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Deeplookers Blog

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Kategorien-Archiv: D – AUFSATZ, ESSAY

Von der Quantenphysik zur Quantenreligion

28 Sonntag Aug 2016

Posted by deeplooker in D - AUFSATZ, ESSAY

≈ 10 Kommentare

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Aus dem Nachlass eingefügt mit einem Foto, das Hans-Wilhelm Precht in der argentinischen Hafenstadt Ushuhaia zeigt.

Seit einiger Zeit erstreckt sich der Erklärungsanspruch der Quantentheorie über die naturwissenschaftlichen Grenzen hinaus: Sie nimmt den menschlichen Geist ins Visier. Versuch einer Zeitdiagnose.

Die Quantentheorie – weiss man mittlerweile – ist paradox: Einerseits ist sie das bisher erfolgreichste Instrument zur Erklärung der Natur; andererseits ist sie unverständlich, wenn man sie aus der Sicht des gesunden Menschenverstands interpretieren möchte. In dieser Notlage riet der Physiker David Mermin seinen Kollegen: «Mund halten und rechnen!»

Es lockt das Bewusstsein

Diesen Rat schlagen die Physiker in den Wind. Sie rechnen zwar fleissig, halten den Mund aber immer weniger zu Fragen, mit denen sich traditionell eher die Philosophen abmühen. Zum Beispiel hat es ihnen das Bewusstsein angetan. Das zeigte sich kürzlich an der Tagung «Das Grosse, das Kleine und der menschliche Geist» im Verkehrshaus Luzern, organisiert von der Neuen Galerie Luzern. Anlässlich der 9. Schweizer Biennale zu Technik, Wissenschaft und Ästhetik diskutierten Physiker, Neurowissenschafter und Molekularbiologen über die Frage nach der «mysteriösen Brücke» zwischen Quantenwelt und unserer klassischen Alltagswelt.

Spezialgast war der Mathematiker und Physiker Sir Roger Penrose von der Oxford University. Penrose sorgt seit zwanzig Jahren innerhalb und ausserhalb der Fachkreise für Aufsehen mit seinen Ideen über die Entstehung von Bewusstsein aus quantenphysikalischen Prozessen. Er setzt damit eine Tradition fort, die mit den Spekulationen der Pioniere der Quantenphysik in den 1930er Jahren anhob.

Anders als die Physiker damals kann sich Penrose heute auf eine entwickelte Neurophysiologie stützen, speziell auf Studien des amerikanischen Arztes Stuart Hameroff über sogenannte Mikrotubuli. Das sind winzige Proteinröhrchen, die in allen Zellkernen vorkommen und als molekulare Computer fungieren. Das Entscheidende: Sie weisen die typische Grössenordnung für Quanteneffekte wie Kohärenz auf. Kohärenz bedeutet, dass Quantenobjekte – Elektronen, Photonen, Atome oder eben auch Mikrotubuli – auf eine Weise zusammenhängen, für die die klassische Physik keine Beschreibung hat.

Effekte, die aus einem solchen Zusammenhang – der «Verschränkung» – resultieren, sind zum Teil höchst sonderbar. Hier eine Analogie zur Veranschaulichung: Spielte man im Basler St.-Jakob-Stadion und im Aztekenstadion in Mexiko-Stadt zeitgleich mit zwei identischen, quantenverschränkten Fussbällen, dann würde die Beobachtung eines Baslers, dass der Ball einen Linksdrall hat, augenblicklich den entsprechenden Drall des Zwillingsballs in Mexiko-Stadt festlegen. Ein aus klassischer Sicht völlig unverständliches, ein – wie Einstein es nannte – spukhaftes Phänomen.

Diesen «Spuk» weisen die Physiker seit den 1980er Jahren experimentell nach – bei Mikroobjekten, die man möglichst störungsfrei von ihrer Umgebung isoliert. Normalerweise verrauscht dieser verschränkte Quantenzustand bei Makroobjekten wie Fussbällen innert kürzester Zeit infolge Wechselwirkung mit der Umgebung – er «kollabiert» und ist nicht nachweisbar. In ihren Fundamenten tickt die Welt zwar quantenmechanisch, aber dieses Ticken vernehmen wir im Bereich von gewöhnlichen Dingen wie Fussbällen, Uhren und Kühlschränken nicht. Viele Physiker sehen deshalb im Kollaps von verschränkten Quantenzuständen die Ursache für das Auftreten von klassischen Eigenschaften.

Penrose und Hameroff begnügen sich nicht damit und nehmen nun das Bewusstsein ins Visier, genauer: die neurophysiologische Vorstufe bewusster Prozesse. Sie vermuten, dass sich gigantisch viele Mikrotubuli quasi zu einem einzigen selbstorchestrierten Quantenzustand verschränken können und dass dessen Kollaps dann als ein «Bing» (Hameroff) registriert wird: als ein Elementarereignis in Hirnzellen, das, mit vielen gleichen Ereignissen zusammengeschaltet, unser bewusstes Handeln steuert. Penrose ist dabei der Meinung, dass die herkömmliche Quantentheorie nicht hinreicht als Erklärung. Sie müsse mit der Gravitation in einer neuen Quantengravitationstheorie aufgehoben werden.

Natürlich gibt es fachliche Kritik zuhauf: Die Physiker monieren, dass diese Theorie bis jetzt noch gar nicht existiert und dass das Kollaps-Konzept selbst strittig ist. Die Neurowissenschafter stört, dass Penrose und Hameroff die Standardmodelle der Hirnphysiologie umgehen, die mit Dendriten und Synapsen operieren.

Es gibt grundsätzlichere Einwände. Die Vermutung ist so abwegig nicht, dass eine Quantenphysik des Bewusstseins an dem vorbeisteuert, was der Philosoph David Chalmers das «harte Problem» genannt hat: Bewusste Erfahrung ist immer die Erfahrung aus jemandes Perspektive. Aber wie soll man dieses Faktum in einem physikalischen Weltbild unterbringen, das keinen Platz für solche Jemande bereithält? Gewiss, Bewusstsein hat ein physiologisches oder physikalisches Korrelat, aber dieses Korrelat ist eben gerade nicht das Bewusstsein. Vielleicht gibt es ja eine Physik, die den Geist erklären kann, allerdings wäre sie – dies als These geäussert – so beschaffen, dass wir sie nicht verstehen.

Paranormale Spinnerei

Auch wenn es sich bei der Quantentheorie des Bewusstseins um einen spekulativen Hochseilakt handelt, so bleiben Penrose und Hameroff in den Gemarkungen seriöser Wissenschaftlichkeit: Es handelt sich quasi um «normale» Spinnerei. Seit einiger Zeit schon grassiert nun freilich noch eine ganz andere Quantentheorie. Man werfe einen Blick in die Regale populärwissenschaftlicher Literatur. Es wimmelt nur so von «Quantentheoretikern». Deren Umkehrschluss ist von entwaffnender Simplizität: Quantenphysikalische Phänomene sind seltsam, also ist alles Seltsame quantenphysikalisch erklärbar. Weil eigentlich niemand diese Theorie versteht, lässt sich mit ihr alles verstehen. Das ist natürlich ein Denkfehler, aber seine Ausbeutung feiert Hochkonjunktur. Alles ist mit allem verschränkt kraft eines mysteriösen Quantenallzusammenhangs.

Begonnen hatte der ganze Zirkus im Übrigen mit den westöstlichen Weltumarmern der 1970er Jahre. Der Physiker Fritjof Capra schrieb damals das Buch «Das Tao der Physik», in dem er postulierte, dass die alte Hindumystik im Grunde Quantentheorie in metaphysischer Verpackung sei. Das Buch wurde zum Bestseller, um nicht zu sagen zur neuen Bibel all jener Hippies, die danach dürsteten, die durch wissenschaftliche Rationalität entzauberte Weltsicht wieder spirituell aufzufüllen. «Quant» liess diese Leute wie die heilige hinduistische Silbe «om» erzittern, aus deren Vibrationen das Universum entstand. Und das Wort vibriert bis heute in der Alternativ- und Esoterik-Szene.

Unisono tönt das Mantra der Quantenphilosophen, -mediziner und -magier um den ganzen Globus: Bewusstsein (Bing!) ist überall! Bewusstsein und Universum bilden ein einziges «verschränktes» Ganzes! 2008 titelte eine grosse deutsche Zeitung – wohlgemerkt im Wissen-Teil: «Die Seele existiert auch nach dem Tod.» Im Artikel heisst der Autor das Jenseits in der grossen Kohärenz willkommen und lässt dadurch den alten Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion elegant hinter sich.

Dem staunenden Publikum wird so ziemlich alles aus dem Zylinderhut der grossen Kohärenz gezaubert: Abnehmen, Homöopathie, geheimes Leben der Pflanzen, Ferien in Parallelwelten, Gespräche mit Toten, Glück, Geld, Unternehmenserfolg, Benzinsparen usw. Eine Schweizer Technikfirma beruft sich im Marketing ihrer Produkte explizit auf das Penrose-Hameroff-Modell, als ob es sich dabei bereits um rundum getestetes Wissen handelte. Wenig erstaunt stellt man dabei fest, dass die «Quantentheoretiker» immun sind gegen Kritik. Sie halten sich in ihrer Bewirtschaftung der Gutgläubigkeit schadlos an der Wissenschaft, spielen aber das Spiel Wissenschaft nicht mit. Ihre «Quantentheorie» verhält sich zur Quantentheorie – um hier Bertrand Russell zu paraphrasieren – wie Diebstahl zu ehrlicher Arbeit.

Die neue Königs-Wissenschaft

Woher diese Beschwörung der grossen Quantenkohärenz? Warum haben auf einmal alle ein tiefes Vertrauen in die Physik? Adelt es unsere Meinungen über die Welt, wenn wir sie im Namen der Quanten äussern? Ich wage mich an eine Zeitdiagnose. Hier offenbart sich ein Symptom der Post-Postmoderne: das rückfällige Bedürfnis nach einer universalen verbindlichen Weltsicht, offenkundig genug im erstarkenden religiösen Fundamentalismus. Mit ihrer Aura des Fundamentalen, Paradoxen, Mysteriösen erscheint die Quantentheorie wie geschaffen, dieses Bedürfnis auch von wissenschaftlicher Seite her zu stillen. Nachdem Vordenker der Postmoderne wie Paul Feyerabend, Jean-François Lyotard oder Richard Rorty der Wissenschaft ihre «absolutistische» Position in der Welterklärung abgesprochen hatten, hielt ein fröhlicher Markt von Weltdeutungen ohne Letztbegründungen Einzug: die Zeit des «schwachen Denkens».

Heute finden wir Evolutionsbiologie neben Kreationismus, Quantenmechanik neben Hindumystik, Biomedizin neben Ayurveda, Astrophysik neben Ufologie, Computerprognostik neben Teeblattlesen und was auch immer angeboten wird im unüberschaubaren Konsumtempel der Weltanschauungen, die alle ihre Geltungsansprüche erheben und gerade dadurch jegliche verbindliche Geltung unterhöhlen. Es mutet wie die tiefe Ironie einer Dialektik an, wenn in diesem Kuddelmuddel nun doch wieder eine «Königs»-Wissenschaft als heimliche Führerin Profil gewinnt, die Quantentheorie, die «es letztlich weiss». Die Alchemisten redeten früher vom Alkahest, von einem Elixier, das alles auflösen kann. Es scheint fast, als böte sich in der Quantentheorie ein moderner Alkahest an, ein universelles Lösungsmittel für alle Fragen.

