblaue Hakenkreuze auf schwarzen Grabsteinen, kein schöner Anblick. In dem Artikel steht, dass sich die meisten Juden nicht in Deutschland wohlfühlen, immer noch nicht… wie sollten sie es auch angesichts dieses Hasses, der ihnen nach wie vor entgegenschlägt. Weiterlesen →

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …

Gedanken zur teuflischen Gegenwart

27 Sonntag Okt 2013

Posted by deeplooker in Gedanken zur teuflischen Gegenwart

≈ 3 Kommentare

Weiterdenken ist öffentlich out – ein merkwürdiger Konsens, denn viele Menschen werden immer nachdenklicher. Sie machen sich Sorgen, nicht nur über ihre eigene Existenz, sondern zunehmend über Weltprobleme, und sie laufen mit diesen Sorgen ins Leere. Für die Medien sind solche Grübeleien am besten in den privaten Couchecken aufgehoben, wo sie sich nach einer Flasche Rotwein verflüchtigen.

Man hat sich stillschweigend geeinigt, düsterere Aussichten nur in einem abgesteckten Rahmen vorzuführen. Prekäres wird nicht zu Ende transportiert, meist wird es drastisch, aber orientierungslos abgehechelt, nach dem Motto: Nichts kommt cooler als lebensfroher Fatalismus. Ist selbstreglementierte Wahrnehmung selbstverständlich geworden? Oder hängt den Journalisten das alles zum Hals heraus? – Umweltzerstörung, Klimakatastrophe, Überbevölkerung, Ressourcenverschleuderung, Kriegstreiberei, die soziale Deformation der Gesellschaft. Und so weiter: eben die großen Probleme, für die keiner eine Lösung hat.

Fehlentwicklungen wie am Fließband zu deklamieren und sie spektakulär zu bebildern, führt die Menschen noch tiefer in den Trübsinn, wenn man sie dabei ohne Perspektiven alleinlässt. Doch in einem groteskem Sendungsbewusstsein für ihre Art der Realitätsvermittlung dreschen die Medien unablässig auf die Leute ein, ohne Rücksicht darauf, was sie damit anrichten – alles für einen fraglichen Unterhaltungswert unter dem Vorwand der Informationspflicht. Mit Konsequenzen, selbst wenn sie auf der Hand liegen, will niemand etwas zu tun haben. Lieber pflegt man weiter seinen Zynismus, so wird Sprachlosigkeit beredt gemacht und die Aussichtslosigkeit knallbunt überpinselt – es ist ein sich selbst verzehrender Journalismus, der sinnlos neugierig überall auf dem Erdball herumtorkelt wie ein Betrunkener auf der Suche nach der nächsten Kneipe.

Das Weiterdenken ist auch out, wenn es um Geld und Finanzen geht, also um das Kapital – seine globale Bedeutung Kapitalismus zu nennen, wäre schon bedenklich, weil den meisten Leuten dazu rückblickend bloß Sozialismus einfällt. Und der ist gegenwärtig so angesagt wie das Rauchen. Der Sozialismus in den klassischen und bereits realisierten Formen wird sich nicht wiederbeleben lassen. Damit stellt sich eine entscheidende Frage: Ist die kapitalistische Weltgesellschaft zukunftsfähig? Nein. Sie macht uns auf Dauer kaputt. Wir wissen es, unter vorgehaltener Hand raunen wir es uns zu, und wir sehen uns dabei um, obwohl noch kein Anlass dazu besteht. Ruhig bleiben: Die Erde wird nicht untergehen, die Menschheit wird nicht verschwinden, kein Doomsday-Pathos. Aber wahrscheinlich erst nach zwei oder drei weiteren Jahrhunderten wird das Herrschaftssystem von Konzernen im Allmachtswahn endgültig als folgenreiche Verirrung in die Geschichte eingehen.

Der Teufel ist die Seele des Konzerns – das klingt schon leicht meschugge, außerdem wirkt Konzernschelte hoffnungslos abgedroschen. Mit diesem Teufel hat es trotzdem etwas auf sich, unabhängig davon, ob man religiös ist: Die Großunternehmen lenken vielfach das Schicksal der Menschen, selbst wenn die nichts davon ahnen. Sie steuern Bedürfnisse, sie bemächtigen sich der Gefühle, sie legen den Gesichtskreis des Individuums fest. Nebenbei determinieren sie noch die Nichtshaftigkeit seines Todes, mit Gucklöchern für den Ausblick auf Transzendenz und Mysterien, die ebenso lachhaft wie eingängig sind – denn so kann man hartnäckige Gläubigkeitsreflexe gut vermarkten.

Woher kommt aber der Konzern-Teufel? Große Unternehmen handeln nicht menschlich – was nicht heißt, sie handelten automatisch unmoralisch. Als existenzieller Impetus entspricht dem Selbsterhaltungstrieb des Menschen der Betriebszweck des Unternehmens. Wichtigste Voraussetzung für eine prosperierende Volkswirtschaft sind effizient arbeitende Einzelunternehmen. Und das ist auch gut so, denkt man – weil schließlich irgendwo das Geld für unseren Lebensstandard herkommen muss.

Problematisch wird es, wenn viele Firmen sehr groß werden. Dann entsteht eine abgehobene Dimension von Ökonomie, die unkenntlich und so komplex wird, dass sie kaum noch zu kontrollieren ist. Firmen des Zuschnitts von Global Players verdienen so viel, dass sie andere Unternehmen der Reihe nach aufkaufen, es entstehen oligopolistische Märkte, die Menge des bilanziellen Eigenkapitals wächst regelmäßig so stark an, dass es intern nicht mehr eingesetzt werden kann. Dann muss dieses enorme Überschuss-Kapital verselbständigt nach einer rentierlichen Investition suchen.

Diese Verselbständigung ist geradezu katastrophal, ein Werk des Teufels. Sie hat einen Weltfinanzmarkt hervorgebracht, mit einer unvorstellbar großen fiktiven Geldschöpfung, dem volkswirtschaftlich nichts Fassbares zugrundeliegt. Die Entwicklung hat bereits in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eingesetzt, und sie kulminiert. Wie ein hungriger Wolf nach Fleisch, so giert ein ungeheures Kapitalvolumen nach seiner Nahrung, nämlich der Rendite – koste es, was es wolle. Und wie ein hungriger Wolf die Menschen angreift, tut es auch das Kapital. Denn es ist weitgehend in der Hand der Konzerne, deren Seele, wie gesagt, eine teuflische ist. Die ach so großartigen Manager tarnen nur den Teufel, sie sind seine Lakaien, sie dienen ihm – ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt, jedenfalls erhalten sie dafür einen fürstlichen Lohn.

Das anonyme Großkapital ist der Alien im Raumschiff Erde. Wir werden ihn so leicht nicht los. Selbst im Kino hat es nach der dritten Fortsetzung immer noch nicht geklappt. Niemand weiß, was der Alien vorhat – man weiß nur, dass er sich selbst ins Unendliche multiplizieren will und dass dieses Monster die Menschen bedroht. Alien, Teufel – alles idiotisch? Eine Welt ohne Kapital wäre nicht vorstellbar.

Doch inwieweit darf man es sich selbst überlassen? Im Schutz der Konzerne hat sich das Großkapital der politischen Steuerung weitgehend entzogen, indem es das ohnehin kümmerliche Instrumentarium der nationalen Regierungen in seiner Wirkung paralysiert und ganze Entscheidungsebenen korrumpiert. Das System der Sozialen Marktwirtschaft wird aufgerieben, bevor wir es richtig bemerkt haben. Im internationalen Maßstab zeichnen sich überhaupt keine handlungsfähigen Korrektive ab – unter der US-Fuchtel ist und bleibt die UNO eine Schwatzbude, die mit zahlreichen Blauhelm-Einsätzen über ihre faktische Ohmacht hinweg agiert. Auch Internationaler Währungsfonds, FED, OECD und GATT bleiben sehr zweifelhafte Institutionen auf dem Parkett der Weltpolitik.

Das wäre ein sinnvoller Lehrstuhl: nämlich die Auswirkungen des verwilderten Großkapitals auf die Menschheit und deren Zukunft zu analysieren, bloß: Allein der öffentlich formulierte Vorsatz, eine wissenschaftlich seriöse Kapitalwirtschaftslehre auf breiter Basis einzuführen, würde bereits einen Entrüstungssturm auslösen – man würde Zeter und Mordio schreien und in jeder Ecke perfide Kommunisten entdecken. Die Wahrheit wird geschickt verborgen. Wer Antworten sucht, wird also an den Universitäten bestimmt nicht fündig. Da beten nur Scharen von ehrgeizigen Studenten die ewigen Litaneien der Mikro- und Makroökonomie herunter und träumen davon, Trainee zu werden.

