„Wohin gehst du, Schocker?“
„In den Tod.“
„Dann bleibst du ja länger weg.“
Er presst die Lippen zusammen, er weiß was er von seiner Mutter geerbt hat, den Überbiss und das kalte Herz. Die Schlampe dreht nicht mal den Fernseher leiser.
„Ich komm nicht wieder, Ma, hast du das kapiert?“
„Mach keinen Ärger, Schocker!“, ruft sie laut, um das Gedudel aus dem Fernseher zu übertönen. „Willst du dich ausknipsen, oder was? Dann aber nicht hier – such dir dafür ’ne ruhige Gegend, fahr in die Mojave, da freuen sich die Geier.“
„Du wirst dich noch wundern, Ma.“
„Mach mir bloß keinen Ärger! Mit dir hatte ich immer nur Scherereien.“
„Ich werd ein paar Schweine mitnehmen.“ Schocker streichelt die Segeltuchtasche mit dem Sprengstoff-Gürtel, die Panzerfaust liegt im Pickup, abgedeckt hinter den Sitzen, die Pumpgun und die MP wird er gleich abholen.
„Wenn du es übertreibst, ruf ich die Cops an… man kann auch anständig in die Kiste springen.“
„Wie alt willst du werden, Ma? Im Himmel gibt’s kein Bier und kein Fernsehen.“
Gwenda Delaino stellt die Bierdose auf den Tisch und den Ton leiser, sie wirft die angerauchte Zigarette in den halbvollen Wassereimer, den sie gelegentlich auf der morschen Holzterrasse in den Garten ausschüttet, oder was sich so Garten nennt. Gwenda hat einen ausgeprägten Instinkt, in diesem Moment fühlt sie, dass sie sich in Acht nehmen muss. Schocker war eigentlich schon immer ein Idiot, genau wie sein Vater, doch seit dem Irak ist er unberechenbar geworden.
„Willst du deine eigene Mutter killen?“
„Du wirst uralt, Ma. Die Kippen werden dich killen, aber vorher verblödest du total, dann merkst du sowieso nichts mehr.“
Richtig beruhigt ist Gwenda nicht, dafür klingt ihre Stimme noch zu schrill. „Wen willst du denn mit hopsgehen lassen? Willst du das Veterans Department in die Luft jagen? Das ist ’ne Nummer zu groß für dich.“
„In die Luft jagen?“ Schocker wird hellhörig. „Wie kommst du denn darauf?“
„Was weiß ich… überleg dir das nochmal, du kriegst doch jetzt 61 Dollar mehr im Monat.“
61 Bucks mehr… und das Humpeln wird immer schlimmer. Granatsplitter, massive Einwirkungen, Ärztegelaber, fünf Mal haben sie Schocker am rechten Bein operiert, haben lange Nägel reingebohrt und die Knochenstücke verdrahtet – alles Krampf, es wird nicht wieder, ein Krüppel, er humpelt, er muss ständig Pillen einwerfen, sonst kommen die Schmerzen wie Faustschläge, manchmal braucht er sogar eine Spritze.
Auf dem Weg zu Louis denkt er wieder an das Dorf bei Fallūjah, jeden Tag muss er daran denken, an diese öde Gegend, an die Staubschwaden, an die Hitze, an das niedrige graue Haus, wo die Terroristen alle drin waren. Mochte ja keiner den Job machen, wegen der paar Kinder, da ist er eben allein hingerannt, hat alles was sich bewegte mit der MP abgeräumt, und als Ruhe war, da hat er noch zwei Handgranaten hinterher geschmissen, zur Sicherheit. Seitdem nannten sie ihn Schocker, den Spitznamen hat er weg, auch hier in der Heimat, auch seine versoffene Mutter hat ihn begeistert übernommen. Über acht Jahre ist das nun schon her. Doch die Bilder in seinem Kopf sind frisch, so als ob der Irak gestern gewesen wäre.
Louis ist nicht ganz dicht, dabei war er nur fünf Tage in Gefangenschaft, dann wurde er befreit, Schocker führte die Aktion an, und Schocker kam immer zur Sache, wenn’s hart auf hart ging. Das mit den Zigaretten, die sie auf seinen Oberschenkeln ausdrückten, hat Louis nicht richtig verkraftet, ein Finger ist auch weg – seitdem stottert er noch mehr als vorher, außerdem schreit er manchmal herum, ganz unerwartet, wie aus heiterem Himmel.
„D… di… dieses Mal machen wir’s aber, Scho… Schocker!“
„Wir fahren erstmal hin, die Lage peilen.“
„Is… is klar!“
Die MP haben sie eingeladen, die beiden Pumpguns sind griffbereit, die Revolver für den Notfall stecken im Gürtel. Ja, alles klar, wie immer, Schocker sieht im Rückspiegel wie Louis die Garagentür zumacht, er muss grinsen – er hat nicht mitgezählt, wie oft sie es schon versucht haben, sicher schon fünf oder sechs Mal oder sogar noch öfter. Sie werden wieder um den Block fahren, sie werden das Gebäude genau in Augenschein nehmen, und dann werden sie wieder einen neuen Grund finden, weshalb die Sache verschoben werden muss – letztes Mal wollte Louis plötzlich noch ins Kino, er wollte sich unbedingt vorher noch einen bestimmten Film angucken, Schocker hat den Titel vergessen.
Die Fahrt dauert eine Stunde, aber heute biegt Schocker nach etwa zehn Minuten rechts ab.
„W… was soll das?“, fragt Louis entgeistert. „Da geht’s nach Baker.“
„Ich weiß.“ Baker liegt in der Mojave-Wüste. Seine Mutter hat Recht, eine ruhige Gegend. Schocker fährte noch einige Meilen, bis sie mitten in der Wüste sind. Er hält er an. Es ist einsam hier, unendlich einsam, kein Auto zu sehen, ein leerer Highway, der im Nichts endet. Als er die Segeltuchtasche rausholt, treffen sich ihre Blicke. Keiner sagt etwas, auch Louis bleibt still, er würde sowieso keinen richtigen Satz herausbringen. Stattdessen hebt er nur kurz seine rechte Hand, wie zum Gruß, es ist die Hand ohne Ringfinger. Schocker grüßt zurück, dann dreht er sich abrupt um und geht los.
Louis wartet auf die Explosion, es dauert nicht lange.