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Deutschland – ein Land wird entkernt

31 Donnerstag Dez 2015

Posted by deeplooker in Deutschland - ein Land wird entkernt

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In meinem bisherigen Leben sah ich keinen Anlass, mich für Deutschland einzusetzen – ich blieb eher unbeteiligt, ich hatte unter Kopfschütteln die neuere Geschichte meiner Nation zur Kenntnis genommen und beobachte seit 20 Jahren mit Sorge den Verfall dieser Gesellschaft zu einer ökonomisch überbestimmten Zweckgemeinschaft, die andere Komponenten der Gemeinschaftlichkeit immer rigoroser verdrängt.

Die massenhafte, häufig sogar aggressive Abkehr der jüngeren Deutschen von Kollektivsymbolik ist ein Grund dafür, dass die Zuwanderungsgegner bei den Befürwortern einen anti-nationalen Hype auslösten, der sie paradox erscheinen lässt und der die Mehrheit weitgehend sprachlos macht. Selbst Soziologen und Psychologen können das Phänomen bisher nicht erklären, sie flüchten sich in seltsame Begriffsblähungen wie sozio-kognitiver Paradigmenwechsel. Ich wage zu behaupten, dass es noch nie zuvor in der Geschichte einen derartigen Hass in der Bevölkerung auf die eigene Bevölkerung gab, zumindest nicht in dieser rätselhaften Form.

Hier dominiert nicht, obwohl es mit einbezogen wird, der Hass auf das Establishment. Die Abneigung geht tiefer, sie ist auch nicht allein historisch begründet, sie ist umfassender, sie mäandert durch das gesamte Spektrum der als deutsch ausgemachten Eigenschaften, bis hin zu Gewohnheiten, die hierzulande in einem alltäglichen Sinne typisch wirken, wie etwa die Esskultur, die Einrichtungskultur oder das Freizeitverhalten. Inzwischen kann man sich nicht mehr sicher sein, was noch in und was schon out ist. Auf irgendeine Art deutsch zu sein, wird zu einem Spießrutenlauf, und bezeichnend daran ist, dass die Deutschland-Hasser gleichzeitig auf beiden Seiten vertreten sind, sie laufen bedenkenlos mit, wie moderne Derwische, die sich über unterbewusste Selbstkasteiung von der Erbsünde ihrer Herkunft befreien wollen – Derwische sind Sufis, sie gehören einer relativ kleinen islamischen Gemeinschaft an, die ihre Religionsausübung eng mit Elementen von Ekstase und Meditation verbindet. Doch bei uns machen sich bloß wenige Menschen Gedanken darüber, dass dieses Verhalten mindestens genau so irrational ist wie übertriebene Deutschtümelei.

Die Sünde wurde von den Kirchen in das christliche Selbstverständnis einbetoniert, unsere Sündhaftigkeit hat sich in der abendländischen Kultur verkrallt als quasi-anthropologisches Datum, das der Religion nicht mehr bedarf, es durchzieht die westliche Zivilisation. Wenn den Westmenschen jedoch ein unterschwelliges Gefühl von Schuld mit prägt und er sie keinem Gott mehr beichten kann, dann kommt er in ein Dauer-Dilemma, er wird in einen Spannnungszustand versetzt. Diese im Grunde dem Jenseits entstammende Spannung wird verstärkt durch die immer deutlicheren Widersprüche im Diesseits der Gegenwart, und damit verstärkt sich das Entlastungsbedürfnis. Die Gebrechen der modernen Welt sind Umweltzerstörung, Menschenüberfluss, ständige Kriege und falsch strukturierte Gesellschaften – zusammengefasst nehmen die Gefahren apokalyptische Ausmaße an. Das fühlen auch die Deutschland-Hasser, sie wollen, ohne es zu ahnen, diesen Bedrohungen etwas Handfestes entgegensetzen, indem sie die Erde in einem hysterischen Aktivismus von den Nationen befreien, worin sie eine der Wurzeln allen Übels zu erkennen glauben – und den Anfang soll natürlich die übelste aller Nationen machen: Deutschland, das Land, das ihnen ein düsteres Schicksal als Geburtsort zuwies.

Oben hatte ich eine Abkehr vieler jüngerer Deutscher von übergreifender Kollektivsymbolik als Grund für ihre Abneigung gegen das Heimatland angeführt – nun werden ansatzweise die tieferen Motive sichtbar: Nicht allein Wiedergutmachungsreflexe bestimmen hier das Verhalten, sondern vornehmlich der Wunsch, etwas heil zu machen, das erschreckend kaputt ist. Ein von Heil- und Erlösungsvorstellungen aufgestauter Druck bricht sich Bahn in Ersatzhandlungen. Hier rumort eine abwegige Variante von Sublimierung in den Köpfen. Bei der Sublimierung wird ein immanentes psychisches Problem, wie etwa dauerhaft unbefriedigtes Sexualverlangen oder Identitätsstörungen, dadurch erträglich gemacht, dass man es durch geistige Aktivitäten überdeckt und so scheinbar kompensiert – die Betonung liegt aber auf „scheinbar“ – denn diese von der Psychologie zumeist als konstruktiv eingestufte Art der Problembewältigung auf einer höhereren Ebene ist niemals ohne einen Realitätsverlust zu haben, so wie man ihn auch bei den erklärten der Feinden der Nation antrifft.

Mich erinnert das Kesseltreiben gegen die Deutschlandbewahrer an die gnadenlose Verteufelung des Rauchens – nur dass dieses Mal ein ganzes Volk zum Raucher erklärt wird, die Nation wird zum Nikotin, zu einem historisch und ethnisch verseuchten Gift-Cocktail. Mein Land hat sich innerhalb von wenigen Monaten in ein Laboratorium verwandelt. Vor meinen Augen vollzieht sich ein Großexperiment in vivo mit dem Ziel, eine Gemeinschaft von über 80 Millionen Menschen grundlegend umzugestalten. Doch selbst wenn nun alle Gutmenschen empört aufschreien, trägt ein solches Vorhaben deutliche Züge von Rassismus, warum? Weil dahinter die Phantasie einer Globalrasse mit nivellierten Eigenschaften steht, die in ihrer Gesamtheit gegenüber den Eigenschaften der vorliegenden Rassen zu bevorzugen seien – ich nenne das Zukunftseugenik über die systematische Angleichung des Menschen an eine milliardenfache Standard-Version. Vergessen wird dabei nicht nur, dass eine solche Vereinheitlichung in weiter Ferne liegen würde, sondern auch, dass diese Vereinheitlichung ein brachialer Prozess umgekehrter Selektion hin zu einer Pauschal-Menschheit wäre, die sich niemand ernsthaft wünschen kann. Es stellt sich die Frage, was hinter diesen Absichten steckt – ich gehe hier aber nicht weiter auf die Frage ein, weil die Antworten schon gegeben wurden und nachzulesen sind. Bei allem bleibt nach wie vor der böse Verdacht, dass mit Deutschland auch deshalb ein Sonderexperiment durchgeführt werden soll, um ungünstige ethnische Voraussetzungen durch Massenzufluss anderer Ethnien zu neutralisieren.

Es geht noch weiter nach unten, noch sind wir nicht bei der wahren Ursache für den Deutschland-Hass vieler Deutscher angekommen: Die Ursache des Heilungswahns ist letzten Endes Existenzangst. Die Furcht vor einer Welt aus den Fugen geht um, eine existenzielle Verzweiflung diktiert unerkannt das Geschehen. Alle die Fiebernden, die den Deutschen Angst vor Veränderungen vorwerfen, haben mehr Angst als die von ihnen Gescholtenen. Es gibt neben dem materiell-sozialen Hedonismus auch einen ideellen, der sich als sozial-romantisches Sendungsbewusstsein erdumfassend manifestiert – die narzisstische Umarmung der Schöpfung aus der Not heraus, und das Ergebnis ist fatal. Diese Pseudo-Linken mit ihren losgelassenen Schwachsinnsantifanten, die Gutmenschen, diese Claqueure der nationalen Extermination, sie sind zwar mehrheitlich nicht satt, sie sind auch nicht in der von ihnen verachteten Weise saturiert, aber sie haben es alles satt, sie haben vor allem sich selbst satt, ihr von jedem erdenklichen Konsumquatsch eutrophiertes Dasein. Die Linken wissen um ihre Nutzlosigkeit, sie erahnen beim Anschauen der Nachrichten ihre Bedeutungslosigkeit, sie hadern mit ihrer Marginalisierung unter dem Einfluss anonymer Mächte, und sie ärgern sich über ihre Feigheit, gegen die anzugehen sie in ihrem mickrigen Duckmäuser-Wohlstand nicht in der Lage sind. Durch die schier maßlose Aggressivität ihrer Parolen schimmert Entsetzen vor den Realitäten auf der Erde, anders lassen sich für mich Flüche dieser Art nicht deuten: „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ – „Nie wieder Deutschland“ – „Ich hasse Deutschland“ – „Deutschland verrecke“- „We love Volkstod“.

Von „America, you lousy piece of shit“ ist mir noch nichts zu Ohren gekommen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass man mit solchen Sprüchen in den USA schlechte Karten hätte. Ich kann mir in dieser Hinsicht auch kein anderes Land vorstellen, zum Beispiel wäre man in Frankreich über „La France, vous moche piece de merde“ bestimmt nicht begeistert. Wer als Deutscher Deutschland nicht mag, der darf das selbstverständlich offen sagen, und er darf sogar öffentlich verkünden, dass er Deutschland für ein Stück Scheiße hält – doch er darf sich nicht darüber wundern, dass die meisten Deutschen dann ihn selbst für ein Stück Scheiße halten, das ist ja nur konsequent. Einfühlungsvermögen in Bezug auf seine Bezeichnung kann sich eine Nation nicht per Dekret ausbedingen, es ist da, oder es ist nicht da. Der Landtag von Brandenburg hat als Antwort auf die Anfrage einer Abgeordneten mitgeteilt, dass der Fäkalspruch den Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfülle – das war zwar weise, aber es wirkt unsäglich. Der Landtag hätte die Beantwortung dieser Frage aus Gründen der nationalen Ehre verweigern sollen.

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Schon wieder der Kapitalismus…

05 Donnerstag Mär 2015

Posted by deeplooker in Schon wieder der Kapitalismus...

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Was ging im vergangenen Vierteljahrhundert politisch vor sich auf der Welt? Die Antworten kommen sofort: Zu Anfang, im Jahr 1990, erfolgte der Kollaps des Ostblocks und darauf die Fehlreaktion des Westens, der sich weigerte, aus diesem epochalen Ereignis einen Friedensgewinn zu ziehen. Inzwischen haben sich die damals gegebenen Möglichkeiten sogar in das Gegenteil verkehrt: Kriegstreiber und Kriegsgewinnler haben schon wieder die Oberhand gewonnen – die friedlichen Perspektiven nach 1989 waren ein kurzes, helles Aufleuchten am Horizont, das sich nach wenigen Jahren verflüchtigte. So das politische Fazit.

Das globale Fazit des letzten Vierteljahrhunderts lautet: Die Probleme haben sich weiter verschärft, ihre Ausmaße erreichen die Vorstufe zu einer existenziellen Gefährdung der Weltgemeinschaft. Zusammengefasst lautet das Fazit: Wir leben auf einer durch Überbeanspruchung und Kriege massiv bedrohten Erde. Der Handlungsdruck ist gewaltig. Doch nirgendwo wird der Wille zum Handeln erkennbar, und nicht einmal die wichtige Frage, warum das so ist, wird öffentlich vernehmbar gestellt. Merkwürdig genug – die gemeinsame Zukunft erscheint uninteressant, in der politischen Diskussion hat sie gar keinen Stellenwert, auch in den Medien wird sie nur sporadisch gestreift, eingezwängt zwischen Lifestyle und Werbung. Ist das Absicht? Ist das Verdrängung? Es ist beides.