Dass man diesen Spezial-Teufel nicht mit dem Beelzebub Sozialismus austreiben kann, ist nur dann eine nützliche Erkenntnis, wenn man es nicht einfach dabei bewenden lässt. Wir stehen vor einem Handlungsvakuum globalen Ausmaßes. Wir haben es mit einem heimtückischen Gegner zu tun, dessen Feindseligkeit viele Menschen nicht wahrhaben wollen. Hier fiele den Medien eine gewaltige Aufgabe zu, sofern sich bei ihnen jemals wieder die Bereitschaft dazu ausbildet, trotz wirtschaftlicher Abhängigkeiten das Weiterdenken öffentlich attraktiv zu machen. Wenn es gelänge, eine stabile öffentliche Streitkultur über die Zukunft zu etablieren, wäre schon einiges gewonnen.

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …

Am Ende der Startbahn

08 Dienstag Okt 2013

Posted by deeplooker in Am Ende der Startbahn

≈ 6 Kommentare

Manchmal frage ich mich, ob ich noch ganz richtig im Kopf bin – bei einer Feier geriet ich zufällig in ein Gespräch über die Fliegerei, vielleicht sechs, sieben Leute unterhielten sich, kompetente und intelligente Leute. Die Gesprächsrunde hatte sich einfach so ergeben, sie war nicht geplant, ich beteiligte mich nur zurückhaltend, doch mit ein paar kritischen Anmerkungen, und schon bald kam ich in eine merkwürdige Bedrängnis: Man schien von meinen Beiträgen nicht sehr angetan zu sein, meine wenigen, eher kurzen Ausführungen wurden übergangen, mich streiften betretene Blicke, ich fühlte mich dort nicht mehr wohl und verabschiedete mich unter dem Vorwand, mir ein Bier zu holen. Schnell wurde mir klar, woran es lag: Die meisten Gäste waren für Fluggesellschaften tätig, und sogar Piloten von Kampfjets sollen da gewesen sein, wie mir die Gastgeberin später mit kaum verhohlenem Stolz berichtete.

Man darf in sogenannten Airliner-Kreise über alles sprechen, auch über „Fuel“ und „Fueling“, also über Kerosin und über das Betanken von Flugzeugen, auch über durchschnittliche Verbräuche kann man sich angeregt unterhalten, besonders wenn sie bei modernen Jets sinken – aber man sollte besser nicht das Problem ansprechen, wie düster es mit dem Flugbenzin in Zukunft aussieht. Da ist Schluss, das will keiner der Airliner hören, und wer das Thema anspricht, der macht sich unbeliebt, warum? Weil das Problem nicht zu lösen ist.

Hätten Sie übrigens gern einen Swimming-Pool? – ich besitze keinen und bin mir nicht einmal sicher, ob ich darüber traurig sein soll, selbst als Wasserratte. Egal, hier schlage ich Ihnen einen Swimming-Pool vor, der für Sie bestimmt richtig wäre, nicht zu klein und nicht zu groß, einen Pool, in dem Sie locker Ihre Bahnen abschwimmen können, um immer kerngesund zu bleiben: Das Becken ist 20 Meter lang, 10 Meter breit und 2 Meter tief, großzügig genug, denke ich. Und nun wieder zum Fliegen: Wenn ein Airbus A-380 von Frankfurt nach Singapur und zurück fliegt, dann braucht er dafür genau diesen Swimming-Pool voll Flugbenzin, das heißt vierhunderttausend Liter oder zweihunderttausend Liter pro Strecke, für mich ein doch recht eindrucksvoller Vergleich. Ich höre auch schon die eiligen Einwände: „Pro Passagier sind das aber nur drei oder vier Liter auf 100 Kilometer!“ – mag sein, doch die 400.000 Liter sind trotzdem unwiederbringlich weg. Diese Tatsache wird regelmäßig unterschlagen bei den ja so sparsamen und modernen Großraum-Jets.

Der Airbus A-380, dieses brillante technische Meisterwerk, kann 325.000 Liter Kerosin tanken, das sind etwa 250.000 Kilogramm, weil Benzin eine wesentlich geringere Dichte als Wasser hat und deshalb viel weniger wiegt. Die Strecke von Frankfurt nach Singapur und zurück absolviert der A-380 ungefähr 12 Mal pro Monat, das wäre der monatliche Mindestumlauf – das Flugzeug verbraucht dafür also 12 mal 400.000 Liter Kerosin, das sind 4,8 Millionen Liter, also rund 5 Millionen Liter: 5.000.000 Liter Benzin pro Monat, nur für einen einzigen Airbus A-380, eigentlich unfassbar… ein einziger A-380 schluckt im Jahr also 60 Millionen Liter Benzin. Nur zum Vergleich: Ein durchschnittliches Einfamilienhaus benötigt ca. 2.000 Liter Heizöl pro Jahr, woraus folgt: Mit dem Benzin, das ein A-380 in einem Jahr verbrennt, könnte man 30.000 Einfamilienhäuser ein Jahr lang heizen und mit warmem Wasser versorgen.

Höre ich schon den nächsten Einwand? – logisch erscheinen würde dieser: „Mit den Flügen werden aber in einem Monat ca. 12.000 Passagiere von Frankfurt nach Singapur und umgekehrt transportiert!“ – stimmt, das habe ich auch nicht vergessen, doch ich frage mich, ob es vertretbar ist, ununterbrochen solche Menschenmassen mehr oder weniger sinnlos durch die Welt zu fliegen. Denn das Erdöl geht, selbst nach menschlichen Zeitmaßstäben, bald zur Neige, deutlicher ausgedrückt: Es ist bald endgültig verbraucht: Schluss, aus, Ende, Finito. Das Erdöl ist weg, und es kommt nie wieder. Auch das äußerst problematische Fracking und die Gewinnung von Erdöl aus Ölschiefersänden können nur wenige Jahrzehnte Aufschub bringen, wenn überhaupt, das erscheint alles sehr zweifelhaft, auch wegen der damit verbundenen massiven Umweltprobleme. Hinter den Kulissen gilt es als sicher, dass bereits zur nächsten Jahrhundertwende kein Massenflugverkehr mehr stattfinden kann – aber das wird natürlich verschwiegen, stattdessen lassen die Airlines Fernsehspots produzieren, in denen ein distinguiertes Ehepaar Rehrücken mit Wildpreiselbeeren in elf Kilometer Höhe verspeist, Silberbesteck und Stoff-Servietten eingeschlossen.

Der nächste Einwand: Es steht ein Ersatz für das Erdöl zur Verfügung, nämlich das unter dem Meeresgrund gebundene Methan-Eis: Nein, kann man vergessen – viel zu gefährlich, man würde die Atmosphäre mit dem Klimakiller Methan überschwemmen, außerdem viel zu aufwendig, technisch nicht zuverlässig umsetzbar und in Massen schwer förderbar, das ist keine realistische Option, sondern Problemverdrängung. Oder neue Erfindungen… es sind leider keine in Sicht. Selbst wenn man einen ähnlich energieträchtigen Stoff entwickeln würde, dann wäre er nur mit sehr großem Energieaufwand herstellbar, also utopisch nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft. Es existiert einfach kein Stoff außer Erdöl, der auf so kleinem Raum so enorm viel Energie vorhält, der außerdem so gut zu transportieren und so gut zu lagern ist – an dieser Tatsache wollen immer alle vorbeireden. Man kann zwar ein Auto mit Gas fahren, doch man kann kein Flugzeug mit Gas fliegen, man kann es nur mit Kerosin fliegen, das während des Fluges für den Flug verbrannt wird – Gas kann nicht in den benötigten Mengen mitgenommen werden, die Volumina werden viel zu groß, vom Gewicht der Tanks ganz zu schweigen, und die damit verbundenen Betriebsgefahren wären erheblich, nicht zu vergleichen mit Kerosin. Und noch der Elektroantrieb, dazu nur eines: Mit ihm kann man nicht abheben, ein Flugzeug mit Netzkabelanschluss ist nicht vorstellbar, das geht nur per Oberleitung beim ICE.

Wütend und verständnislos werden die Menschen im Jahr 2200 der Zeitrechnung auf uns zurückblicken. In den Geschichtsbüchern für die Schule wird stehen, dass ihre verrückten Vorfahren fast das gesamte Erdöl der Erde in nur 200 Jahren verschleudert haben, zwischen 1900 und 2100 – verschleudert für Kriege, für Fahren, Fliegen, Heizen, für Verpackungsfolien, für Milliarden von bunten Plastikschüsseln und Kunststoff-Stühlen, für ganze Gebirge von Plastik-Müll, für schwimmende Müll-Inseln auf den Meeren mit der Ausdehung eines mittleren deutschen Bundeslandes. Im Jahr 2200 wird Erdöl ein teures Gut geworden sein, nicht mehr frei verkäuflich, sondern staatlich kontingentiert und nur noch für klar definierte Zwecke einsetzbar: Das ist die Zukunft, in die wir heute die nachfolgenden Generationen unerbittlich hineinzwingen. So wird es wahrscheinlich kommen – vielleicht sollte man angesichts dieser Aussichten versuchen, wenigsten einige nennenswerte Erdölvorkommen für die Zukunft aufzubewahren, das wäre Zukunftsvorsorge.