An allem ist der Kapitalismus schuld… ja, ja… natürlich, wer auch sonst. Aber wenn es tatsächlich so sein sollte, wie geht es denn nun weiter? Das ist schwer zu beantworten, besonders wenn Teillösungen der Probleme in menschlich erfassbaren Zeiträumen angestrebt werden – gerade noch vorstellbar wäre vielleicht die Zeit um das Jahr 2150, also 135 Jahre weiter, das heißt, vier bis fünf Generationen. Eine auch zeitlich und zwar nach menschlichen Maßstäben klar strukturierte Zukunftsplanung fehlt, sie fehlt als unabdingbare Grundlage für zielgerichtete Krisenbewältigung. Wenn der Kapitalismus eine Hauptursache für die Fehlentwicklungen darstellt, dann muss man drei Dinge tun:

1. Ihn ins Auge fassen, ihn umgehend zum Gegenstand einer weltöffentlichen Diskussion machen.

2. Ihn systematisch untersuchen, denn bisher ist man nicht einmal bereit, den Kapitalismus als eigenständigen Wissenschaftsbereich anzuerkennen. Es geht nicht darum, den Marxismus einfach wieder zu beleben oder etwa die Kritische Theorie der Frankfurter Schule nachgebessert auf die Gegenwart anzuwenden – es muss durchgesetzt werden, dass die Kapitalismuswirtschaft als unabhängige Fakultät gleichrangig neben die Volks- und Betriebswirtschaft gestellt wird, wodurch sich dann auch für das interdisziplinäre Forschen eine erweitere Grundlage bietet. Viel Zeit bleibt nicht mehr, die etablierte Wissenschaft muss sich dem Phänomen des Kapitalismus öffnen.

3. Ihn möglichst umgehend verändern, was nur gezielt und in moderaten Einzelschritten möglich sein wird. Alle revolutionären Hauruck-Methoden würden unweigerlich ins Chaos führen – ein hochkomplexes System einfach zu zerschlagen, würde einen Trümmerhaufen erzeugen, der die Menschen noch aussichtsloser dastehen ließe als zuvor.

Der Begriff Kapitalismus ist überladen – er ist zugleich Schlagwort, Totschlag-Argument, Befund, Gespenst und Realität, in ihm drückt sich Ohnmacht aus, er steht für die Fatalität des Seins, bei vielen Menschen auch für die Verzweiflung über die Welt. Deshalb wird es umso wichtiger, den Kapitalismus zu versachlichen, ihn vorbehaltlos zu analysieren, bis zu dem Versuch, seine Auswirkungen auf das Leben zu objektivieren. Nur diese Vorgehensweise führt zum Ziel. Die Gesellschaft ist allerdings noch weit von solchen Überlegungen entfernt – sie hat den Kapitalismus als morbides Modewort in ihre Kultur aufgenommen, sie hegt und pflegt ihn sogar merkwürdig verbissen wie unvermeidliche Warzenbildungen auf dem Körper. Aber als reine Hässlichkeit lässt sich allzu leicht Frieden schließen mit einem Erzfeind des sozialen Zusammenlebens, und selbst die Proteste der Linken, egal in welcher Form, muten wie Rituale an, die so anrührend wirken, dass man sie schon vermisst, wenn sie nicht mehr vollzogen werden – was wäre ein Weltwirtschaftsgipfel ohne Proteste? Er wäre langweilig, allein deshalb weil es über solche Spitzentreffen nur selten etwas Nennenswertes zu berichten gibt.

Die Tücke des Kapitalismus liegt in seiner tabuisierten, in seiner fast sorgsam gehüteten Konturlosigkeit – ein verschwommenes Feinbild kann man nicht richtig ins Auge fassen. Die Wurzel des Übels wird an verschiedenen Stellen geortet: im Zinsgeld-System mit der Explosion der virtuellen Kapitals, im undemokratischen politischen System inklusive falsch strukturierter Eigentums-, Verteilungs- und Einkommensverhältnisse – allgemein in einem überbordenden Marktliberalismus bei tendenziell versagenden Märkten – im Machtzuwachs großer Unternehmen, also der Global Player, der Konzerne, die die politische Kontrolle weiter aushebeln, ohne ethische Grundorientierungen, ohne Verantwortung für den Lebensraum Erde – in einer Individualisierung der Existenz und gleichzeitig in einer durchökonomisierten Massenexistenz. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen, man könnte sie auch spezifizieren, ins Uferlose. Es wird erkennbar, wie amorph sich der Kapitalismus in seinem Gesamtbild darbietet, er ist kaum zu greifen, kaum zu begreifen. In der Gegenwart dominieren immer noch überkommene Vorstellungen von Analyse und Erkenntnis: Die Volkswirtschaft begründet sich auf der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, Wirtschaftszyklen werden nach unterschiedlichen Methoden untersucht – die Betriebswirtschaft begründet sich auf der betrieblichen Erfolgsrechnung… aber auf welcher Rechnung beruht die Kapitalismuswirtschaft? Im Grunde auf keiner. Der Kapitalismus schafft seine eigenen besonderen Gesetzmäßigkeiten, die über alles Berechenbare hinausgehen. Allein die Rendite und die algorithmischen Kunstgriffe zu ihrer Optimierung durch Großrechner könnten es ohnehin nicht sein – damit ließe man die problematischen Folgen dieser Wirtschaftsform vollkommen außer Betracht. Die Aushöhlung zu kalkulatorischen Routinen macht die Volks- und die Betriebswirtschaft zu Minderwissenschaften – mit diesem Befund gewinnt die Kapitalismuswirtschaft eine umso größere Existenzberechtigung als zwar lebensgestaltende, dabei jedoch in hohem Maße auch lebensverunstaltende Wissenschaftsdisziplin.

In diesem Text ist von Kapitalismuswirtschaft die Rede, nicht von Kapitalwirtschaft. Das hat seinen Grund, denn letztere würde zur Erklärung der modernen Weltdiktatur viel zu kurz greifen. Wenn man den Kapitalismus, so wie es oft getan wird, als eine Ideologie bezeichnet, dann entspricht das einem falschen Verständnis, weil der Kapitalismus zwar von Menschen gemacht wurde, aber längst nicht mehr von ihnen kontrolliert wird – sein Alleinstellungsmerkmal liegt in einer entscheidenden Eigenschaft, die bisher kaum erkannt und formuliert wurde, selbst von den Wissenschaften nicht: seine historisch beispiellose selbstregulative Funktionalität außerhalb des menschlichen Gesichtskreises. Der Kapitalismus ist ein imaginäres Ordnungsprinzip, das sich gleichwohl real und anscheinend unveränderbar etabliert hat. Dieses Ordnungsprinzip entzieht sich zunehmend traditionellen Werten und ethischen Normen, das Prinzip kann nicht konsensfähig sein, weil es keinen Konsens kennt, sondern nur Erfolg – ihm haftet deshalb auch nichts Visionäres an, Solidarität ist ihm fremd, ihm fehlt es faktisch an jeglicher Ausrichtung auf eines oder gar auf mehrere Ziele hin, die man gesellschaftliche Ideale nennen könnte. Dieser von der humanen Dimension abgehobene Neo-Kapitalismus macht was er will, mechanistisch und gesichtslos, ohne dabei über einen eigenen Willen zu verfügen – darin liegt kein Widerspruch, das ist das Erschreckende an ihm. Auf diese Weise hat sich zum ersten Mal in der Geschichte neben einer sozialen Infrastruktur eine asoziale Extrastruktur herausgebildet, die als solche bisher unzureichend wahrgenommen wird. Vor diesem Hintergrund wird umso klarer, dass neben der systematischen Tabuisierung des Themas vor allem ein Erkenntnisdefekt verhindert, sich mit dem Kapitalismus entschlossen und am Ende erfolgreich auseinanderzusetzen.

Als ich vor langer Zeit einmal an die tunesisch-algerische Grenze kam, hatte ich ein eigentümliches Erlebnis – es war Frühling, ich fühlte mich in ein weißes Blumenmeer versetzt. Die Grenze lag noch ein paar Kilometer entfernt, ich hielt an und stieg aus dem Auto, um mir die Blütenpracht näher anzusehen, mich interessierte auch der Duft… aber schon beim Aussteigen sah ich, worauf ich hereingefallen war: auf zehntausende Plastikfetzen, die sich in den kargen Büschen verfangen hatten, alles Reste von Plastiktüten. Es war deprimierend, nicht zum ersten Mal, ich dachte an die verschandelten Strände rund um das Mittelmeer, an grüne Wälder, die sich beim Eintauchen als Müllhalden erwiesen, an Hünengräber voller Unrat, an die Bewässerungskanäle von Kairo, in deren Schlick die Armen zwischen bunten Kunststoff-Eimern, Ziegenkadavern und zerfetzten Sofas nach Wertvollem suchten. Nun will man die Plastiktüten-Pest eindämmen – mit welchem Erfolg, das wird sich zeigen… doch -zig Milliarden Plastiktüten haben sich bereits auf der Erde und im Meer verteilt. Wer trägt die Schuld daran? Kein Mensch, es ist der Kapitalismus. Wer hat zu verantworten, dass sich in 80 Prozent aller Albatross-Mägen mindestens 15 Plastik-Teile von insgesamt mehr als 10 Gramm befinden? Nicht die Menschen haben das zu verantworten, denn die Menschen würden das auf keinen Fall wollen, sie verehren die Albatrosse, diese majestätischen Seevögel – es ist der Kapitalismus, der zu verantworten hat, dass auch diese Tiere in ihrem Bestand gefährdet sind. Man kann solche Beispiele tausendfach anführen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass niemals Menschen für etwas geradestehen, sondern immer nur Unternehmen, immer „nur“ anonyme Unternehmen, deren scheinbar natürliches Profitstreben als kapitalistischer Grund-Impetus gleichsam vergöttert wird.

Doch fast alle glauben an den Kapitalismus, ohne ihn geht es anscheinend nicht, in der Gegenwart und auch in der überschaubaren Zukunft nicht, sofern denn eine lebenswerte Zukunft erhalten bleibt. Andererseits kann es mit dem Kapitalismus offensichtlich nicht so weitergehen, wenn die Menschen ihre gemeinsame Zukunft sichern wollen. Als einziger praktikabler Ausweg bleibt, den Kapitalismus menschengerechter zu gestalten, aber – wie schon ausgeführt – kann man sich noch nicht einmal über diese Zielvorgabe einig werden, und dass es nicht gelingt, ist ein geradezu erschütterndes Armutszeugnis für den menschlichen Intellekt. Was hat die Aufklärung gebracht? Die Befreiung aus Irrationalität des Religiösen? – die Idee von einem autonomen Menschen im Sinne von Descartes, Kant und schließlich Hegel? – das naturwissenschaftliche Weltbild mit dem technischen Zeitalter, dessen Faszination rapide schwindet? Tatsächlich brachte die Aufklärung ein neuartiges Denken in seiner ganzen Vielfalt hervor, aber sie brachte keinerlei Fortschritt in Bezug auf eine neue und einigermaßen befriedigende Selbstverortung des abendländischen Menschen, nachdem er sich in einem über 300 Jahre dauernden Prozess von der Religion losgesagt hatte. Das Kreuz mit der Aufklärung ist, dass sie uns in einen tiefen Erklärungsnotstand über den Sinn unserer Existenz hinein geworfen hat. Man könnte auch sagen, dass die Aufklärung dem Menschen seine eigene Verklärung zu einem materialisierten Universalwesen ermöglichte, gleichermaßen eine ontologische Schein-Emanzipation, die in trügerische Orientierungslosigkeit mündete. Zwar wäre der Kapitalismus auch unter einer andauernden religiösen Vorherrschaft entstanden, jedoch hätte er unter keinen Umständen diese rigorosen Formen annehmen können, er hätte niemals in den Rang einer Ersatzreligion treten können. Wenn die europäische Zivilisation mit Unbehagen auf den Islam schaut, dann wegen der Entfremdungseffekte und wegen der vermeintlichen Terrorgefahr, die von ihm ausgeht… oder steckt noch mehr dahinter? Gibt es für dieses europäische Unbehagen noch andere Gründe? Ja, da ist noch mehr, viel mehr. Die islamischen Völker kennen den Spagat zwischen Physik und Metaphysik nicht, sie mögen zwar einen zivilisatorischen Aufholbedarf haben, aber sicher keinen in der Sinnsuche nach einem umfassend erfüllten Leben, so wie sie viele Westmenschen umtreibt. Die meisten Moslems sind, das glaube ich zumindest, mit sich und mit der Welt im Reinen – dazu verhilft ihnen ihr Glauben, ähnlich wie der Glauben auch dem ärmsten Hindu gestattet, sein Leben gelassen zu nehmen.

Solche Einsichten können neidisch machen, selbst wenn man nicht zum Islam konvertieren will oder sich im Buddhismus ausprobieren möchte. Der Kapitalismus enthebt mich scheinbar aller existenziellen Sorgen: Nahrung, Kleidung, Wohnung, Ordnung, alles da, alles sogar im Überfluss da, was will der Mensch mehr… und doch ist der Kapitalismus ein schlimmer, bösartiger Räuber: Er raubt mir das gute Gewissen, er raubt mir meine Menschlichkeit, meine Reflexe, auch für andere Sorge zu tragen, er raubt mir meine Empfindsamkeit, er senkt meine Hemmschwellen für Grausamkeiten, er macht mich immer mitleidloser, er raubt mir alle Exotik ferner Länder, er raubt mir das Faszinosum einer wunderbaren Natur, von der ich ein Teil bin, er raubt mir eine heile Welt, eine heile Erde, er raubt mir die heilige Erde. Das ist zu viel – der Preis ist zu hoch ein versorgtes Vegetieren.

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So schön ist Deutschland

02 Samstag Aug 2014

Posted by deeplooker in So schön ist Deutschland

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Deutschland, das sagten mir schon viele Deutsche, müsse entdeckt werden, es sei ein so schönes Land, dass man nicht ans Mittelmeer oder gar in die weite Welt reisen müsse, um einen wunderbaren Urlaub zu genießen. Obwohl ich mehr in die Ferne orientiert war, hatte mich die Häufung derartig gut gemeinter Ratschläge nachdenklich gemacht, ich nahm mir vor, zumindest gelegentlich tiefer in mein Land einzutauchen. Die ersten Wanderschuhe meines Lebens trugen mich durch den bayrischen Wald, doch stapfte ich eher ratlos durchs Gehölz, abends im Wirtshaus starrte ich ungläubig auf mächtige kalte Platten: Preßsack, Leberwurstkanten, Schinken, Mettwurst, Kopfsülze, Landjäger, gekrönt von finderdicken Käsescheiben – ich lustwandelte durch die mecklenburgische Seenplatte, sogar auf einem angemieteten Wohnschiff, Höchstgeschwindigkeit fünf Kilometer pro Stunde, ich angelte ebenso beharrlich wie erfolglos, ich gab mich der Beschaulichkeit hin, der Ruhe, und ich unterdrückte die Langeweile – nach Zahlung der Kurtaxe schlenderte ich auf der Deichkrone an den Nordseewellen entlang, dachte an den Blanken Hans, an Sturmfluten, an die Wikinger, an Seeräuber, während sich um mich herum das Ferienfamilienleben abspielte, man stritt sich um das Badehandtuch, die Frau hielt das Töchterchen ab und den durstigen Mann in Schach – ich unternahm eine Fahrt mit der Barkasse über den Königsee, was wegen der vielen begeisterten Fahrgäste aus Übersee zu einer Geduldsprobe ausartete – auf einen Geheimtipp hin erschnupperte ich die echte Ruhrpott-Atmosphäre in Essen, dort schließlich in einer Kneipe, wo mich freundliche Ruhrpöttler mit Altbier vollpumpten, so dass ich bis heute nicht weiß, wo ich die Nacht verbrachte.

Ja, dieses unentdeckte Deutschland lieben wir, diese Vielfalt, die Herzlichkeit der Menschen, sofern sie denn zum Vorschein kommt, die geordneten Kleinode der Natur, die aufgeräumten Räume, die Romantik gegen Gebühr, die Ruh über den Wipfeln, die Gemütlichkeit auf den Holzbänken. Doch dazwischen erstreckt sich das andere Deutschland, die Ödnis, die Hässlichkeit, die verschandelten, zumeist vermaisten und verwaisten Landschaften.

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Dieses Land hat in weiten Teilen auch den Charakter einer Tristesse, zumal optisch. Das Auge isst mit, sagt man, und das Auge inhaliert auch die Umgebung des Menschen. Wie stark die Umgebung das menschliche Wohlbefinden beeinflusst, darüber schweigt man sich in Deutschland lieber aus, das ist kein Thema, ich wüsste nicht, dass diese Problematik überhaupt schon einmal öffentlich diskutiert wurde. Die meisten Leute müssen in einer baulich und verkehrsmäßig fatal überstrukturierten Umwelt leben, in einer Welt, die ihre natürlichen Sinnesbedürfnisse verkümmern lässt. Der Urlaub im Engadin, die Ferien an einem einsamen schwedischen See, ein Strand einmal ganz für sich allein – das sind auch Fluchten vor der Betonwüste, vor den Agrarwüsten und vor massiv überstrapazierten Landschaften.

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Es gibt zu viele Menschen, und das Geld macht alles kaputt, das sind nicht nur abgedroschene Sprüche – in unseren verdichteten, durchökonomisierten Lebensräumen verfallen die ästhetischen Grundansprüche. Das Gefühl für Schönheit, so individuell verschieden es auch sein mag, wird von vermeintlichen Highlights aus zweiter Hand verzerrt und überlagert. Im Ergebnis provozieren wir Schönheit immer fiebriger, doch wir produzieren dabei hauptsächlich Abstoßendes.

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Besonders die Deutschen neigen dazu, Ästhetik bedenkenlos mit Ordnung zu vergewaltigen. Was in Deutschland als ansehnlich gilt, das sieht häufig öde und funktional aus. Ordnung ist das halbe Leben, meinetwegen, aber mehr auch auf keinen Fall. Und was das schöner Wohnen anbelangt – ich habe nur wenige Villen von innen gesehen, doch keine von ihnen hat mich ästhetisch überzeugt, ich fand die Bauweise übertrieben, nicht stilsicher, zu plump um den großartigen Eindruck bemüht, die Inneneinrichtung viel zu überladen, Ansammlungen von Erlesenem, nur ohne Preisschild, fast geschmacksverirrt. Ich hätte in keiner von diesen edlen Behausungen meinen Alltag verbringen wollen, und wer nun meint, dass durch diese Einschätzungen der reine Neid hindurchscheint, der mag mit dieser Ansicht glücklich werden.

Es geht um die optische Gesamtanmutung des öffentlichen Raumes und der sogenannten deutschen Kulturlandschaft – hier muss ein neues Bewusstsein geschaffen werden, das sich den allgegenwärtigen wirtschaftlichen Notwendigkeiten entgegenstellt. Die Landschaft ist zu einer Art Desktop geworden, bis auf Neuschwanstein und das Elbsandsteingebirge, die Landschaft wird zu einer Arbeitsfläche, zur wenn auch einzigen, so doch irgendwie nichtigen Existenzgrundlage, wir beuten sie aus, wir bauen sie voll, wir versiegeln sie mit Pflastersteinen und Asphalt, wir malträtieren sie, wir jagen besinnungslos durch sie hindurch, manchmal mit tödlichen Folgen:

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Krieg in dieser Zeit

31 Donnerstag Jul 2014

Posted by deeplooker in Krieg in dieser Zeit

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Der Erste und der Zweite Weltkrieg waren in erster Linie europäische Kriege – obwohl beide weltweite Folgen hatten, waren es keine weltumfassenden Kriege, auch nicht angesichts des Krieges zwischen den USA und Japan, der 1941 mit Pearl Harbour begann. Aber man kann es wohl als Weltkrieg begreifen, wenn gleichzeitig mehrere mächtige Staaten militärisch aufeinander prallen. Während des langen Kalten Krieges hing der mögliche Dritte Weltkrieg wie ein Damoklesschwert über den Völkern, vor allem über den europäischen.

Ein dritter großer Krieg hätte unweigerlich einen wirklichen Weltkrieg bedeutet, weil durch gegenseitige Atomschläge die Existenzbedingungen aller Menschen auf der Erde schwer beschädigt worden wären. Nachdem sich die akute Bedrohung durch den Kalten Krieg in eine relative durch die verbliebenen Atomwaffen verwandelt hatte, konnte man immerhin erwarten, dass die Welt viel friedlicher werden würde. Diese Einschätzung erwies sich schon bald als falsch.

Besonders die Vereinigten Staaten von Amerika weigerten sich, die Konsequenz des Friedens zu ziehen – zwar reduzierten die beiden ehemaligen Kontrahenten die Zahl ihrer Atomsprengköpfe beträchtlich, und die Start-Verhandlungen (Strategic Arms Reduction Talks bzw. Treaty) werden bis heute weiter geführt, aber Tatsache ist, dass die USA seit 1989 enorm aufgerüstet haben, nur mit „moderneren“ Schwerpunkten, hin zu kleineren, dafür flexibler einsetzbaren Waffensystemen. Außerdem wurden die amerikanischen Truppen nicht aus Deutschland abgezogen, das die imaginäre Frontlinie des Kalten Krieges durchzogen hatte. Bis heute bleibt man auf Vermutungen angewiesen bei der Frage, warum die Deutschen nach der Wiedervereinigung niemals den Truppenabzug verlangten, wo doch die russischen Soldaten aus Ostdeutschland restlos verschwunden waren. Die Friedensdividende, die so viele Menschen herbeisehnten, wurde von den Vereinigten Staaten krass ignoriert, sie wurde nicht für eine bessere Welt ausgezahlt, allerdings von den anderen Nationen auch nicht in angemessener Weise, auch das muss festgestellt werden.

Für die Bedrohung spielt es keine Rolle, dass die Zahl der Atomsprengköpfe halbiert wurde, man kann damit immer noch den ganzen Globus in die Luft jagen – die nukleare Katastrophe ist nur in den Hintergrund gerückt, sie existiert als realistisches Schreckensbild nach wie vor. Man gebe sich hier keinen Illusionen hin, denn auf die letalen Knöpfe kann weiterhin gedrückt werden. Die generelle Kriegsgefahr hat im Vergleich zum Ende des vorigen Jahrhunderts sogar zugenommen, unter diesen veränderten Gesichtspunkten:

1. Zuspitzung der sozialen Gesamtlage: Die Lebensbedingungen der meisten Menschen auf der Welt verschlechtern sich rapide – damit steigt die Wahrscheinlichkeit militärischer Konflikte.

2. Verschwimmende Definition von Krieg: Kriege sind immer schwieriger als solche zu identifizieren, die Kriterien vernebeln sich zusehends. Häufig liegen kriegsähnliche oder bürgerkriegsartige Zustände vor, zum Beispiel im Irak, in Afghanistan, in Syrien, eigentlich an der ganzen Levante mit dem Libanon, mit Isreal und Palästina, in Libyen, im Süd-Sudan, siehe Dafur, im chaotischen Somalia, in Mali, und neuerdings besonders bedrängend in der Ukraine. Selbst in Ländern wie Kolumbien – Stichwort 50 Jahre Bürgerkrieg – in Nigeria, in der Demokratischen Republik Kongo oder in Pakistan herrscht kein Frieden.