Zum Clan des saudischen Königs gehört Prinz Al-Waleed bin Talal bin Abdul Aziz al-Saud – er kann bei seinem Vermögen von 20 Milliarden Dollar einigermaßen mit der Verwandtschaft mithalten und hat sich als Privatmaschine einen A-380 gegönnt, denn man gönnt sich ja sonst nichts. 215 Millionen Euro hat der Prinz für den A-380 hingeblättert, allerdings kam noch einiges an Kosten hinzu, 120 Millionen Euro für die Innenausstattung, und man munkelt, dass weitere 40 Millionen Euro für was draufgegangen sind? Für die Echtgold-Lackierung des Flugzeugs. 40 Millionen sind nicht gerade wenig, andererseits ist ein goldenes Flugzeug ja auch ein richtiger Hingucker. Luxus gibt es im Airbus des arabischen Prinzen natürlich in jeder erdenklichen Form: Spezial-Whirlpool für die Lüfte, Sauna, Gym-Studio und auf dem Oberdeck eine ganze Flucht von Schlafzimmern, deren genaue Anzahl jedoch streng geheimgehalten wird, verständlich… aber im Ernst, ist eine solche verkehrte Welt in diesen schwierigen Zeiten noch akzeptabel? Darf man sich der naiven Faszination hingeben, die dieser Protz-Jet vielleicht auf viele Menschen ausübt? Ich glaube nicht, es wäre ein Eingeständnis der Ohnmacht.

„Flightpath 2050 – Europe’s Vision for Aviation“ oder „Flugweg 2050 – Europas Vision für die Luftfahrt“… das ist kein schlechter Witz, sondern es handelt sich um das Zukunftsprogramm der Europäischen Kommission für das Fliegen. In dem Programm steht unter anderem, dass in 40 Jahren fünf Mal so viele Menschen wie heute mit dem Flugzeug fliegen werden – bloß über den Kerosinverbrauch bei diesem Gruselszenario findet sich in dem Programm nur sehr wenig Konkretes: Man will irgendwie leichter werden und Treibstoff sparen, das war’s. Dafür sollen aber die Abfertigungsprozesse optimiert werden, man schwärmt vom „Total Airport Management“ – tolle Sache das. Der verkehrsreichste Flughafen der Welt ist zur Zeit der Hartsfield-Jackson-Flughafen in Atlanta, USA, mit 2.600 Starts und Landungen pro Tag, jährliches Passagieraufkommen 90 Millionen Menschen, auf dem Flughafen London Heathrow sind es 58 Millionen Fluggäste. In Deutschland gibt es jährlich etwa 3 Millionen Flüge, weltweit etwa 31 Millionen Flüge im Jahr – und vor diesem Hintergrund jubiliert die Europäische Kommission geradezu, dass im Jahr 2050 fünf Mal so viel Menschen wie heute fliegen sollen… ich habe mich am Anfang dieses kleinen Textes gefragt, ob ich noch ganz richtig im Kopf bin, ich hoffe es weiterhin, eines weiß ich jedenfalls genau: Viele wichtige und sich wichtig vorkommende Menschen sind bestimmt nicht ganz richtig im Kopf – oder sie verleugnen sich selbst bis ins Groteske.

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …

Her mit der Zukunft

27 Freitag Sept 2013

Posted by deeplooker in Her mit der Zukunft

≈ 3 Kommentare

Was uns so umtreibt – der Gelderwerb, die Familie, die Gesundheit, der soziale Status, das Auto und wohin die Reise gehen soll. Aber wohin soll unsere Reise gehen? – unsere gemeinsame Reise, über Mallorca, Manhattan und die Malediven hinaus. Wohin gehen wir zusammen?  Das wissen wir nicht, die Zukunft wird es zeigen… natürlich wird sie es zeigen, welch ein dummer Satz, überflüssig. Oder auch nicht, denn er vermittelt uns eine gewisse Autorität der Zukunft, eine Kompetenz in dem Sinne, dass sie uns schon zeigen wird, wo es langgeht. Bloß – die Zukunft ist nicht weise, sie ist teilnahmslos, sie bildet die eine von den zwei Achsen unseres existenziellen Koordinatensystems, dessen Nullpunkt sich mit dem Lebensablauf unaufhaltsam weiter nach rechts verschiebt. Wir bleiben immer auf dem Nullpunkt Gegenwart, deshalb ist die Gegenwart übermächtig.

Das was im allgemeinen auf uns zukommen wird, das interessiert uns weniger, im Gegensatz zu dem, was konkret mit uns passieren wird, vor allem beschäftigt uns, wann wir sterben. Mit dem Tod ist unsere Zukunft vorbei – dass man diese Aussage bezweifeln kann, soll hier nicht thematisiert werden. Es gibt zwei Arten von Zukunft, die persönliche und die kollektive. Die kollektive Zukunft bleibt bisher ein Schattenphänomen, obwohl man ihr mit der Futurologie eine eigene Wissenschaft zugewiesen hat. Doch auch diese Wissenschaft führt ein Schattendasein, sie hat keinen guten Ruf, weil die Zukunft unbeliebt ist und weil das Metier der Futurologie notwendigerweise Szenarien und Spekulationen sind, mehr oder weniger fundierte. Es gibt nur zwei von den Staaten getragene internationale Organisationen, die unsere Zukunft untersuchen – das auch nur versteckt in ihren Unterabteilungen: die UN, die Vereinten Nationen, und die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Diese beiden Institutionen sollen also die Auseinandersetzung mit der Zukunft global abdecken… ist das eine überzeugende Perspektive? Nein, so wird nur mühsam überdeckt, dass man sich der Auseinandersetzung verweigert.

Aber wenigstens stellen die Regierungen detaillierte Pläne für die nähere Zukunft auf, zum Beispiel hinsichtlich der Alterspyramide und ihrer finanziellen Folgen – die Mathematiker betreiben dort hauptsächlich Rentenrechnung, was nicht bedeutet, dass sie nur Renten berechnen würden, Rentenrechnung ist ein eigener Zweig der Mathematik, den man auch als limitierte Zukunftsrechnung bezeichnen könnte, man kann über komplizierte Folgen und Reihen alle möglichen Entwicklungen hochrechnen, solange ihnen in der Masse einigermaßen kontinuierliche Abläufe zugrunde liegen, etwa die Sterberate in der Bevölkerung oder die Zunahme des Autoverkehrs. Solche Berechnungen sind jedoch trügerisch, nicht nur weil die Annahmen mit immer größeren Unsicherheitsfaktoren behaftet sind je weiter sie zeitlich nach vorne reichen – nein, viel bedenklicher ist das verbreitete Bewusstsein, dass letzten Endes fast alles berechenbar wäre. Die vermeintliche Berechenbarkeit der meisten Gesellschaftsprozesse erweist sich als Erkenntnisfalle. Dieses Bewusstsein wiegt die Menschen in einer gefährlichen Sicherheit, nicht nur weil auf diese Weise Gefährdungspotentiale suggestiv verharmlost werden, sondern auch weil die nicht berechenbaren vernachlässigt und sogar ausgeblendet werden, wie die gefühlten Lebensumstände der Menschen oder der kulturelle Status einer Gesellschaft.

Mit der kollektiven Zukunft ist das so eine Sache. Die Zukunft reicht nicht weit, die Zukunft endet in 50 Jahren. Danach kommt nur Nebel, alles was danach kommt, das hat keinen Stellenwert mehr. Die Menschheit muss dringend zum Augenarzt, denn ihre Kurzsichtigkeit droht in Blindheit überzugehen, man erkennt es daran, wie orientierungslos sie schon heute auf ihrem kleinen Globus herumwuselt. Es geht mir hier nicht um die Umweltzerstörung, nicht um den Klimawandel, nicht um den wachsenden Bevölkerungsdruck und auch nicht um den Turbo-Kapitalismus – es geht mir um grundlegende Veränderungen in unserer kollektiven Zukunftswahrnehmung – ich glaube, sie allein können das von vielen Menschen herbeigesehnte Sesam-öffne-dich bewirken, das uns endlich in den Stand versetzt, die oben aufgezählten Probleme in den Griff zu bekommen. Wir brauchen nichts dringender als eine Zukunftskultur. In eine solche Kultur einzutreten, wäre mehr als irgendein gesellschaftspolitischer Paradigmenwechsel, es wäre eine fundamentale Neuausrichtung der Menschheit. Ich bin mir sicher, dass sie sich auch verwirklichen lässt, wenn man es nur will.