3. Waffentechnisch anonymisierter Krieg: Je weniger er greifbar wird, desto niedriger wird auch die Schwelle zum Krieg. Vornehmlich Drohnen, aber auch andere ferngelenkte Waffen machen es heute möglich, Länder in einen dauernden Quasikriegszustand hinein zu zwingen, dem sie wehrlos ausgesetzt sind.

4. Von außen induzierter Krieg: Lokale Kriege, gerade zwischen Volksgruppen, werden von einer fremden Macht durch verdeckte Aktivitäten provoziert, um ökonomische oder geostrategische Interessen zu verfolgen, die durchgehend verschleiert bleiben. Solche Kriege werden immer bedenkenloser angezettelt, sie werden zunehmend zu einem Mittel der internationalen Politik, wobei Menschlichkeit und Moral unter den Tisch fallen.

5. Krieg als Instrument für die Implementierung der Weltgesellschaft: Egal wo, ob in Thinktanks, ob in mysteriösen Geheimbünden oder ob schlichter in den Spitzenrängen der Politik und der Wirtschaft – man ist sich hinter den Kulissen der Macht stillschweigend darüber einig, dass es nur über Kriege möglich sein wird, eine stabile Globalgesellschaft nach eigenen Vorstellungen zu etablieren. Den größten Teil der Menschheit haben die Weltverunstaltungsgestalter in ihren Köpfen bereits als Kollateralschaden abgehakt: weg damit, eliminieren, es sind sowieso zu viele. Der Westen wird seine militärische Übermacht weiterhin aufrechterhalten, nicht allein weil er sich vor Überfällen eines Rivalen schützen will, und schon gar nicht, weil er sich vor Terroristen schützen will… der Westen hat inzwischen nicht mehr nur gegen das Böse aufgerüstet, sondern gegen die Menschen selbst, deren Massenhaftigkeit als bösartig betrachtet wird.

6. Krieg als existenzieller Selbstzweck: Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Zivilisation den Krieg als normale Variante des Daseins akzeptiert und zu einem gewissen Maße verinnerlicht hat – dieser Befund wird zurückgehalten, weil er die Menschheit kläglich dastehen lassen würde. Wenn sich im Kriegführen ein kollektives Durchsetzungsvermögen manifestiert, das positiv besetzt ist, dann vernichtet das Kollektiv damit den Wert des Individuums: Der Mensch als Person und als großartige Persönlichkeit hat sein Lebensrecht oft schon mit der Geburt verwirkt – der Mensch, die Krone der Schöpfung, wird in seiner Bedeutung wie durch eine entsetzliche Obsession nachrangig, sein Leben verkümmert zu einer grotesken Gnade, die willkürlich gewährt oder entzogen wird.

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Mit Dirk C. Fleck in die Zukunft

22 Dienstag Jul 2014

Posted by deeplooker in Mit Dirk C. Fleck in die Zukunft

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Es gibt mehrere Öko-Päpste, sogar der echte Papst Franziskus wird Öko-Papst genannt. Einer der ersten, dem dieses Etikett angehängt wurde, war der alternative Journalist Franz Alt, der vor ein paar Tagen 76 Jahre alt geworden ist. Danach kamen weitere Öko-Päpste, darunter auch, man sollte es nicht glauben, Terminator Arnold Schwarzenegger Weiterlesen →

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Lügen bis zum Exzess

20 Sonntag Jul 2014

Posted by deeplooker in Lügen bis zum Exzess

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Es gibt ein Buch „Die Wahrheit über das Lügen“ und einen Film „Die Wahrheit der Lüge“ – dass ich Ihnen diese Werke empfehlen könnte, wäre gelogen.  Vor vielen Jahren kam es zu einem Vorfall bei einem Gebrauchtwagenhändler, den ich nie vergessen habe, es war eigentlich kein Vorfall, es waren nur zwei Sätze, er sagte sie nebenbei, während er auf einen knallroten alten Opel Kadett zeigte: „Die Karre können Sie vergessen, die verreckt Ihnen nach 100 Kilometern.“ Mir fiel keine Antwort ein, ich fragte mich, ob der Mann den falschen Beruf gewählt hatte. Den Kadett nahm ich trotzdem, natürlich mit Preisnachlass, weil mich sein Schiebedach faszinierte, er verreckte auch erst nach über 1.000 Kilometern in den Vogesen, ich hätte ihm in seinem Alter keine hügeligen Regionen mehr zumuten dürfen.

Der moderne Mensch, besonders in seiner Eigenschaft als Konsument, ist auf die Lüge angewiesen. Die Wahrheit würde ihn völlig durcheinander bringen. „Das Jackett steht Ihnen ausgezeichnet, mein Herr!“ Danke, nichts anderes wollte ich hören, selbst angesichts des sackartigen Kleidungsstückes. Das Schnellgericht schmeckt so wie auf dem bunten Foto suggeriert, man muss es nur wollen. Ohne fortwährende Autosuggestionen funktioniert das Leben nicht, sie sind alltäglich, deshalb nennen wir sie Kompromisse – es geht schon morgens vorm Spiegel los, schon mit der ebenso hartnäckigen wie naiven Erwartung, dass man nach ein paar Händen voll Wasser im Gesicht besser aussehen würde. Bevor die Lüge in den Blickpunkt kommt, muss erst einmal der Selbstbetrug als lebenserhaltende Gewohnheitslüge von ihr abgesetzt werden.

Diese Art der Gewohnheitslüge ist nicht nur für das eigene Ich wichtig, sie hat auch im Umgang mit anderen Menschen einen großen Stellenwert – es gleicht einem Selbstmord-Kommando, seinen Mitmenschen ständig die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, das hat noch keiner dauerhaft geschafft. So werden die den sozialen Umgang stabilisierenden Kleinlügen insgesamt zu einem Phänomen, das zwischen Lüge und Wahrheit angesiedelt ist, in einer Zwischensphäre, die jedoch mehr als Wahrheit empfunden wird denn als Lüge. Das freundlich-verlogene Weglassen vollzieht sich reibungslos jeden Tag aufs Neue, es ist eine biologisch angelegte Verformungsroutine der Wirklichkeit, eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren der Gemeinschaft. Die Routine läuft unbewusst und automatisch ab, sie imaginiert Personen, sie schafft Bilder, von denen wir ahnen, dass sie nicht die Realität darstellen – wir wissen es nur nicht, wir kümmern uns nicht weiter darum, weil wir es nicht wissen wollen. Im Ergebnis leben wir in einer sekundären, doch keineswegs nachrangigen Bilderwelt, die auf unserer primären Bilderwelt aufbaut. Alle Leute im Alltag, vom Partner bis zum Postboten, sind zu einem Teil Phantasiewesen, so konkret sie auch auftreten, wir können ihnen niemals so begegnen wie wir es täten, wenn wir sie wahrheitsgemäß wahrnehmen würden.

Wir müssen uns unsere überschaubare Welt zurechtflunkern, es geht nichts anders. Das führt zu der Frage, ob wir solche Relativierungen auch auf die für uns weniger einsehbaren Bereiche übertragen. Selbstverständlich tun wir das, es ist eine unserer leichtesten Übungen – erst eine Distanz zu den schwerer zugänglichen und fremden Welten vermittelt uns die Sicherheit im eigenen Lebensumkreis. Zu vielfältige externe Probleme sind unbeliebt, weil die persönlichen schon groß genug sind. In diesen inneren Abstand schleicht sich oft unbemerkt die Lüge, und dann wird sie tückisch, weil sie den kritischen Blick auf die Wahrheit aus Verunsicherung heraus abwehrt. Für die meisten Menschen bewährt sich die Methode, lieber nicht näher hinzuschauen – wer immer darauf achtet, um alle scheinbaren Überforderungen gleich einen Bogen zu machen, der wird am ehesten ein glücklicher Mensch, auch wenn es ein teuer erkauftes Glück ist, das auf den tönernen Füßen der Ignoranz ruht. Wo ich nichts verstehe, da muss ich auch nicht lügen, nicht spekulieren und mich schon gar nicht für irgendetwas rechtfertigen – alles wichtige Gesichtspunkte bei der Lebensbewältigung. Das eigene, sich selbst souverän attestierte Unverständnis bietet gerade dann, wenn es im Grunde nur ein vermeintliches ist, dem Individuum entscheidende Rückzugsräume, als letzte Bastion gegen den Fluch einer Realität, die von Tag zu Tag unbegreifbarer wird. Dieser Schutzmechanismus hat sein Gutes, er hat allerdings auch eine dunkle Schattenseite: Man kann sich nicht end- und grenzenlos von allem anwenden, ohne letzten Endes ein teilnahmsloser Inselbewohner zu werden – womit man wieder bei der Lüge angekommen wäre.

Mit den komplexeren Lebensverhältnissen wird die Lüge immer mehr zu einem Wahrheitsersatz, sie wird gleichsam zu einer Droge, deren Substanz eine unheilvolle Mischung aus Pragmatismus und Utilitarismus ist: Die Lüge droht unabdingbar zu werden, die Gesellschaft braucht sie, wir brauchen sie, weil wir ohne sie einfach nicht mehr auskommen, weil uns ohne durchgehende Lebenslügen keine positive Selbsteinordnung mehr gelingt. Doch Durchschnittsmenschen sind keine Diktatoren, die über ihre brutalen Lebenslügen schulterzuckend hinweggehen, sie sogar noch böse belächeln, Durchnittsmenschen sind, entgegen ihrem Ruf, sehr empfindsame Wesen, die mit sich und mit ihren Lebensumständen im Reinen sein möchten, ob mit oder ohne Gott, Durchschnittsmenschen sind auch nicht die dumpfen Konsumentenmassen, als die sie gerne hingestellt und verachtet werden. Die Durchschnittsmenschen machen die Existenz des Menschen aus, kollektiv und überhaupt, sie stellen die Menschheit in ihrem Ganzen dar, sie verkörpern damit die über allem stehende Instanz – ausschlaggebend sind eben nicht die verlogenen Manipulateure, nicht die sendungsbewussten Verschlimmbesserer der Welt, nicht die Konditionierer des menschlichen Wesens und ganz sicher nicht die Anhänger von Elite-Ideen in Bezug auf die Menschen. Deshalb ist es entscheidend, dass die Lüge nicht unbemerkt institutionalisiert wird, der Durchschnittsmenschen darf nicht noch tiefer in ein Lügengewebe eingesponnen werden, man darf ihn nicht über Gleichschaltung und rücksichtslose Realitätsverdrehungen auch noch seiner Restautonomie berauben.

Was ist das für ein Bildungssystem, das nur noch Knechte hervorbringt, egal ob sehr intelligente oder weniger intelligente? Es ist eine sanktionierte Verunstaltung der Möglichkeiten, die in den meisten Menschen schlummern, und das sind tatsächlich großartige Möglichkeiten. Schon im Bildungssystem manifestiert sich eine gigantische Lüge, ein Missbrauch des Menschen. Letztlich aber ist es das Geld, das die Menschen bis ins Mark ruiniert, auch die Wissenschaften prostituieren sich, wofür: für Geld. Aus diesem stinkenden Sumpf sprießen die Lügen wie Lianen, wie Schlinggewächse, die alle und alles einschnüren wollen.

Ich komme noch einmal, was vielleicht der eine oder andere Leser erwartet hat, auf die Anschläge vom 11. September 2001 zurück: Allein das Geld ist für diese ungeheuerlichen Verbrechen verantwortlich, die Geldgier in der Mimikry von Machtansprüchen – nicht die jämmerlichen Figuren aus der US-Aministration, nicht der CIA inklusive all seiner Wucherungen, nicht eine Reihe von blind gehorsamen Patrioten mit der rechten Hand auf der linken Brust, und schon gar nicht ein flüchtig zusammengesuchter Haufen von arabischen Terroristen-Trotteln… nein, es war das Kapital, das diese Katastrophe ausgelöst hat. 9/11 ist mehr als eine Lüge, das macht dieses Datum fast epochal, 9/11 ist das bluttriefende Entree in eine sich perfektionierende Lügenwelt, in eine Welt außer Kontrolle, weil sie wenigen anonymen Menschen in die Hände gefallen ist, die sich wie Berserker an ihrer eigenen Spezies vergreifen – ich will diese Menschen nicht mit aller Macht bestraft sehen, sie sind mit dem, was sie bereits an Unheil angerichtet haben, bestraft genug, es geht darum, die Lügen zu beenden, den Einfluss bestialischer Machtzusammenrottungen energisch zurück zu drängen und damit auch die Übermacht des Kapitals.

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Der Verschwörungswahn

14 Montag Jul 2014

Posted by deeplooker in Der Verschwörungswahn

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Nein, noch immer ist nicht Schluss mit 9/11, ich bin noch auf dem Trip. Wenn Ihnen das nicht gefallen sollte, dann können Sie den Sermon ja wegklicken, das raubt mir nicht den Schlaf. Aha, Sie lesen weiter… darauf habe ich natürlich spekuliert, nicht grundlos, denn die Natur hat den Menschen, was oft als störend empfunden wird, auch mit einer Art von interesseloser Neugier ausgestattet, und dieser Umstand gibt mir nun die Gelegenheit, Ihnen mitzuteilen, dass ich einen Brief geschrieben habe, in Form einer E-Mail. Der Empfänger ist ein ebenso seriöser wie erfahrener Journalist, seinen Namen behalte ich aber für mich, denn es würde sich nicht gehören, ihn ohne Erlaubnis zu nennen. Als ich den Brief zur Kontrolle noch einmal überflog, da fiel mir ein, dass ich sowieso einen kleinen Text zu dem dort angesprochenen Thema schreiben wollte und dass ich stattdessen einfach den Brief verwenden könnte – hier ist er also:

Sehr geehrter geehrter Herr …,

Sie gehörigen zu den wenigen wirklich investigativen Journalisten in Deutschland, dafür meine Anerkennung. An der Wahrheit über 9/11 gibt es auch für mich nichts mehr herumzudeuten, die Analyse ist weitgehend abgeschlossen, es war zweifellos ein Inside-Job. Als Folge der Entlarvung bleibt den Anhängern der offiziellen Version und damit auch den Mainstream-Medien nur noch der Ausweg, die Zeit für sich arbeiten zu lassen – weil ihre Argumente nicht nur entkräftet sind, sondern weil sie sich als so konstruiert erweisen, dass bereits die gebetsmühlenhafte Wiederholung kontraproduktiv wirkt. Dieses Dauerdilemma macht es notwendig, jede Form der öffentlichen Diskussion über die Ursachen von 9/11 unbedingt zu unterdrücken.

Es geht mir eigentlich um die Anschläge vom 11. September 2001, ihnen gilt mein Hauptinteresse, und im Zusammenhang damit bin auf Ihre Person gestoßen – ich schreibe bewusst „eigentlich“, denn je mehr Bücher ich dazu gelesen hatte, je länger und ausführlicher ich mich im Internet über 9/11 informierte, desto mehr schoben sich zusätzlich andere Gesichtspunkte ins Blickfeld, die mich anfangs überraschten. Auf einen dieser Gesichtspunkte will ich näher eingehen:

Sobald in den Medien 9/11 zur Sprache kommt, wird sofort die Verschwörungskeule geschwungen, das gleicht schon fast einer kollektiven Zwangsneurose. Mich ärgert, dass es dem Mainstream dabei zu leicht gemacht wird, doch weshalb? Weil die engagierten Betreiber des Aufdeckens, oder sagen wir mal die „Truther“, oft semiprofessionelle Verschwörungsspezialisten sind, so wie es zum Beispiel auch bei Ihnen in gewissem Maße der Fall zu sein scheint. Es geht mir hier aber wohlgemerkt nicht darum, Vorwürfe an Sie zu richten, sondern es geht mir nur darum, auf eine Schwäche hinzuweisen: auf die weiche Flanke, die man auf diese Weise den Gegnern darbietet.

Man muss nicht jeden Verschwörungstopf mit auslecken. Im Internet gewinne ich zunehmend den Eindruck, dass es kaum ein historisch oder politisch bedeutendes Ereignis gibt, bei dem keine Verschwörung unterstellt wird, das nervt… um alle diese Fiesitäten und Ränkespiele kann ich mich nicht kümmern. Waren die Menschen auf dem Mond? Selbstverständlich waren sie vermutlich auf dem Mond, ich gehe davon aus. Wer hat Pearl Harbour angezettelt, wer den Zwischenfall im Golf von Tonkin? Haben sich Mundlos und Bönhardt tatsächlich selbst weggepustet, mit einer langen Pumpgun durch die Schläfe und dabei auch noch durch das Dach des Wohnmobils geschossen? Sie werden es wissen, das ist immerhin tröstlich. Ich aber gebe mich geschlagen, ich passe, weil ich mich nicht verrückt machen lassen will. Zu viele Verschwörungen überall relativieren die tatsächlichen, die ungeheuerlichen. 9/11 darf nicht einfach im Verschwörungssumpf untergehen – dazu war dieses Datum zu folgenreich für die Gegenwart und für die Zukunft. Es muss gelingen, die einmalige Sonderstellung dieses wahnsinnigen Verbrechens in der öffentlichen Wahrnehmung hervorzuheben.

Ich ahne, was in Madrid und in London geschah, ich habe eine, zugegebenermaßen nur ungefähre Vorstellung vom internationalen Staatsterrorismus, ich habe auch Osama bin Laden nie mausetot gesehen – doch über all dem schwebt der fürchterliche Drache von 9/11, der mit seinem Feuerspeien seit diesem Tag die Welt unterjochen will… oha, reichlich dramatisch formuliert, ist aber nun egal. Die feige Bande um Bush, Cheney, Rumsfeld, Rice & Co. muss jedenfalls gestellt werden, das hat Vorrang, und diese Vordringlichkeit sollten sich auch die, sagen wir 15 bis 20 deutschen „Frontkämpfer“ gegen die 9/11-Lüge bewusst machen. Stattdessen beschäftigen sich bemerkenswert viele von ihnen parallel dazu mit Engelserscheinungen, mit freier Energie, mit Kornkreisen, mit düsteren Prophezeiungen, mit außerirdischen Präsenzen unterm Sofa oder, die wird besonders gern genommen, mit der ewigen jüdischen Weltverschwörung – so disqualifiziert man sich in der eigenen Empörung über ein akutes Weltproblem, man setzt sich sogar der Lächerlichkeit aus und schadet einem außerordentlich wichtigen Anliegen.

Mir fällt auf, dass offenbar keine bekannte deutsche Organisation existiert, die sich ausschließlich der Aufklärung von 9/11 verschrieben hat… vielleicht weiß ich es auch bloß nicht. Wenn das aber zutreffen sollte, dann fehlt eine solche Gruppe, dann sollte man überlegen, ob es sinnvoll wäre, sie zu gründen. Nur nebenbei: Ich sicher nicht, ich wäre für soetwas ganz ungeeignet. Wie könnte die Gruppe aussehen? In welcher Form sollte sie sich organisieren? Wie müssten die Persönlichkeiten aussehen, die sie repräsentieren? Professoren und Wissenschaftler sind immer gut, denkt man spontan, denn sie genießen hohes Ansehen – allerdings käme es mehr darauf an, Persönlichkeiten zu finden, die unabhängig sind, die nicht gleich in eine Schublade gesteckt werden. Natürlich würde man die Gruppe prompt mit Antiamerikanismus konnotieren, deshalb wären keine Leute dafür prädestiniert, die dem linken Lager zugeordnet werden, die also in dieser Schublade landen. Ich will das hier jetzt aber nicht weiter ausspinnen… es ist überhaupt fraglich, ob sich mehrere geeignete Menschen für diese Aufgabe zur Verfügung stellen würden. So, Schluss, ich bin sowieso schon zu lang geworden.

Mit freundlichen Grüßen

…

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Vom Elend des Mitleids

02 Mittwoch Jul 2014

Posted by deeplooker in Vom Elend des Mitleids

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Der Brahmane Aggika-Bhāradvāja hatte einmal ein Problem, er wusste nicht recht, wer gut und wer schlecht ist – da fügte es sich, dass gerade Siddhartha Gautama, besser bekannt als Buddha, bei ihm vorbeischaute, um wie gewöhnlich einen kleinen Imbiss zu erbitten. Buddha antwortete dem Brahmanen in Versen, die man zusammen als Savala-Sutta bezeichnet und die einen Teil des Sutta-Nipāta darstellen, einer umfangreichen Lehr-Dichtung aus den frühen Werken des Erleuchteten. Unter anderem verkündete ihm Buddha diese Weisheiten:

– Ob es Getier der Erde oder auch der Luft, wer Lebewesen hier verletzt, wer für Lebendiges kein Mitleid hat, ihn als Verworfenen kenne man. (117)
– Wer Dörfer, Städte einkreist, angreift und sie dann zerstört, berüchtigt ist als Landesplage, ihn als Verworfenen kenne man. (118)
– Nicht durch Geburt ist man Verworfener, nicht durch Geburt ist Priester man!
Durch seine Tat ist man Verworfener, durch seine Tat ist Priester man! (136/142)

Für Buddha war das Mitleid eine Tugend, die Verworfenheit eine Untugend durch Fehlverhalten im Leben – der Buddhismus kennt im Gegensatz zum Hinduismus keine Götter und kein Kastenwesen, der Erleuchtete lehnte also eine Schicksalszuweisung per Geburt ab, sein Menschenbild beruhte auf Ausgleich, ohne die Vorherbestimmung auszuschließen. Eine ähnliche Auffassung vom Mitleid als soziales Movens findet sich auch im Christentum, sie hielt sich sogar während der langen und dunklen Phase des Mittelalters, mit der Inquisition und den diktatorischen Anforderungen an die Glaubensreinheit.

In den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung bildeten sich zwei Mitleidsbegriffe nebeneinander aus, die Misericordia und die Compassio – ein berühmter Religionsgelehrter des frühen Mittelalters war Augustinus von Hippo (354-430), er beschrieb in seiner Abhandlung „De civitate Dei“ eine modern anmutende Vorstellung vom Mitleid, Zitat:

– „Was aber ist Mitleid anderes als das Mitempfinden fremden Elends in unserem Herzen, durch das wir jedenfalls angetrieben werden zu helfen, soweit wir können?“

Während das Mitleid als Compassio mehr auf die Leidensgeschichte Christi abhob, kam in dem Begriff Misericordia der Anspruch auf das konstruktive Mitleid zum Ausdruck, das heißt auf die Notwendigkeit, praktisch zu helfen und menschliches Leid zu mildern. Es ist aber nicht so, dass sich im Laufe der folgenden Jahrhundete ein stabiler karitativer Konsens in der Gesellschaft etablieren konnte – das tätige Mitleid führte als vage christliche Barmherzigkeit weiterhin ein Schattendasein, zumeist in Form kirchlicher Armenhäuser, und selbst dieses Schattendasein wurde – man sollte es nicht erwarten – ausgerechnet im Zuge der Aufklärung von manchen Philosophen in Frage gestellt.