Was lehrt uns der Blick in die Geschichte? Er offenbart für mich im Wesentlichen die deprimierende Fehlerhaftigkeit unserer bisherigen gemeinsamen Existenz, ein abscheulicher Anblick – aus der Geschichte können wir vor allem lernen, dass wir sie nun hinter uns lassen müssen, wir müssen unseren Blick von ihr abwenden und entschlossen nach vorne schauen. Es reicht zu wissen, wie unendlich grausam und wie menschenfeindlich die geschriebene Geschichte ist. Die Historiker werden dann zu einer Art von Geschichtssoziologen, die sich mit wenig erbaulichen Vorstufen einer menschengerechten Zivilisation beschäftigen.

Alles geht immer nur in eine Richtung: nach vorn. Was haben wir dafür parat? Nicht mehr als vage Szenarios, die ökonomisch orientierte Schwerpunkte setzen und die höchstens ein paar Jahrzehnte vorausschauen, mit zumeist fraglichen, weil interessegeleiteten Ergebnissen. Die Wissenschaftler rechnen und rechnen und rechnen… doch mit Hochleistungscomputern kann man nicht die Zukunft gewinnen, es sind Krücken auf einem ungewissen Weg ins Nirgendwo – für die Zukunft brauchen wir einen roten Faden, neue Ideen und andere Konzepte des Zusammenlebens, wir müssen die Zukunft ins Auge fassen, um ihr einen Sinn zu geben. Die Zukunft gewinnen kann allein der visionäre Mensch. Er muss sich von seinem pseudo-existenziellen Ballast befreien und grundlegend umdenken.

Der 83-jährige Amerikaner Immanuel Wallerstein ist ein bedeutender Futurologe. Wallerstein hat über lange Zeit eine Weltsystemanalyse entwickelt, die unter anderem den Niedergang der amerikanischen Welthegenomie seit 1990 konstatiert – ob sich dieser Niedergang tatsächlich vollzieht, erscheint ein Vierteljahrhundert danach eher fraglich, darüber kann man streiten, und was danach kommt, das weiß Wallerstein auch nicht, auch er macht mit der Zukunft in 50 Jahren Schluss. Und dann gibt es da noch die berühmten Kondratieff-Zyklen, wir befinden uns angeblich im sechsten Zyklus, in dem die Gesundheit eine große Rolle spielt… aber was soll man ernsthaft damit anfangen? Was soll man, auch ohne jeden Defätismus, anfangen mit der „World Future Society“ und mit der „World Future Studies Federation?“ – beide sind Privatorganisationen, bei denen man gegen Gebühr Mitglied werden kann, und wenn man einige der von ihnen angebotenen Beiträge liest, dann fragt man sich irgendwann unwillkürlich, wo eigentlich die Zukunft bleibt. So geht es nicht. Die Staaten, die Regierungen, die Politiker und die großen Entscheider müssen sich der Zukunft stellen, die NGOs und die Wissenschaften können eine grundlegende Trendwende allenfalls unterstützend flankieren. Die Weltlage kann sich nur entscheidend verbessern, wenn alle zusammen engagiert über die Zukunft nachdenken, auch über die mittelfristige hinaus, also über die nach menschlichen Dimensionen fernere Zukunft – die Zukunft darf nicht länger ignoriert werden.

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …

Die Lyrik am Ende?

23 Montag Sept 2013

Posted by deeplooker in Die Lyrik am Ende?

≈ 4 Kommentare

Es gibt sehr kluge Betrachtungen zur Lyrik, ich habe einmal einen mitreißenden Vortrag von Rilke darüber gelesen, der leider so lang war, dass ich darüber einschlief – so viele tiefe Einsichten in seine Kunst hatte der berühmte Dichter mitzuteilen. Auch heute ist es für einen renommierten Literaturwissenschaftler praktisch unumgänglich, sich bedeutsam über die Lyrik zu äußern, was mich als Laie immer wieder davor zurückzucken lässt, denn man will sich schließlich nicht lächerlich machen. Auf der anderen Seite kann ich in meinem Blog schreiben was ich will, niemand kann mich daran hindern, und nun ist es soweit: Also, die Lyrik… nein, ich habe etwas vergessen, zuerst muss ich auf den Klang eingehen, auf die Anmutung dieses Begriffs – allein das „y“ an zweiter Stelle verleiht dem kurzen Wort etwas Faszinierendes, die meisten Worte mit „y“ haben irgendwie etwas Besonderes, fast etwas Distanzgebietendes an sich, man denke nur an Xylophon, Libyen, Ypern oder Ypsilanti. Was ist dagegen schon Dichtung? Ein verwirrender Begriff, fatal mehrfach belegt, weil man damit auch eine Wasserrohrzange verbinden kann, und selbst wenn man es nicht tut, vermittelt mir jedenfalls „Dichtung“ eher eine verstaubte Vorstellung von Reimgedichten, von Balladen und von sprachlich überkommenem Schwulst. Dann wäre da noch die Poesie, zu der mir notorisch das Poesie-Album meiner Mutter einfällt, auch bei „poetisch“ habe ich ein mulmiges Gefühl, und Poetik ist für mich die antike Lehre von der Dichtkunst.

Also, die Lyrik… es gibt verschiedene Definitionen von Lyrik, mir begegnet sie häufig auch als eine Art von feinsinniger Prostitution, nicht Sprache in Strapsen, aber das Erwecken von Begehrlichkeit durch Sprache – Dichter betreiben gerne Mimikry, sie wollen eigentlich nichts mitteilen außer dem Publikum sich selbst, vorzugsweise in ihrer lyrisch verklausulierten und ästhetisierten Verzweiflung vor der Welt – der Dichter bietet sich an, er kehrt Intimes nach außen und bietet es dem Leser feil. Auch wenn Lyrik heutzutage beliebig geworden zu sein scheint, so ist sie doch meistens eine Form der persönlichen Entäußerung, allerdings nicht zwingend im Sinne von Hegel, der sich mit der Entäußerung näher beschäftigte und darin das Walten des Weltgeistes zu erkennen glaubte. Mit Lyrik kann sich der Mensch hochstufen, er bemächtigt sich der Kunst im Handumdrehen, unabhängig davon, ob er selbst Gedichte schreibt oder sie nur interessiert liest, es ist eine Frage des Gefühls.

Seitdem die Kunst zu einem fast konturlosen Wegwerf-Begriff wurde, dient sie als anspruchsheischender Platzhalter für alle möglichen Aktivitäten – davor blieb auch die Sprachkunst nicht verschont. Wer die Lyrik-Szene der Gegenwart ein bisschen mitverfolgt, dem müsste auffallen, wie alle Maßstäbe scheinbar zu einem Nichts aufweichen, es gibt keine Unterscheidungsmerkmale mehr für gute oder weniger gute Lyrik, die Lyrik-Preise schießen wie Pilze aus dem Boden – Städte, Kleinstädte, Provinzen, private Interessengemeinschaften und Verbände loben zumeist bescheiden dotierte Lyrik-Preise aus, außerdem wiederkehrende, darunter auch suspekte Wettbewerbe, die von den zahlreichen Autoren abgeklappert werden wie Flohmärkte. Beliebt und begehrt sind auch einschlägige Stipendien, in der Regel zeitlich begrenzte Aufenthalts- und Versorgungsstipendien… wer einmal in den Genuss des Privilegs kam, im kulturellen Highlight Villa Massimo weilen zu dürfen, der hat den Persilschein als anerkannter Künstler sicher… jedenfalls in seiner Einbildung, der Wahn kann auch schnell wieder in sich zusammenfallen.

Wer beschließt eigentlich, was kunstvolle und gelungene Lyrik ist? – wer entscheidet über ihren Wert, und über ihren Wert für wen oder was? Die Jurys, die Juroren und die Jurorinnen. Dabei handelt es sich vorzugsweise um Schriftsteller und bekannte Träger des regionalen Kulturbetriebs, die häufig mit einem fiebrigen Sendungsbewusstsein für ihr künstlerisches Urteilsvermögen ausgestattet sind, das gleichwohl ebenso häufig nur ungenügend vorliegt, wenn überhaupt, und auch Versicherungsdirektoren oder Inhaber von Autohäusern gehören schon mal zur Jury. Diese Praxis führt dazu, dass man angesichts der gewürdigten Preisträger, das heißt angesichts ihrer Werke, immer wieder ins Grübeln verfällt, denn neben durchaus eindrucksvollen Lyrikern werden nicht selten auch solche geehrt, deren offensichtlicher Dilettantismus schon fast schmerzhaft ins Auge sticht. Ein weiteres Phänomen stimmt mich bedenklich: Lyrik verkommt zunehmend zu Performance von Lyrik, der Vortrag dominiert tendenziell den Inhalt. Ich bin ein großer Fan von Poetry-Slam, aber Poetry-Slam ist eine besondere, eine moderne Gattung der Unterhaltung mit Sprachkunst, in keiner Weise abwertend zu verstehen – die Poetry-Slammer verstehen sich selbst als Gebrauchslyriker, und nicht als Autoren, die nächtelang an wenigen Zeilen arbeiten und über jeder Nuance eines Wortklanges oder über einer kleinen Veränderung im Rhythmus sinnieren. Diese Art von einer sich auch durch handwerkliche Sorgfalt auszeichnenden Lyrik ist etwas anderes, sie ist nicht per se konservativ, schon gar nicht pauschal höherwertiger – es kommt immer entscheidend auf den Autor an, auf seine sprachliche Ausdruckskraft, auf die Virtuosität seiner Phantasie, auf die Intensität des dichterischen Anliegens.