Zu dieser Sorte Philosophen gehörte jedoch nicht Arthur Schopenhauer (1788-1860), der sich des Mitleids als Phänomen in besonderer Weise annahm, ein heute leider viel zu wenig beachteter Denker, für mich einer der bedeutendsten Philosophen der Aufklärung. Er schuf nicht nur eine Mitleidsethik, er rückte den suchenden Menschen mit seinem Schicksal in den Mittelpunkt, er war Idealist und tiefer Pessimist zugleich. Für Schopenhauer wurde die Welt zu einer gegebenen Existenzsphäre, die er zumindest potentiell nach seinen Vorstellungen gestalten kann – die „Welt als Wille“ – der „Primat des Willens“ als Grundprinzip des Lebens. Hier ein weiteres Zitat:

– „Die Welt ist meine Vorstellung. Was uns als Welt erscheint, ist nur für uns, nicht an sich.“

Eine Welt nur für uns… wie wunderbar formuliert, wie menschengerecht, wie zeitgemäß, wie dringlich, wie richtungweisend auch für die desolate Gegenwart. Der heute fast durchgehend verspottete Gutmensch war Schopenhauers visionärer Mensch, der seinem grundlegenden Wesen am nahesten kommt – im Gutmenschen, der Schopenhauer als Wort nicht geläufig war, zeigte sich für ihn der natürliche Mensch, nicht im blanken Egoisten, nicht im Verächter seiner eigenen Spezies, nicht im Barbaren, nicht im Zerstörer und im blinden Kriegstreiber. Schopenhauer orientierte sich auch am Buddhismus und am Sanskrit, er war weise, vielen galt er als Philanthrop, seine Schriften bilden einen beeindruckenden Fundus an Weisheiten und wirken teilweise wie eine Sammlung von Aphorismen, hier einige Beispiele im Zitat:

– „Empirisch betrachtet stellt sich das Mitleid dar als das wirksamste Mittel zur Linderung der menschlichen Leiden und zugleich als das Gegengewicht des Egoismus.“
– „Das Mitleid ist die alleinige echte moralische Triebfeder.“
– „Die Erklärung für das Phänomen des Mitleids ist auf psychologischem Wege nicht zu erreichen, sondern kann nur metaphysisch ausfallen.“
– „Grenzenloses Mitleid mit allen lebenden Wesen ist der festeste und sicherste Bürge für sittliches Wohlverhalten.“
– „Das Mitleid ist das ethische Urphänomen.“

Mitleid das ethische Urphänomen – diese fundamentale Erkenntnis sollte man der sogenannten modernen Zivilisation ins Stammbuch schreiben. Und man sollte nicht den Hinweis vergessen, dass Mitleid kein bloßes Sentiment ist, dass tätige Solidarität auch bei sieben Milliarden Mitmenschen Priorität haben muss, unabhängig von der schwierigsten Aufgabe der Zukunft, nämlich den globalen Bevölkerungsüberhang allmählich und in einer für alle möglichst erträglichen Form wieder abzubauen. Trotz seines Pessimismus ähnelte Arthur Schopenhauers Denken in vielen Aspekten dem Denken von Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), Schopenhauer wurde erst zehn Jahre nach Rousseaus Tod geboren, er lebte in einem späteren Stadium der Aufklärung.

Als Schopenhauer 56 Jahre alt war, wurde Friedrich Nietzsche (1844-1900) geboren, einer der schillerndsten deutschen Philosophen überhaupt. Anfangs konnte sich Nietzsche für Schopenhauers Schriften begeistern, unter anderem weil er auch ein Pessimist war – im Laufe seiner geistigen Ent- bzw. Verwicklung wendete er sich dann zunehmend gegen Schopenhauer, er wurde gleichsam zu einem Menschenhasser, der einen wahnwitzigen „Übermenschen“ erkor und sich damit zu einem Wegbereiter des Faschismus im 20. Jahrhundert machte. Friedrich Nietzsche polarisiert bis heute, an seinem Werk erhitzen sich immer noch die Gemüter – er war außerordentlich intelligent, er dachte sehr phantasievoll und ausgreifend – trotzdem konnte ich mich nie mit ihm anfreunden, weil das ungeheuerliche Ausmaß seiner Menschenverachtung alles Positive und möglicherweise auch Geniale in seinem Werk diskreditiert.

Für Nietzsche war Mitleid Schwäche, eine verdammenswerte Ausbildung menschlicher Erbärmlichkeit ohne jeden Anspruch auf Erbarmen, ein anthropologischer Grunddefekt, eine jämmerliche Eigenschaft – er bezeichnete das Christentum abwertend als „die Religion des Mitleids“, nicht umsonst trägt sein zentrales Spätwerk den Titel „Der Antichrist“. In diesen weitschweifigen und teilweise faseligen Betrachtungen zieht Nietzsche gnadenlos über fast alles her, was man mit einem humanen Miteinander verbindet: über den Glauben, über die Gottesfürchtigkeit, über das Gute, über die Liebe, über die Güte, über die Barmherzigkeit, über die Zivilisation und generell über die Werte der Aufklärung. Zu Schopenhauer schreibt er im Antichrist, Zitat:

„Schopenhauer war lebensfeindlich: deshalb wurde ihm das Mitleid zur Tugend…“

Hier einige weitere Zitate aus dem Antichrist:

– „Die Schwachen und Mißrathnen sollen zu Grunde gehn: erster Satz unsrer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.
– „Was ist schädlicher, als irgend ein Laster? – Das Mitleiden der That mit allen Mißrathnen und Schwachen – das Christenthum…“
– „Durch das Mitleid wird das Leben verneint, verneinungswürdiger gemacht, – Mitleiden ist die Praxis des Nihilismus.“

Ich nenne diese Aussagen Nietzsches unumwunden pervers, es sind Dokumente eines kranken Individuums, Zeugnisse eines Verwirrten – dieser Zustand musste bei ihm schon lange vor seinem Verfall in die geistige Umnachtung vorgelegen haben, damit auch lange vor dem Jahr 1889, als er in Turin ein Pferd umarmte und sogenannte „Wahnsinnsbriefe“ an Bekannte geschickt hatte, von denen er einen mit „Der Gekreuzigte“ unterzeichnete. Allerdings… in Deutschland umgibt ihn nach wie vor die merkwürdige Aura eines philosophischen Überfliegers, er bleibt präsent in der Fama eines Genies. Friedrich Nietzsche ist der teutonische Ja-aber-Philosoph, Kritik an ihm wird zumeist prompt relativiert, wobei argumentative Verrenkungen kaum eine Rolle spielen. Für mich erhärtet sich der Verdacht, dass die Gründe für die hartnäckige Affinität auch im deutschen Wesen zu finden sind.

Mitleid hat keine Konjunktur – ihm ist in der öffentlichen Wahrnehmung nur ein nachrangiger Stellenwert beschieden. Ungleich populärer sind das Durchsetzungsvermögen und das forsch zielgerichtete Handeln. Man könnte meinen, dass eine Art von netter, fast aufgeräumter Rücksichtslosigkeit Mode geworden ist, das freundliche Schulterklopfen, kurz bevor einem ein Bein gestellt wird. Nur in der Familie, sofern vorhanden, wird das Mitleid noch handfest praktiziert, ansonsten wird es den Menschen gern im Fernsehen tränengerecht serviert, wenn etwa in der Tiefe eingeschlossene Bergleute gerettet werden oder wenn die Krankenkasse nach Protesten schließlich doch den neuen Elektro-Rollstuhl für den verarmten Greis bezahlt. Anrührung zeichnet sich heute dadurch aus, dass sie gleichzeitig intensiv und flüchtig erlebt wird, die Kombination macht es – es sind regelmäßige Dosen persönlicher Anteilnahme, die löffelweise verabreicht werden, die man schlucken muss, die man gleichsam konsumieren muss. Das soll uns helfen, das soll uns Gelassenheit vermitteln und konstruktive Indolenz. Deshalb hat auch das Mitleiden etwas Geplantes, man inszeniert es immer wieder in ausgesuchten Kurzbelichtungen des Weltgeschehens. Grausamkeiten werden so auf merkwürdige Weise „verartigt“, die gefühlsmäßige Spontanabwehr wird überwunden, indem das mannigfaltige Angesicht des Schrecklichen als zwar eruptiv-abstoßend, aber als eine alltägliche Erfahrung auftritt, die schnell verweht und mit der man sich deshalb arrangieren kann. Es ist ein Kunstgriff der Medien, ein routinierter Zugriff auf die menschliche Psyche – das Nacherleben wird vor einer knallbunten, oft bluttriefenden Peripherie möglich gemacht, es wird veranstaltet, um den modernen Menschen für die Aussichtslosigkeit zu konditionieren.

Doch wäre die Behauptung, unsere Gesellschaft sei schon mitleidlos, tatsächlich falsch, denn der soziale Ausgleich funktioniert noch einigermaßen. Es gibt ein institutionalisiertes, ein delegiertes Mitleid, eine verwaltete Verantwortlichkeit, ein auf typisch deutsche Art differenziert umgesetztes Mitleid, nämlich die staatliche Fürsorge – niemand hungert, alle kommen noch irgendwie zurecht, wenigstens die gelben Engel stehen nach wie vor parat, und der Rettungshubschrauber fliegt ohne Zuzahlung sofort los. Trotzdem täuscht der pauschale Blick, die Gesellschaft wird in ihrer Substanz mitleidsloser, nicht nur nach außen hin gegenüber anderen Ländern, sondern auch innerhalb ihres Gefüges, Hauptgründe: die Vereinzelung des Menschen, seine zunehmende soziale Entwurzelung und seine Herabwürdigung in der Arbeitswelt, seine gefühlte Entwertung, die ihn sukzessive seiner Zuversicht beraubt, die ihn nicht selten über seine Existenz verzweifeln lässt, obwohl sie materiell gar nicht akut gefährdet erscheint. Es ist die Multiplikation von Ohnmachtgefühlen, die sich des Lebensgefühls bemächtigen will, es ist die Ahnung, dass der systematisierte und induzierte Emphatieverlust auch das Zentrum der eigenen Persönlichkeit unerbittlich angreift.

Erschwerend hinzu kommt die Reichweitenverschiebung der Empathie-Objekte – das Verhältnis hat sich auf groteske Art fast umgekehrt: Das Mitleid für Schicksale und schlimme Geschehnisse in der Nähe wird unterdrückt, weil es allzu schnell verbindlichen Charakter annehmen könnte, man baut lieber Distanz zum Naheliegenden auf, um nicht von ihm in Anspruch genommen zu werden. Im Grunde manifestiert sich darin ein asoziales Verhalten. Spenden und Kinderpatenschaften sind nicht per se ein persönlicher Ablasshandel, sie können durchaus von Herzen kommen – problematischer erscheint mir die unbewusste kompensatorische Funktion, die zu wirken beginnt, wenn das Individuum unablässig mit einer unheilen Welt konfrontiert wird. Es kommt zu einer inneren Abkehr vom Mitleid, zu einem Schulterzucken, das insofern abwegig ist als es sich regelmäßig auf sowieso weit entfernte Geschehnisse bezieht – die Menschen sind ständig damit beschäftigt, mit fürchterlichen Anblicken und mit auf sie übertragenen Ängsten umzugehen, die sie überhaupt nicht betreffen. Jeder Versuch, selbst zu helfen oder einzugreifen, erweist sich dabei von vornherein als illusorisch, das natürliche Bedürfnis, sich zu engagieren, läuft immer wieder ins Leere und muss sich in der Konsequenz darauf beschränken, einen Geldbetrag an irgendeine Organisation zu überweisen.

Das tätige Mitleid eines einzelnen stößt heute sehr schnell auf unüberbrückbare Hürden, weil es bewusst kontingentiert in Erscheinung tritt – man kann zwar für die Opfer einer Naturkatastrophe spenden, aber nicht gegen Ungerechtigkeit, nicht gegen Kriege und provoziertes Elend. Wenn sich aktives Mitleid mit Forderungen nach Korrekturen verbindet, wenn sich im Engagement vieler einzelner Menschen der Wille nach Veränderung zu deutlich konkretisiert, dann wird Mitleid plötzlich zu Renitenz umgewidmet, sogar zu Defätismus, dann wird es gänzlich unerwünscht, dann werden die Mitleidenden mit allen Mitteln kompromittiert, zumeist als gefährliche Spinner, Gutmenschen oder realitätsferne Eskapisten. Die Masche ist zwar bekannt, doch sie funktioniert noch nahezu reibungslos. Eine der vornehmsten Eigenschaften des Menschen, die natürliche Bereitschaft, sich mit Leidenden zu solidarisieren, wird hintertrieben, sie wird verunglimpft und ins Lächerliche gezogen.

Aus diesen Gründen ist es notwendig, das Mitleid zu rehabilitieren. Die Sorge um das Ergehen aller Menschen, die Idee der Fürsorge für alle muss zu einer gesellschaftlichen Maxime werden, zu einer ethischen Grundposition, die selbstverständlich immer stark idealistische Züge tragen wird, die aber ein verbindliches Leitbild darstellt, das nicht in unerreichbaren Sphären schwebt. Einsatz für Benachteiligte ist Ausdruck von enormer Stärke, die wahren Helden sind die, die ihre Nächstenliebe in die Tat umsetzen, man muss ihnen endlich umfassend Gelegenheit dazu geben, man darf sie nicht länger mit Placebos abspeisen, man darf sie nicht verachten, sondern soll sie gesellschaftlich hochachten. Die wirklichen Eliten sind diejenigen, für die das Wohl der Menschen vorgeht. Wer, so wie es Nietzsche tat, das Mitleid als Schwäche verkennt, der ist selber unsäglich schwach, der ist im Grunde ein Totalversager, auch wenn er in seinem Leben noch so viel Erfolg haben mag.

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Kontrolliertes Leben außer Kontrolle

08 Samstag Mär 2014

Posted by deeplooker in Kontrolliertes Leben außer Kontrolle

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– oder die Furcht vor einem überfälligen Anspruch

Wir leben ohne Ziel. Jeder einzelne darf in einer freizügigen Gesellschaft ohne Ziel leben – die Gemeinschaft darf es nicht. Von welcher Gemeinschaft ist die Rede? Von der Weltgemeinschaft. Am Beginn des 20. Jahrhundert war die Welt noch groß, zu groß, um als Einheit betrachtet zu werden, am Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Welt klein geworden, zu klein, um nicht als Einheit betrachtet zu werden. Im vorigen Jahrhundert haben sich nebeneinander gewaltige Entwicklungen und Fehlentwicklungen der Menschheit vollzogen, die in ihren Dimensionen bis heute noch nicht richtig wahrgenommen werden – es wird Zeit, die Perspektive den Realitäten anzupassen.

Wir leben ohne Ziel in einem Weltkollektiv, das diese Bezeichnung noch lange nicht verdient. In der Organisation der Vereinten Nationen multipliziert sich nicht die Kraft der 200 Staaten auf der Erde, weder repräsentativ noch operativ – die UN vermittelt jedoch vielen Menschen den Eindruck, dass ein kompetentes Welt-Leitgremium existieren würde, was in Wahrheit ein fataler Fehlschluss ist. Die Erde taumelt führungslos vor sich hin, und damit steigen die Gefahren für die Kollektivexistenz enorm an. Ohne ihre Auswirkungen zu untersuchen, wird die Globalisierung mit der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche nicht nur fortgesetzt, sondern sie wird sogar noch rücksichtslos ausgeweitet. Die eklatanten Widerspüche, die sich aus dem Durchpeitschen ergeben, ignoriert man einfach. Das alles ist hinreichend bekannt, wir wissen Bescheid über den gegebenen Handlungsdruck, wir sehen alles kommen: Deshalb bleibt in dieser Lage nichts anderes, als energisch eine Neuausrichtung unserer Lebensweise anzustreben, um die Menschheitsentwicklung auf der Erde für die nächsten Jahrhunderte zu stabilisieren.

Zwischen dem Erkenntnisstand zur Welt und der Bereitschaft, die Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen, klafft eine ungeheure Lücke – sie tut sich überall auf, bei der Überbevölkerung, bei der Klima-Problematik, bei der Umweltzerstörung, bei der Überbeanspruchung der Rohstoffreserven, beim Artensterben, bei der Zerstörung der Sozialsysteme und so auch jeden Tag bei der millionenfachen Entwürdigung des Menschen. Welches Ausmaß hat unsere Selbstverleugnung erreicht, dass wir diese unerträglichen Verhältnisse als normal akzeptieren? Ein erschreckendes Ausmaß, es ist eine Bankrotterklärung vor unseren tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten, korrigierend Einfluss zu nehmen.

Wo bleiben in dieser Bedrängnis die Wissenschaften? Was erforschen sie eigentlich, was bringen sie an Gutem für die Menschen hervor? Noch raffiniertere Tablets, noch effektiver genmanipulierte Pflanzen, noch intelligentere Drohnen, die die Menschen ausspionieren oder ihnen sogar den Tod bringen, noch bessere Möglichkeiten, das Lebensalter auf 100 Jahre hochzuschrauben bei Menschen, die sich dann meistens kaum noch als solche wahrnehmen können. Das sind trügerische Erfolge und fragliche Zielsetzungen, sofern man überhaupt noch von Zielen sprechen kann – alle Orientierung ist verlorengegangen, keiner weiß, wo es langgehen soll, niemand fragt mehr nach dem Sinn von Forschung. Die Unabhängigkeit, auf der die Wissenschaften immer so großtuerisch insistieren, ist zu einer traurigen Farce geworden, die Wissenschaften haben sich in eine emsige Ohmacht vor den vermeintlichen ökonomischen Sachzwängen verrannt oder sie pflegen in Nischen ihren Narzissmus – ausgerechnet die Wissenschaften, die viele Menschen mit Zukunftshoffnung und Fortschritt verknüpfen.

Wenn aber die Politik total versagt, wenn die Wissenschaften versagen, wenn sich das weltweit regierende Unternehmertum nicht endlich neue Standards und Kriterien ihres Wirtschaftens setzt – wie kann sich unter diesen Umständen dann überhaupt ein globales Gemeinschaftsbewusstsein herausbilden? Wie kann ein Führungskollektiv für die Erde entstehen, das wir so notwendig brauchen? Die Antwort ist eine düstere: Es gibt keine realistischen Chancen, man kann nur das herannahende Chaos erwarten und es in Gedanken zum Schlüssel für eine bessere Zukunft machen: Die große Destruktion wird zum brachialen Regulator des Weltgeschehens, die Auflösung der Ordnung wird zur Lösung, je stärker die Massenverlendung fortschreitet, je großflächiger sie um sich greift, desto näher rückt der Punkt, an dem schließlich die Katharsis einsetzen kann – und in diesem Prozess der Neufindung, der Neu-Erfindung einer menschengerechten Lebensgemeinschaft wird sich eine in ihren Intentionen gründlich revidierte Idee der Kontrolle als humanes Universalinstrumentarium durchsetzen. Doch bis dieses konstruktive Stadium erreicht ist, werden mindestens noch zwei, wenn nicht mehr Jahrhunderte vergehen. Ich denke, dass mit einer nachhaltigen Stabilisierung der Welt-Zivilisation erst gerechnet werden kann, wenn sich die zweite Hälfte des dritten Jahrtausends schon so langsam in den Blick schiebt, dann möglicherweise mit einer Weltbevölkerung, die wieder unter dem gegenwärtigen Niveau liegt, vielleicht bei fünf bis sechs Milliarden Menschen… aber es bleibt ein Rätselraten mit mehr oder minder großen Wahrscheinlichkeiten – denn zu verfahren ist die Lage, zu übermächtig erscheinen alle die Probleme, zu blind und zu unentschlossen die Entscheidungsträger in ihrer internationalen Desorganisiertheit.

Wie es nach dem massiven Einbruch in der Menschheitsgeschichte auf der Erde aussehen wird, darüber lässt sich nur spekulieren: Wahrscheinlich muss man mit einer kargen und in vieler Hinsicht verarmten Erde vorlieb nehmen, man wird mit allen Mitteln versuchen, zu retten, was noch retten ist, man wird die Luft atmen müssen, die geblieben ist, und man wird die Atmosphäre sich langsam wieder selbst regenerieren lassen durch Schonung der Natur – man wird sich von einer abgeklärten Sicht auf die Erde mit ihren Menschen leiten lassen, die uns heute exotisch vorkommt, ein ganz neues, ein jetzt noch utopisch anmutendes Weltbild wird sich durchsetzen und den Alltag wie selbstverständlich bestimmen. Das Leben wird im Vergleich zur Gegenwart fundamental anders aussehen. Unsere Vorstellungskraft reicht nicht aus, um uns heute ein Bild von dieser Existenz in der gar nicht allzu fernen Zukunft zu machen. Ich gehe davon aus, dass dann die tückische Faszination der Technik und der Naturwissenschaften zwar nicht ganz aus den Köpfen verschwunden sein wird, aber kaum noch eine Rolle spielt – die Technik und die heutzutage grotesk überbewertete elektronische Kommunikation wird man in Zukunft viel pragmatischer betrachten, beide werden strikt in den Dienst des Menschen gestellt, weil man mit ihren dämonischen Verselbständigungen bittere Erfahrungen gemacht hat, Ähnliches gilt für die Freiräume des Kapitals und des Marktes in der Zukunftsgesellschaft. Vorstellbar wäre auch, dass der Religiosität wieder mehr Bedeutung zukommt – der Glauben wird sich in anderen als den heute gängigen Ritualen erneuern, man wird sich dem für den Menschen schicksalhaften Phänomen der Transzendenz wieder bereitwillig öffnen und es nicht länger aus der Hilflosigkeit des materialistischen Denkens heraus verdrängen, der Glauben wird mit von der Historie entrümpelten Inhalten wieder zu den Menschen zurückkehren, die Menschen werden wieder glauben, möglicherweise intensiver als je zuvor, vielleicht bricht ein phantastisches Zeitalter der modernen Priester an.

Mit Kontrolle verbindet sich gegenwärtig fast automatisch das Gefühl von Gefahr, von Bedrohung, von Überwachung, von Fremdbestimmung und von deformierenden anonymen Zwängen, denen man nicht ausgesetzt sein will – doch dieses negative Bild von der Kontrolle wird sich allmählich in ein positives verwandeln, nämlich in dem Maße, in dem sie der Mensch wieder selbst übernimmt, um seine ureigenen Interessen zu wahren. Wir leben in einem Zustand weitgehend sinnloser und zielloser Kontrolle, uns kontrollieren technisch-paramenschlich organisierte Gebilde: die Regierungen, die Gesamtheit der großen Unternehmen sowie eine Vielzahl von halbstaatlichen und überstaatlichen Organisationen, die fast alle in ihren Zielsetzungen sehr undurchsichtig sind – hier wütet eine pervertierte Form von Kontrolle, von der sich die Menschheit befreien muss. Es ist der Ausfluss eines Ultilitarismus, der zu einem auf das vordergründig Sachdienliche reduzierten Zerrbild seiner selbst geworden ist, die Funktionalität des Seins hat sich vor seine Sinnhaftigkeit geschoben und beharrt auf ihrem Vorrang. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ja, tatsächlich, denn das Vertrauen in die Machtkonstellationen, in denen wir heute gefangen sind, ist erschüttert, wir müssen feststellen, dass sich diese Machtkonstellationen gegen uns richten – um diese Angriffe zu beenden, hilft nur eines: mehr Kontrolle, Gegenkontrolle.

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