Das Interesse an Lyrik ist enorm angewachsen, nur glaube ich, dass der Schein trügt. Die entfesselte Dichtwut, die im Grunde zu begrüßen ist, lässt das Gedicht aber zu einem Acessoire der persönlichen Selbstdarstellung werden, zu einem Modeschmuck, zu einer flüchtig hingeworfenen Visitenkarte – hierunter leidet die zeitgenössische Lyrik viel mehr als unter der Auflösung der formalen Anforderungen an sie. Rhythmisch flüssige Reime sind für viele Menschen immer noch der Standard, den sie von einem Gedicht erwarten, dieser Standard hat sich längst überholt. Feste Formen wie Elegien, Oden, Sonette oder auch Haikus führen inzwischen eine Nischenexistenz, doch das ist nicht der ausschlaggebende Grund für den gefühlten Niedergang der Lyrik, entscheidender sind diese beiden Gründe: Erstens hat die Wertschätzung von Gedichten dramatisch abgenommen, sie war in früheren Jahren ausgeprägter und selbstverständlicher, und zweitens ist die Lesefreude der Menschen generell stark zurückgegangen, die Ursachen sind bekannt – wenn man dazu noch berücksichtigt, dass Lyrik eine spezielle Art von Lektüre darstellt, dann offenbart sich das eklatante Missverhältnis, von dem die Gegenwartslyrik schier erdrückt wird: Unmengen von Lyrik werden produziert, doch nur ganz geringe Mengen werden konsumiert, also gelesen. Ohne Lesen kann es keine Literatur geben, ohne Lesen wird die Lyrik zu einer Farce, zu einer Art Polo-Spiel für eine kleine selbsternannte Elite, die sich zu allem Überfluss noch in ihrem elitären Selbstbewusstsein überhöhen möchte. Auch das Verlagswesen, das die Literatur gnadenlos kommerzialisiert, spielt hier eine unrühmliche Rolle.

Unter diesen Umständen hat die Lyrik in Deutschland keine Zukunft, sie wird marginalisiert durch Massenhaftigkeit, durch fehlende Aufmerksamkeit, durch einen wenig pfleglichen Umgang mit ihr, durch unattraktive bis sogar kontraproduktive Vermittlung von Lyrik im Deutschunterricht, Lyrik als reiner Frust für die Schüler und Schülerinnen, und ihr wird nahezu der Rest gegeben durch eine Egal-Haltung, die an heimliche Verachtung grenzt – die Dichterei ist und bleibt in ihrem Ansehen eine verstiegene Passion, eine brotlose Kunst, und brotlose Künste sind in dieser Gesellschaft nicht mehr gefragt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Lyrik am Ende ist und man es nur nicht wahrhaben will.

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …

Das Panopticon wird wahr

16 Montag Sept 2013

Posted by deeplooker in Das Panopticon wird wahr

≈ 4 Kommentare

Bemerkungen zum Verlust unserer Würde

Merkel, Pofalla und Friedrich behaupten, die Ausspähungskrise sei nun vorbei, das Theater mit diesem Snowden sei erledigt, den Bürgern werde nicht nachspioniert, man könne wieder zur Tagesordnung übergehen. Die Lügen kommen routiniert und lakonisch, man erwartet gar nicht, dass einem geglaubt wird. Die Politiker sind sich bewusst, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Lügen durchschaut und sich nicht daran stört – warum stört sie sich nicht daran? Weil die Bevölkerung den Staat auch dann akzeptiert, wenn er sie weiter vereinnahmt. Es ist neben der deutschen Autoritätshörigkeit vor allem die instinktive Akzeptanz aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus, hinter dem das Verlangen nach Selbstbestimmung, Privatheit und Transparenz zurücktritt. Häufig wird dieses Kernmotiv der Bevölkerung verkannt, man deutet es fälschlicherweise als Desinteresse oder Lethargie.

„Klandestin“ – ein Fremdwort, das exotisch wirkt, aber hier muss es ausnahmsweise einmal zum Zuge kommen: Geheim bedeutet geheim, und klandestin bedeutet staatsgeheim. Mit „klandestin“ ist die stillschweigende Legitimierung von Exklusiv-Wissen gemeint, ein Informationsvorteil, der den gesellschaftlichen Führungszirkeln vorbehalten bleibt, nicht allein den politischen. In der Politik hat sich das Exklusiv-Wissen allerdings am festesten etabliert. Die Praxis des gezielten Verschweigens hat Tradition, man findet sie durchgehend bei allen Regierungsformen vor, sie gilt sogar als fester Bestandteil der Regierungskunst, auch in Demokratien. Doch seit die flächendeckende Bespitzelung der privaten Datenströme entlarvt ist, zeigt sich immer deutlicher, dass sich die Politik in einer geheimen Parallelwelt regelrecht vor dem Volk verschanzt. Die Abwehr jeglicher Einsicht von außen ist zu einer mehr als fragwürdigen Maxime des Handelns geworden, eine Rechtfertigungspflicht gegenüber den Bürgern gibt es anscheinend nicht mehr – die Entscheidungsträger verfallen in ein nahezu absolutistisches Denken.

Über die modernen Kommunikationsmöglichkeiten und das Internet entsteht so ein neuer Staat, der fatal an den Leviathan von Thomas Hobbes erinnert. Dieser neue Staat hat keinen Geheimdienst, er ist einer – er versteht sich als Oberinstanz in einem umfassenden Sinne. Die angestrebten Lenkungsprozesse stellen nicht einzelne Menschen unter Verdacht, sondern sie stellen das menschliche Wesen unter einen ominösen Generalverdacht. Hier droht eine ungeheuerliche Pervertierung des Menschenbildes Realität zu werden. Wir nehmen es hin, uns unseres Selbst für unwürdig zu erklären – das hat die Welt noch nicht gesehen – wir lassen es zu, dass uns ein Anonymus, genannt Staat, pauschal zu verhaltensauffälligen biologischen Fehlkonstruktionen erniedrigen will, man erklärt uns zu Konditionierungsobjekten, und damit werden wir letztlich als autonome Subjekte grundsätzlich in Frage gestellt: Wir deklassieren uns selbst, sehenden Auges.

Wie konnte es zu dieser tiefgreifenden Fehlentwicklung kommen? Nicht leicht zu beantworten, aber ich vermute, dass ihr eine bestimmte philosophische Lehre zugrunde liegt: der sogenannte Utilitarismus, der das Glück aller konzeptionell über das Glück des einzelnen stellt. Wer nun gleich an Sozialismus denkt, der liegt falsch, denn der Sozialismus ist ein zwangsdirektiver Gesellschaftsentwurf, der die Lebensverhältnisse aller Menschen egalisieren will. Das will der Utilitarismus im Prinzip zwar auch, nur mit den beiden entscheidenden Unterschieden, dass er erstens keine Zwangsbeglückungen vorsieht und dass er zweitens das Glück des Menschen in den Vordergrund stellt, und nicht die Gleichheit des Menschen gegenüber den anderen. Utilitaristisches Denken ist jedoch in seiner modernisierten Form zu ökonomisch nützlichkeitsorientiertem Denken geworden. Die Breite und Varianz dieses ausladenden philosophischen Gedankengebäudes hat sich auf eine Allerweltsideologie reduziert, der sich unter anderem Margret Thatcher bediente – dieser ausgedünnte, fast sinnentstellte Utilitarismus ist besonders bei Liberalen beliebt, weil sie irrtümlich meinen, sie könnten ihre diffusen Vorstellungen auf diese Weise philosophisch zementieren. Deshalb erscheint diese Allerweltsideologie auch vordergründig so gut geeignet als Ersatz für eine Staatsphilosophie, die diesen Namen verdient hätte – die gegenwärtigen massiven Angriffe des Staates auf seine Menschen entspringen jedenfalls einem utilitaristischen Grundverständnis, das gleichwohl den ursprünglichen Zielsetzungen des Utilitarismus zuwiderläuft, das ist das Paradoxe daran.

Schon im 18. Jahrhundert erfand der englische Philosoph Jeremy Bentham den Utilitarismus, und nicht nur den – er ersann auch das Konzept des „Panopticons“ in Form von runden Gefängnissen, von deren Mitte aus alle Insassen ständig in ihren vergitterten Zellen überwacht werden konnten, dafür genügte eine einzige Person in einem Wachturm mit Rundumblick – die Dystopie von der „Schönen neuen Welt“ eines Aldous Huxley war also schon 200 Jahre zuvor ein Thema, wenn auch nicht ein mit so düsteren Perspektiven wie heute behaftetes. Im 20. Jahrhundert übertrug der französische Philosoph und Allround-Denker Michel Foucault das Panopticon Benthams auf die Gesellschaft, von Foucault stammt der Begriff „Disziplinargesellschaft“ – ein, wie ich finde, passender Begriff, um die drohenden Szenarios unserer Selbstentmündigung zu beschreiben. Wenn wir nicht höllisch achtgeben, werden wir zu einer Art von Häftlingen eines in monströser Sinnlosigkeit verirrten Gesellschaftssystems, wir werden schleichend, doch immer unnachgiebiger instrumentalisiert und in unseren Handlungsspielräumen eingeschränkt. Die Menschen sollen sogar in ihrem Denken nivelliert werden – nichts Geringeres beabsichtigt der Große Bruder, der in den USA auf der Lauer liegt, um sich, unter anderem mit Hilfe seines deutschen Vasallen die ganze Welt gefügig zu machen.

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …

Lebensraum reloaded

09 Montag Sept 2013

Posted by deeplooker in Lebensraum reloaded

≈ 4 Kommentare

Von Lebensraum halten die Deutschen Abstand. Es gibt das nach ihnen benannte Land Deutschland, und da halten sie sich dauerhaft auf. Man könnte auch sagen, dass sie ihr Staatsgebiet bevölkern oder dass sie in ihrer Biosphäre leben, obwohl deutsche Biosphäre gleich wieder bedenklich klingt – aber auf keinen Fall darf man deutscher Lebensraum sagen, das geht gar nicht, bis heute nicht. Der Begriff hatte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert in die Köpfe geschlichen, wo er mit der Zeit zu einer Obsession ausartete. Man fühlte sich beengt im Heimatland, obwohl es groß war, mehr als groß genug für alle. Doch der Drang nach räumlicher Ausweitung wurde stärker, er hatte sich der Politik bemächtigt und verbreitete sich auch im Volk, er schien einem natürlichen Bedürfnis zu entsprechen, fast so als hätte man es schon immer gewusst. Mehr Lebensraum für die Herrenrasse, bevorzugt im Osten, wurde zum politischen Programm der Nazis, zusammengefasst in einem einzigen Schlagwort. Die meisten Deutschen fanden die Idee gut, besonders wegen des verlorenen Ersten Weltkriegs und der daraus resultierenden beträchtlichen Gebietsverluste – unter anderem waren Westpreußen und das Memelland an Polen gefallen. Allerdings konnten die Gebietsverluste allein den Lebensraumwahn nicht erklären, er war, wie gesagt, schon lange vorher da, und zwar unübersehbar: In den 1914 von Reichskanzler Bethmann-Hollweg formulierten Kriegszielen drückte sich das deutsche Expansionsstreben deutlich aus. Die Gebietsverluste bildeten den Katalysator, der Deutschland in den Zweiten Weltkrieg trieb, aber das wahre Motiv für das desaströse Verlangen nach mehr Lebensraum lag tiefer – viele Experten haben sich daran versucht, es zu ergründen, ich sehe hier von solchen Versuchen ab. Es waren die Zeiten des Sendungsbewusstseins, man dachte in hegemonialen und imperialen Kategorien, belassen wir es dabei.

Kein Wunder also, dass sich der Lebensraum nur schwer wieder zu einem neutralen Begriff rehabilitieren kann, das wird dauern. Trotzdem benutze ich ihn hier unbeschwert, nachdem der historische Ballast pflichtgemäß thematisiert wurde. Unser Lebensraum ist nur acht bis neun Kilometer hoch, doch dafür erstreckt er sich rund um die ganze Erde. Die meisten Menschen leben in dem Bereich von bis zu 500 Metern über dem Meeresspiegel, er bildet die dünne Kernsphäre unserer Existenz. Über der Atmosphäre kommt die Troposphäre, danach schließt sich die Stratosphäre an, wo die Grenze zum All fließend wird. Der höchste Berg der Welt, der Mount Everest, ist 8.848 Meter hoch, eine der wenigen Zahlen, die ich im Gedächtnis behalte, weil sie so eindrücklich die Grenze unseres Lebensraumes markiert… ich habe den übrigens den Verdacht, dass der Mount Everest absichtlich so hoch ist.

An einem Freitag des Jahres 2012 erreichten 81 Bergsteiger den Gipfel des Mount Everest. An dem Wochenende waren es 200 Menschen, die den alles überragenden Platz auf der Erde okkupierten, sie wollten ihre angestammte Welt überwinden, wenn auch nur für kurze Zeit und unter größten körperlichen Anstrengungen. Nicht wenige der Gipfelstürmer müssen vorher erschöpft aufgeben, sie scheitern vor dem Ziel, beziehungsweise unter ihm – das muss deprimierend sein für die durchtrainierten Sucher eines ultimativen Elebnisses. Mich dagegen deprimiert der Mount-Everest-Tourismus als Phänomen, ich empfinde ihn als Sakrileg. Tief in meinem Herzen bin ich ein Indianer auf dem Kriegspfad, der seinen heiligen Berg entehrt sieht. Dieser Berg thront über uns, er ist Geist, mit profanem Sportsgeist vergeht man sich an ihm, er wird reduziert auf eine spektakuläre Erhebung, die ihres Erhebenden beraubt wird durch Menschenmassen und Sauerstoffmasken. Der Mount Everest verkommt zum Ziel eines fortlaufenden Spezial-Marathons himmelwärts, wie beschämend – es ist sehr wahrscheinlich, dass man die Frechheit an entscheidender Stelle weiter oben übelnimmt.

Auf Fotos von der ISS-Raumstation aus, die 400 Kilometer hoch um die Erde kreist, wirkt die Atmosphäre wie ein Hauch, der Eindruck verstärkt sich je mehr man sich der tangentialen Perspektive annähert, und bei einem bestimmten Einfallswinkel des Sonnenlichtes wird die Atmosphäre zu einem glänzenden Schimmer, ein Anblick ohnegleichen. Nun erwarten Sie sicher Sentiment und weinerliche Klagen über die Verletzlichkeit unseres Lebensraumes, Sie erwarten, dass wieder einmal die Klimakrise über Sie hereinbricht – nein, verweigert, die Klimakrise müssen Sie schon allein erwarten. Ich beschäftige mich mit dem fraglosen, mit dem selbstverständlichen Lebensraum – nicht mit seiner Infragestellung, nicht mit seiner Vernachlässigung, nicht mit seiner akuten Gefährdung oder sogar mit der drohenden Vernichtung unseres Lebensraumes. Daran wage ich mich nicht heran, denn ich bin kein Zweckoptimist, außerdem verbietet mir meine unangenehme Neigung zum Zynismus, alle Einzelheiten eines möglicherweise nahenden kollektiven Suizids vor Ihnen auszubreiten.

Wer auf dem Gipfel des Mount Everest steht, der hat die Schwelle zum Weltraum betreten. Der Weltraum ist nicht weit weg, gleichzeitig liegt er uns fern, obwohl wir ihn in einer sternenklaren Nacht praktisch direkt vor uns sehen, auch ohne Berge zu besteigen. Dann blicken wir in die Weite und in die Höhe zugleich, beide unendlich, die dritte Dimension eröffnet sich vor unseren Augen, und wir kommen bis zu unserem Tod nicht aus dem Staunen heraus – sofern es uns vom Lebensalltag nicht abgewöhnt wurde, versteht sich. Da mag es überraschen, dass sich viele Menschen räumlich nicht gerne nach oben und unten orientieren, der Grund: Die dritte Dimension macht den Menschen misstrauisch, das ist ihm so angeboren, es ist eine unbewusste Scheu. Wir erfreuen uns zwar am Anblick einer Landschaft mit einem Bergmassiv in der Ferne, und wir betrachten schwelgerisch das Meer, auf dem es nichts zu sehen gibt außer der Sonne, die am wolkenlosen blauen Himmel über ihm steht – doch wenn wir auf einem zwei Meter hohen Podest ohne Geländer stehen, dann bekommen wir es mit der Angst zu tun, mit Höhenangst, mit Raumangst, mit der Furcht davor, unvermittelt ins Leere zu fallen, dann schrillen die Alarmglocken des Kleinhirns. Sobald wir uns selbst in der dritten Dimension exponiert wiederfinden, signalisiert sie uns Gefahr, sogar Lebensgefahr.

Andererseits: Millionen Menschen fliegen mit dem Flugzeug, und die meisten von ihnen haben selbst in 11.000 Meter Höhe keine Angst. Wie kann das sein? Ganz einfach, die Fluggäste tauchen nicht in dritte Dimension ein, sie sehen nur fern, das Flugzeugfenster wird zum Bildschirm. Die moderne Fliegerei ist Erleben aus zweiter Hand, eine Glaswand schützt uns vor der Realität, die in diesem Fall eine tödliche wäre. Es verhält sich im Prinzip ähnlich wie bei einer Kreuzfahrt oder wie bei einer Safari – fremde Länder gleiten vorbei, wilde Tiere streifen durch die teure Optik, aber sie können uns nicht gefährlich werden, weil wir immer außen vor bleiben.

Die Menschen sind zwischendimensionierte Wesen – mit zwei Dimensionen kommen sie offensichtlich nicht aus, weil sie zu Nichts plattgemacht würden, doch die dritte Dimension steht ihnen nur in einer reglementierten Sparausführung zur Verfügung, tatsächlich bleiben sie weitgegend vor ihr abgeschottet, und alle Versuche, die dritte Dimension umfassend zu erobern, führen letzten Endes in die Irre – wir üben uns immer wieder im Sprung von der Kreisklasse in die Bundesliga, nur daraus wird nichts. Unser Raum ist mit der Geburt abgesteckt: vorne, hinten, die beiden Seiten, meinetwegen auch die Horizonte und oben der Himmel, der großzügig auf die Dachfirste der Häuser heruntersackt und dort bleibt, um uns so lange als Abschluss nach oben zu dienen, bis wir einmal bewusst zu ihm aufschauen.

Bei näherem Hinsehen bietet die Erde den Menschen erschreckend begrenzte Lebensräume. Das Meer entfällt, weil wir schlicht in ihm untergehen… ich finde das eigentlich ziemlich merkwürdig, denn ursprünglich entstammen wir dem Meer. Egal, es bleibt das Land, unser natürlicher Lebensraum. Es gibt auf der Erde viel weniger Land als Meer, trotzdem sind die Landflächen riesig, sie haben auch angesichts einer Weltbevölkerung von über sieben Milliarden Menschen eine gewaltige Ausdehnung. Bloß ist darunter auch viel Unland und Ödland: die kargen Gebirge, die Wüsten, die Halbwüsten, wie der tiefe Südwesten der USA mit Nordmexiko, die Sahelzone, Patagonien, das schier unermessliche australische Outback, die unendlichen mittelasiatischen Steppen, die riesige asiatische und kanadische Tundra, die Pol-Regionen, und dazu gehört auch, obwohl man es gar nicht erwarten würde, die gesamte Küstenregion des Mittelmeeres, die fast durchgehend abgeholzt wurde. Zwar reihen sich an den Mittelmeerküsten die Städte und Touristenhochburgen aneinander, doch der Schein trügt, die meisten liegen in kaputten, erodierten Landschaften. Generell aber drängen sich die Menschen in den fruchtbaren und süßwasserreichen Gegenden, zum Beispiel im Einzugsbereich des Ganges, wo mehrere hundert Millionen Menschen leben. Als Folge des anhaltend starken Bevölkerungsdrucks werden die geeigneten Lebensräume immer voller, sie nähern sich teilweise bedenklich ihrem funktionellen Zusammenbruch, und sie lassen sich nur schwer erweitern – unser gesamter Lebensraum scheint sogar durch die zunehmende globale Erwärmung zu schwinden, es gibt immer weniger Platz.

Solche düsteren Perspektiven sind unbeliebt – wer kümmert sich schon freiwillig um überstrapazierte und chaotische Lebensräume? Selbst die Wissenschaften halten sich auf diesem Gebiet vornehm zurück, die Untersuchung von durch menschlichen Einfluss verunstalteten Lebensräumen ist nicht populär, solche Arbeiten bleiben zumeist wenig beachtet in den Schubladen liegen. Hier zeigt sich eine typische Widersprüchlichkeit im menschlichen Wesen, vornehmlich wenn es als Kollektiv in Erscheinung tritt: einerseits die Sucht nach weiteren Erkenntnissen, andererseits die Weigerung, Konsequenzen aus ihnen zu ziehen. Die Widersprüchlichkeit ist so frappant, dass ich schon an ein Missing Link bei der Gehirnentwicklung des Menschen gedacht habe, aber nein, falsch – aus der zunehmenden Diskrepanz zwischen Wissen und dem verantwortungsbewussten Umsetzen von Wissen drängt ein archaisches Selbstschutzbedürfnis hervor, es ist ein unbewusster, doch nicht nur unbewusster Zwang, alle Widerspüche rechtfertigend und beschönigend zu relativieren, er manifestiert sich am deutlichsten auf die Weise, dass die Tatsachen in ihrer öffentlichen Vermittlung systematisch verdreht werden, sobald sie unerträglich zu werden drohen.

Den Weltraum finden die meisten Menschen pauschal hochinteressant, den Erdraum weniger und wenn, dann nur sehr selektiv, man hält sich an das Ansehnliche. Die Mars-Mission ist faszinierender als der Mount Everest – und allemal interessanter als das riesige, komplett ölverseuchte Niger-Delta, als die Müllhalden in Kalkutta von der Größe einer Kleinstadt, als die regelmäßigen Smog-Rekorde über dem unsichtbar gewordenen Peking oder als die Algenpest, die sich wie ein unüberschaubarer grüner Schlammteppich hunderte Kilometer an Chinas Stränden entlangzieht. Wir nehmen unseren Lebensraum so wahr wie er schon längst nicht mehr wahr ist, wir picken uns dumm wie Federvieh die verbliebenen Rosinen heraus… die Malediven, Santorin, den Grand Canyon, den Gardasee. Doch immerhin widmet sich die Wissenschaft dem Erd-Lebensraum in einer speziellen Disziplin der Geographie, die Raumordnung heißt. Wie nicht anders zu erwarten, wird diese Wissenschaft in Deutschland mit vorbildlicher Ernsthaftigkeit betrieben, denn Ordnung muss sein, Raumordnung sowieso, ungeordnete Räume empfinden die Deutschen tendenziell als Angriffe auf ihr allgegenwärtiges Strukturierungsverlangen. Nach bestimmten Kriterien werden verschiedene Räume kategorisiert und erforscht, man begreift einen Raum nicht nur als charakteristische Gegebenheit, sondern gleichzeitig als komplexen Prozess mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, den man gezielt beeinflussen und in seiner Entwicklung zu einem gewissen Maße steuern, also auch planen kann… geplante Lebensräume, zwar regelmäßig genau durchdachte, aber im Hinblick auf den Menschen eher unbedacht konzipierte Lebensräume mit fraglichen Schwerpunkt-Setzungen. Die Steuerung erfolgt nach dem sogenannten Gegenstromprinzip, worunter eine produktive Durchdringung der einzelnen Verwaltungsebenen zu verstehen ist. Das klingt gut, geradezu beruhigend, denn im Vergleich zur wissenschaftlichen Betrachtung hat der Raum im öffentlichen Bewusstsein nur einen überraschend geringen Stellenwert, er wird kaum als solcher wahrgenommen – die meisten Leute haben zwar einmal etwas von Raumordnung gehört, doch sie haben nur verschwommene Vorstellungen davon, womit sich diese Wissenschaft beschäftigt.

Deshalb fällt auch nicht auf, dass es entscheidende Fragestellungen gibt, bei denen die Wissenschaft von der Raumordnung kneift. Sie untersucht zwar eifrig Lebensräume, Wirtschaftsräume, Naturräume, sogar soziale Räume, sie versucht auch, diese mitzugestalten, und sie präsentiert so ein komplexes Miteinander verschiedenster Räume – aber sie gibt kaum handfeste Auskünfte über die grundsätzliche Lebensqualität von Lebensräumen, sie klärt uns nicht auf über die Voraussetzungen für adäquaten Lebensraum, dafür fühlt sie sich nicht zuständig. Die selbstauferlegte Beschränkung der Wissenschaften beim Umgang mit Erkenntnissen habe ich schon angesprochen, hier wird sie wieder augenfällig. Wie ist ein menschengerechter Lebensraum überhaupt beschaffen? Vielleicht so: ausreichende Infrastruktur, Arbeitsmöglichkeiten, genügend bezahlbarer Wohnraum und Rückzugsräume in der Natur. Doch so lässt sich kein menschengerechter Lebensraum beschreiben. Dazu gehört viel mehr als wissenschaftlich versierter Pragmatismus, der einem allzu gern vorgaukelt, man habe alles im Griff.

Der urbane Lebensraum kann bei zu hoher Verdichtung schnell abstoßend für den Menschen werden, zu einer grauen Tristesse für diejenigen, die ihn bewohnen, die ihn bewohnen müssen. Auch vor dem Hintergrund wuchernder Mega-Städte und städtischer Großräume muss man sich unvoreingenommen der Frage stellen, ab wann ein weiteres Verengen besonders des individuell wahrgenommenen Lebensraumes nicht mehr vertretbar erscheint. Außerhalb der großen Ballungsräume verschärfen sich die seit Jahrzehnten bekannten Probleme: anhaltende Zersiedelung, zu massive Bebauung und eine strukturelle Überbeanspruchung der Landschaft – hier versagt die Raumordnung als Wissenschaft, sie müsste Fehlentwicklungen vorausschauend korrigieren, sie müsste sich in der Gesellschaft mehr Gehör verschaffen und den Mut aufbringen, konzeptionell auch in weniger wirtschaftskonformen Alternativen zu denken – hier wäre mehr Selbstbewusstsein erforderlich, mehr interdisziplinäre Ausrichtung und energischeres Auftreten gegenüber der Verwaltung. Dieser Forschungsbereich muss die Menschen und die Umwelt deutlicher in den Mittelpunkt rücken. Ein Paradigmenwechsel würde allerdings unausweichlich dazu führen, dass einige Wissenschaftszweige ihre künstlich neutralisierten Positionen grundsätzlich zu überprüfen hätten. Bisher lassen sich Architektur, Raumordnung, Volkswirtschaft, Soziologie und Psychologie viel zu bedenkenlos von der allgegenwärtigen ökonomischen Vorherrschaft missbrauchen.

Lebensraum ist zu einem knappen Gut geworden, nicht allein aufgrund der problematischen Überbevölkerung – die Industrialisierung spielt eine große Rolle, die Aggregationsprozesse mit übermäßigen Konzentrationen von Menschen auf kleinstem Raum, das kapitalistische Wirtschaftsdiktat, die unheimliche Macht des Geldes, eine verfehlte Weltentwicklung. In Hongkong leben ungefähr 100.000 Menschen als sogenannte Cage-People, also als Käfig-Menschen, sie haben eine Art Verschlag in einer Wohnung gemietet, in dem man zumeist nur schlafen, aber nicht aufrecht stehen kann – das Ende des Lebensraums.

  • Twitter
  • Facebook

Gefällt mir:

Gefällt mir Wird geladen …
← Ältere Beiträge
Neuere Beiträge →

Blogroll

  • dasgedichtblog
  • fixpoetry
  • gedichteformen.de
  • literaturkritik.de
  • lyrik online
  • Lyrik Spiegel Online
  • lyrikwelt
  • Mein Tip: Lyrik-Rezitationen
  • Nie ohne die: Nachdenkseiten
  • planet lyrik
  • Poetenladen
  • sneakblog
  • uncyclopedia
  • Zarathustras miese Kaschemme

Themen 

  • A – LYRIK
    • Am Fenster
    • Andere Orte
    • Antrag
    • Auf dem Trip
    • übergang
    • besuch bei pinocchio
    • blauer fischhonig
    • childrens world vision
    • Den richtigen Ton treffen
    • der gröfaz kann warten
    • die meerjungfrauen bleiben stumm
    • durchblick
    • Ein Tag in Ägypten
    • finale im fünften
    • flotter dreier
    • Freier Imbiss
    • fremdes terrain
    • gib ihm die kante
    • großes orchester
    • Gummibaum
    • haftbedingungen
    • Hinterm Mond
    • Irritation
    • Keine Tamarisken
    • Let's do it
    • letztes abenteuer
    • lieben sie brasilianische t-shirts?
    • ménage à trois
    • Ode auf den Gutmenschen
    • One fits all
    • ort des verbrechens
    • packmas
    • poolish
    • pulsschläge
    • religionsausübung
    • renitenz
    • Schwund ist immer
    • Steckbrief des Lyrikers
    • stein
    • Tagesmotto
    • tirade tristesse
    • Träum weiter, Baby
    • umnachtung
    • una ex his
    • unbehaust
    • vereinigung
    • warten auf frauchen
    • wechselbad
    • weinerlich
    • Wertschöpfung
    • wir sind DAS volk
    • zueignung
    • Zustandsbeschreibung
  • B – MINIATUR
    • Anklage an den Süden
    • Bahnfahrt
    • Be my baby tonight
    • Betrachtung mit Käseaufschnitt
    • Der Tierfreund
    • Erste Vorbereitungen auf den letzten Weg
    • Extra für dich
    • Gedankenlos
    • Kraftmeier
    • Licht aus, Spot an
    • Meeting bei Włodawa
    • Newsticker
    • Pochoirs
    • Sail away
    • Statt Karten
    • Tagtraum
    • Vatermörder
    • Volkszugehörigkeit alphabetisch
    • Vor dem Spaziergang
    • Weg mit dem Hund
    • Werthers Echte
    • Zombie
    • Zwischenbilanz
  • C – STORY
    • Ausflug mit Heinzi
    • Bahnhofsbekanntschaften
    • Chicago-Blues
    • Das Ende von König Morphy
    • Der Fluch des Sizilianers
    • Der Kambodschaner schläft
    • Der Kommissar und das Model
    • Dessous für die Damen
    • Ein Gedicht
    • Herz in der Faust
    • Highway To Hell
    • Immer diese Anderen
    • Mordfrust
    • Pflanzzeit
    • Socken für Dimitrij
    • Tag des Herrn Acht
    • Tod im Stadtpark
  • D – AUFSATZ, ESSAY
    • Alles Zeit die Welt
    • Am Ende der Startbahn
    • Über die Deutschen und ihre Leitbilder
    • Betretenheit auf Knopfdruck
    • Bomb them and they will love you
    • Das Panopticon wird wahr
    • Der Verschwörungswahn
    • Deutschland – ein Land wird entkernt
    • Deutschland duckt sich weg
    • Deutschland und Amerika – quo vadis?
    • Die Lyrik am Ende?
    • Ein Traum für die Deutschen – oder ein Alptraum?
    • Ein Weltbild gefällig?
    • Gedanken zum Nahost-Konflikt
    • Gedanken zur teuflischen Gegenwart
    • Her mit der Zukunft
    • Kontrolliertes Leben außer Kontrolle
    • Krieg in dieser Zeit
    • Lügen bis zum Exzess
    • Lebensraum reloaded
    • Mit dem Klima sind wir durch
    • Mit Dirk C. Fleck in die Zukunft
    • Rauchfrei dem Glück entgegen
    • Schnee in Dubai
    • Schon wieder der Kapitalismus…
    • So schön ist Deutschland
    • Vom Elend des Mitleids
    • Von der Ferne zu mir
  • E – SCHRÄGE TEXTE
    • Abfälle der Rechtschreibreform
    • Auf der Flucht
    • Brrh, brrh!
    • Das kommt davon
    • Der Ringer beim Pulloverkauf
    • Der Schmauser
    • Die Allerletzten
    • Endlich Wasser…
    • Kamikaze im Kalorienbomber
    • Kürzere Spaghetti?
    • Koslowski und der rechte Winkel
    • Lockruf der Wildnis
    • Meene Mieze meutert
    • metzgersLUST
    • Oder doch Terroristen?
    • Oscar Knolle resümiert
    • Razzia bei der Apotheken-Rundumschau
    • Yankee- Sugar
  • F – Dunkle Zeitzeichen
    • Die Stümper und die Schweiger
    • Ein Datum markiert das Ende der transatlantischen Idee
    • Im Himmel ist Jahrmarkt
    • Schweigen in eisiger Akzeptanz
    • Spekulationen
  • G – UND NOCH…
    • An der Nordseeküste
    • Über die Toten nur Gutes oder…
    • Im Stau
    • Stiller Ozean
    • The Wörld Is Ours
    • Uncooler Tatterfunk
    • Warum nicht mal nach Ägypten?
  • H – THEATERSZENE
    • Hopper Ex oder die Waschmaschine

Archive

Bloggen auf WordPress.com.

  • Abonnieren Abonniert
    • Deeplookers Blog
    • Du hast bereits ein WordPress.com-Konto? Melde dich jetzt an.
    • Deeplookers Blog
    • Anpassen
    • Abonnieren Abonniert
    • Registrieren
    • Anmelden
    • Melde diesen Inhalt
    • Website im Reader anzeigen
    • Abonnements verwalten
    • Diese Leiste einklappen
%d Bloggern gefällt das: