– die zweite kleine Schach-Story
Der weiße Königsturm Tarraschor hat schon unter drei Herrschern gedient. Man fürchtet ihn Weiterlesen
14 Montag Apr 2014
Posted Das Ende von König Morphy
in– die zweite kleine Schach-Story
Der weiße Königsturm Tarraschor hat schon unter drei Herrschern gedient. Man fürchtet ihn Weiterlesen
23 Sonntag Mär 2014
Posted Der Fluch des Sizilianers
in– eine kleine Schach-Story
Was bilden sich manche Menschen ein? Sie können etwas, sie beherrschen ein Teilgebiet einigermaßen, meistens nur den Teil eines Teilgebietes, und sie halten sich für großartig. In José rumort Wut, er ist zornig… weniger darüber dass er schon wieder die Abfahrt verpasst hat. Der Bentley rollt ungehindert aus, er wird nicht gebremst, José schaut interessiert voraus auf die leere Straße, die sich schnurgerade durch den Dschungel schneidet, er fragt sich, wo der Wagen zum Stehen kommen wird. Hier also schon, er hat sich verschätzt, ein schwerer Bentley rollt nicht weit, nicht auf diesem groben Asphalt. Plötzlich erscheint ihm alles zu grob auf dieser Insel, auch die Menschen, sie haben zwar Lebensart, eine schlichte, sie leben unbeschwert in den Tag, doch ihnen fehlt die Empfindsamkeit, sie kennen keine Rücksichtnahme – und Donatus Sarmand, den er gerade besuchen will, ist besonders rücksichtslos, ein Ignorant von der schlimmsten Sorte.
Stille, nichts, nicht einmal Vogelgezwitscher. José hat das Seitenfenster heruntergefahren, die Hitze schlägt ihm in einem Schwall entgegen, das grelle Sonnenlicht wird nicht mehr von der getönten Scheibe abgehalten. Zu heiß, zu hell – mit einem Knopfdruck verabschiedet sich die Außenwelt, die Klimaanlage arbeitet effektiv. Er wendet. Unglaublich, es gibt nur ein paar Straßen auf der Insel, aber er fährt fast jedes Mal an dieser Abfahrt vorbei. Die Abfahrt kommt nun wieder in Sicht, vorne links wird das verrostete Schild erkennbar, es steht schräg, ein Auto muss es irgendwann gerammt haben – „Verdura Biológica“ – lachhaft. Bei Donatus kann man nicht einmal eine Gurke kaufen, die Tomaten sind verwildert, die Mangos lässt er einfach an den Bäumen hängen. Mit Donatus ist nichts anzufangen, man kann ihn vergessen. Beim Einbiegen auf den Schotterweg wird José zum ersten Mal bewusst, warum er so oft diese Abfahrt verpasst: Es ist ein merkwürdiges Unbehagen, wenn nicht sogar Angst.
Donatus Sarmand ist Anfang fünfzig, sie sind ungefähr im gleichen Alter, er sitzt draußen, er sitzt meistens draußen, wie gewöhnlich vom Meer abgewendet, doch nur so weit, dass er es mit einem Seitenblick erfassen kann. Er bildet sich ein, krank zu werden, wenn er zu lange auf das Meer schaut.
„Na, was machst du?“
„Ich sitze hier.“ José nickt ergeben, er hat keine andere Antwort erwartet, es ist jedes Mal die gleiche, sie begrüßen sich immer so. Er setzt sich auch hin, auf den klapprigen Stuhl, vor den klapprigen Holztisch.
„Ohne mich würdest du verhungern, Don.“
Señor José Enrique de Manon, Besitzer mehrerer Plantagen und reichster Mann der Insel, fördert aus einer Plastiktüte Esswaren zutage – salzige Kekse, schwarze Bohnen in Dosen, Möhren und eine Räucherwurst, die verschrumpelt aussieht. Er packt alles auf den Tisch.
„Auf dieser Insel muss niemand hungern“, erklärt Donatus feierlich, „sie ist reich gesegnet, mit Früchten auf dem Land und mit Fischen im Meer.“
„Dann geh angeln.“
„Du kannst mich nicht beeindrucken mit deinen Salzkeksen.“
Sie sitzen eine Zeitlang da und schweigen. José redet gern, nur hier nicht. Donatus lähmt sein Bedürfnis, sich über die Sprache auszutauschen. Auch ihre Blicke treffen sich nicht. Trotzdem, etwas geht vor zwischen ihnen, fühlbar, eindringlich. Jeder laute Satz würde ihre stumme Zwiesprache über das nicht Greifbare zunichte machen. Manchmal möchte José wissen, was ihn mehr hierher zieht, diese besondere Stille oder das Spiel.
Die Ruhe findet jäh ihr Ende, Donatus fängt an zu essen. Der hagere Mann mit dem fast hüftlangen grauen Haarschopf vertilgt mechanisch eine ganze Packung dieser billigen Kekse, sie zerkrachen zwischen seinen Zähnen, er zerstört sie regelrecht, und in den Pausen spuckt er aus, er prustet, unzählige Krümel werden durch die Luft katapultiert. José ist mit seinem Stuhl weiter weg gerückt, er weiß, dass gleich die Beschwerden über die Kekse kommen werden – doch wenn er ohne sie erscheint, dann ist Donatus beleidigt.
„Diese Kekse sind eine Strafe“, krächzt Donatus, „sie bringen mich um, man erstickt an dem Zeug.“
„Trink Wasser dazu.“ Sinnlos, José hat ihm diesen Ratschlag schon so oft gegeben.
Heute ist es nicht wie sonst, heute ist es anders… auf sein Gespür kann sich José verlassen. Donatus war kurz im Haus, nun kehrt er zurück, ein Tablett in den Händen, mit zwei Gläsern, mit einem Krug Eiswasser und mit der Flasche Rum. Er gießt ein, er serviert, ein großzügiges Zeichen seiner Gastfreundschaft. Nur wenige Besucher kommen in diesen Genuss, wozu aus Josés Sicht anzumerken wäre, dass sich sowieso nur sehr wenige Menschen hierher verirren – wenn man es genau nimmt, eigentlich gar keine außer ihm. Die Flasche Rum gehört dazu, obwohl sie zumeist unberührt bleibt.
„Du sieht schlecht aus, José.“
„Ich weiß.“
„Laufen die Geschäfte nicht?“
„Seit wann interessieren dich meine Geschäfte? Wollen wir eine Zigarre rauchen?“
„Ja.“
„Es sind klasse Zigarren, eine neue Entdeckung, ein Schatz. Ich hab dir sechs Stück mitgebracht, damit du etwas Vernünftiges zu rauchen hast.“
Donatus bedankt sich nie, aber er kann, so wie er es eben getan hat, seine Augenbrauen auf diese unnachahmliche Weise hochziehen, die man als Dank deuten kann.
„Du bist blass“, sagt Donatus. „Du brauchst Farbe, wir trinken einen Rum, ausnahmsweise. Ich hole noch zwei Gläser.“
„Und du solltest dich rasieren. Du siehst aus wie ein Penner.“
José blickt ihm auf dem Weg ins Haus hinterher – ein kümmerliches Häuschen, einsam über dem Meer gelegen, es gibt Strom, doch keinen Wasseranschluss, eine massive Hütte, drei kleine Räume und ein Miniaturbad, das von einer Zisterne mit Wasser versorgt wird. Im Verhältnis dazu ist die Terrasse geradezu weitläufig, hier hält sich Donatus die meiste Zeit auf, hier lebt er vor sich hin, hier träumt er vor sich hin, im Schatten der Bäume, in seinem geliebten Halbschatten unter den aufgespannten Tuchbahnen, die ihm der Wind in den Nächten immer wieder zerfetzt.
Sie trinken bedächtig ein gut gefülltes Glas Rum ohne alles, wieder wortlos, es ist ein exklusiver Rum, auch pur mild und aromatisch, er stammt von einer Nachbarinsel, und natürlich hat ihn José spendiert.
„Wirklich, dein Rum und diese Zigarre, das schmeckt mir“, sagt Donatus unerwartet, dann, noch unerwarteter, lächelt er plötzlich. „Ich hörte, dass dir ein besonderer Gast abhanden gekommen ist.“
José muss erst den Schock verarbeiten, fast hätte er sein Glas fallengelassen. „Von wem hast du das gehört, Don?“
„Ich war vor ein paar Tagen in der Stadt, um neues Tuch zu kaufen, weißt du. Miguel hat mich im Lastwagen mitgenommen… aber ich habe es nicht von Miguel, eine alte Marktfrau hat mir davon erzählt, ich kenne sie nicht.“
Die Insel ist klein. José hat viele Bedienstete, es hat keinen Zweck, weiter nachzuforschen. „Du hast das Geld für den Tuchballen anschreiben lassen.“
„Woher weißt du das?“
„Die Rechnung ist bei mir gelandet.“
Donatus Sarmand schweigt. Es wird Zeit, wieder zu schweigen.
Nach etwa zehn Minuten Stille möchte José noch ein Glas Rum. Er will sich den Rum nicht selbst einschenken, er fordert seinen Gastgeber auf, ihm diesen Dienst zu erweisen, in seiner Stimme schwingt ein gewisser Unterton mit, nicht drohend, aber befremdlich. Donatus Sarmand ist alles andere als ein furchtsamer Mensch, er hat sich das Fürchten abgewöhnt, sonst wäre er niemals zur Ruhe gekommen – er weiß, dass die Furcht überall grassiert, weil sich das Böse von ihr ernährt. José wird seinen Rum von ihm bekommen, er greift gelassen zur Flasche, gießt beide Gläser wieder voll, dann betrachtet er nachdenklich die Flasche – vielleicht noch ein Drittel übrig.
„Wir trinken sonst nicht“, sagt Donatus, etwas betroffen.
„Wir spielen gewöhnlich Schach.“
„Ja.“
José hat einen Schluck Rum genommen, er kommt wie aus heiterem Himmel in Rage und schnauzt Donatus an: „Seit Jahren quälst du mich mit dem Sizilianer! Dabei weißt du genau, dass mir diese Eröffnung nicht liegt.“
„Dann fang doch mit d4 an – mit d4 kriegst du nie den Sizilianer aufs Brett, das hab ich dir schon tausend Mal gesagt.“
„Ich bin eben ein e4-Spieler, seit meiner Kindheit, von Jugend auf.“ Josés Miene hat sich verdüstert, in seinem Blick widerspiegelt sich eine Mischung aus Entschlossenheit und Verzweiflung.
Das Schweigen hält nicht mehr, es liegt zu viel Spannung in der Luft, und der Rum lässt sie noch ansteigen. Donatus Sarmand wird sich zurückhalten, das steht fest. José darf auf keinen Fall auch nur eine Ahnung davon bekommen, wie er über die Veränderungen bei ihm denkt, das wäre gefährlich. Geld macht nicht glücklich, da sieht man es wieder: Señor José Enrique de Manon hat herumtelefoniert und sich einfach einen Spezialisten für Sizilianisch auf die Insel bestellt, wahrscheinlich gegen ein Honorar von zigtausenden Dollars.
„Wer ist es? Sag schon, Jose! – ist es Harry Kaspovitch oder Markus Claussen? Ich tippe auf Kaspovitch, der passt vom Alter her besser zu dir.“
„Don, du hast keine Ahnung, wieviel ein Coaching von Spitzenspielern heutzutage kostet. Ich behalte das besser für mich… stimmt, das würde dich nur unnötig irritieren. Aber ich verrate dir, wer es ist – Vlastomil Krumnich! Was sagst du nun?“
„Vlastomil Krumnich? Donnerwetter! Mein lieber Mann, da hast du ja voll zugeschlagen, Krumnich gehört zur absoluten Weltspitze.“
Josés Augen leuchten, er kann seinen Stolz nicht verbergen, er will es auch gar nicht.
Der Rum hat sich verflüchtigt. José musste das opulent bestückte Barfach in seinem Bentley aufsuchen, um für Nachschub zu sorgen. Nun steht eine neue, fast volle Flasche Rum auf dem Tisch, natürlich ebenfalls vom Feinsten.
„Und wo ist Krumnich jetzt?“, fragt Donatus. „Ich würde ihn, äh… auch gern kennenlernen, eine Sensation. Ist er schon wieder abgereist?“
„Nein, er ist weg, das ist es ja, einfach weg, vier Tage schon, wie vom Erdboden verschluckt – und das auf dieser kleinen Insel.“ José mustert Donatus kritisch, und der bemerkt es.
„Bist du dir da sicher, ich meine als Schachspieler? Wahrscheinlich hatte er keine Lust mehr und hat sich heimlich aus dem Staub gemacht.“
„Als Schachspieler, Don? Bilde dir besser nichts Falsches ein. Alle seine Sachen liegen noch im Gästehaus, seine Papiere sind noch da, Pass, Kreditkarten, alles – kannst du mir das erklären?“
„Nein. Was sagt denn die Polizei?“
„Die Polizei? Eine Handvoll Beamte mit Bauchansatz plus Sekretärin, die Polizei hat keinen blassen Schimmer.“
„Wie lange ist Krumnich überhaupt schon auf der Insel?“
„Seit neun Tagen. Normalerweise wäre er übermorgen geflogen. Meine beiden Piloten wussten über den Termin Bescheid.“
„Vielleicht hat er sich verliebt“, spekuliert Donatus. „Hier gibt es sehr schöne Frauen.“
„Unsinn, da ist etwas faul, da ist… etwas passiert.“ José stockt beim Sprechen, seine Stimme wird langsam immer schwerer. „Etwas Schlimmes ist passiert… vielleicht.“
Sie belauern sich. Der Rum in ihren Köpfen hat eine unangenehme Stimmung entstehen lassen. José fragt sich, warum er nicht schon lange angerufen hat, damit ihn jemand abholt und nach Hause fährt – er ahnt, dass ihm Donatus Sarmand etwas vorenthält, das er unbedingt wissen muss.
„Der findet sich wieder an, José – da kannst du ganz beruhigt sein. Ein Schachgroßmeister verschwindet nicht einfach so, das widerspricht diametral seinen Eigenschaften. Sag mal, wie lief das überhaupt so mit dem Coachen?“
„c3“, sagt José tonlos.
„Alapin, klar – ist doch nicht schlecht als Gegenmittel, wenn man sich nicht auf den Sizilianer einlassen will.“
„c3.“ José wiederholt sich. Plötzlich steht er mit einem Ruck auf und wird laut, sehr laut. „Immer wieder zweiter Zug c3, ich kann es nicht mehr hören! Dieser Vlastomil Krumnich wollte mich nicht coachen, er wollte mich fertigmachen, dieser komische Kerl. Und den Namen Alapin kann ich auch nicht mehr hören – jetzt kommst selbst du mir noch damit an. Simon Sinowjewitsch Alapin, Simon Sinowjewitsch Alapin, Simon Sinowjewitsch Alapin… ah, ich halte das alles nicht mehr aus!“
„Was ist denn los mit dir, José? Willst du dich nicht ein bisschen hinlegen?“
José läuft auf der Terrasse auf und ab, mit großen, weit ausholenden Schritten – dass sein Freund einen gehetzten Eindruck macht, wäre glatt untertrieben, konstatiert Donatus und richtet sich innerlich auf den nächsten Anfall ein.
„Nein, ich will mich nicht hinlegen, schon gar nicht in deiner verkommenen Bruchbude, wo die fetten Kakerlaken ihre Parties feiern. Wollen doch mal sehen, was du so drauf hast… die Rozentalis-Empfehlung? Also bitte!“
„Die was?“
„Die Rozentalis-Empfehlung!“, schreit José, „sechstens c4, schwarze Dame d8, dann siebtens Bauer d5, schwarzer Springer h6 – das Nevednichy-Konzept, verstanden?“
„Nein“, antwortet Donatus wahrheitsgemäß, „keine Ahnung, nie davon gehört, aber… aber reg dich doch nicht so auf José, das ist nicht gut für deine Gesundheit.“
„Der Sizilianer ist nicht gut für meine Gesundheit, er macht mich fertig, seit Jahren. Und wer wüsste das schon besser als du? Du hast die Schuld… und Sweschnikow, Kalaschnikow, Taimanow, und wie diese Banditen alle heißen.“
„Du hast das niederländische Seebad Scheveningen vergessen…“
„Wieso Seebad?“, unterbricht ihn José, „Scheveningen – d6, e6 – der Ur-Sizilianer.“
„Scheveningen ist ein Seebad an der Nordsee, mit einem monumentalen Kurhaus, eine Augenweide, es steht unter Denkmalschutz, du solltest es dir mal ansehen – abgesehen davon hast du auch noch die Drachen vergessen, Najdorf und noch einige andere. Allein Najdorf stellt ein Universum für sich dar, das sagt man jedenfalls.“
„Ach, Don – man sagt vieles, wenn der Tag lang ist.“ José hat sich hingesetzt, er beruhigt sich allmählich wieder. „Meine geschiedene Frau hat mir früher einmal ein Werk über die französische Verteidigung geschenkt, zum Geburtstag. Solche maliziösen Geschenke waren typisch für sie, drei Bände, zweitausend Seiten… wer soll das lesen, frage ich dich, wer soll alles das in seinem Kopf behalten, was allein in diesen drei Büchern steht? Die Maschinen sind dabei, die Menschen im Schach endgültig zu überholen. Die Menschen gehen unter im Daten-Tsunami. Noch mokieren sich die Großmeister über Fritz und Houdini, aber das sind die wahren Zauberer der Zukunft. Die Großmeister haben ihre Meister im Cyber-Nirwana gefunden, sie wollen es bloß noch nicht zugeben. Wo bleibt dann das Selbstwertgefühl, wo bleibt der Stolz? Kann man sich auf Dauer damit rühmen, fast so perfekt wie eine Maschine zu funktionieren?“
„Ja, damit kann man sich rühmen“, bemerkt Donatus trocken, „und die Großmeister tun es auch, zu Recht. Was fasziniert dich übrigens so an Französisch? – es ist für mich fast wie ein kompliziertes Ritual, eine Art Umkreisungssystem, alles kreist um d4, der f6-Vorstoß steht im Raum, Schwarz werkelt am Damenflügel, und Weiß lauert ständig auf einen Überfall am Königsflügel, irgendwie immer wieder ähnlich.“
„So einfach ist das nicht, das weißt du selbst am besten… oder auch nicht, denn du vergötterst ja den Sizilianer.“
Donatus nickt, dann sagt er: „Vergessen wir mal die Eröffnungen. Überragende Schachspieler sind keine Rechenmaschinen, keine Gedächtnismeister, keine wandelnden Festplatten und Fotoapparate, sie sind auch nicht alles das zusammen, obwohl es in dieser Kombination schon sehr, sehr viel wäre – überragende Spieler fühlen, sie haben Intuition, zum Beispiel intuitives Stellungsverständnis, also ein im Kern irrationales, das kein Schachcomputer jemals haben wird.“
„Und daran glaubst du, Don?“
„Was glaubst du denn, José? Dass Houdini bald Gefühl für einen Tempo-Zug entwickelt?“
„Ich weiß es wirklich nicht, aber vorstellbar wäre es. Mit Algorithmen kenne ich mich nicht aus, vieleicht schlummern wunderbare Eigenschaften in ihnen, die man noch nicht kennt. Houdini und Fritz sind mächtige Computerprogramme, keine Zauberer – es sind Ungeheuer. Für mich ist eines klar: Die Menschen können erst wieder befreit gegeneinander Schach spielen, wenn sie sich wieder auf sich selbst konzentrieren und wenn sie diese Ungeheuer aus dem Schach verjagen, sonst werden sie zu Schach-Kastraten. Dann hat dieses schöne Spiel keine Zukunft.“
Das Schweigen ist wieder harmonisch geworden.
„Wir trinken gar keinen Rum mehr“, sagt Donatus. „Magst du nicht mehr?“
„Hmh… doch.“ José schaut Donatus lange prüfend an. „Ich möchte weiter Rum trinken, aber nur, wenn du mir eine Frage ehrlich beantwortest.“
„Mach ich, José – welche Frage?“
„Warum hast du kein drittes Glas mitgebracht?“
Donatus Sarmand ist rot geworden, das hat José bei ihm noch nie erlebt.
„Weil er unten am Meer angelt – er angelt, er macht das, was du mir vorhin vorgeschlagen hast. Er angelt ununterbrochen, seit drei Tagen, stundenlang, von morgens bis abends.“
„Ich hätte dich nicht erwähnen sollen, Don, ich hätte ihm deinen Namen nicht sagen dürfen… schenk uns noch einen ordentlichen Rum ein.“
„Ok. Weißt du, warum er verschwunden ist?“
„Lass das, ich kann es mir denken.“ Josè nimmt das Glas entgegen und trinkt es in einem Zug leer.
„Nein, ich lasse es nicht. Er ist vor dir geflohen, José.“
„Das ganze Geld kann er behalten, er hat es sich verdient.“
„Komm mal mit!“
José wankt benebelt hinter Donatus her.
Schon nach kurzer Zeit erreichen sie die Abbruchkante des Felsgesteins – sie haben Glück, die Farben am Himmeln beginnen zu wuchern, vor ihnen sinkt die Sonne majestätisch ins Meer, nur für Schachspieler hebt sich der Horizont. Donatus zeigt mit dem Finger nach unten, auf eine bestimmte Stelle: „Siehst du das Strichmännchen da?“
„Ja“, bestätigt José. „Es ist Vlastomil Krumnich, nicht wahr?“
„Richtig.“
„Sag mal, Don… hab ihr überhaupt schon gegeneinander gespielt?“
„Nein, noch nicht ein einziges Mal. Ich hätte sowieso keine Chance gegen ihn, es wäre ein Mismatch. Wir haben uns unterhalten, auch über Schach, aber nicht nur über Schach – auch über dich zum Beispiel. Danach hat er sich gleich hingelegt, in dem kleinen Zimmer, wo nur die eine Matraze liegt, ich hab ja nur das als Besucherzimmer. Am nächsten Morgen hat er sich die beiden Angeln geschnappt und war weg.“
„Fängt er denn auch etwas?“
„Er sagt, dass er schon 14 große Fische gefangen hat – er wirft sie ins Meer zurück.“
„Vlastomil Krumnich muss ein glücklicher Mann sein.“ José Enrique de Manon schaut weit hinaus, er wird hier warten, bis die Sonne im Meer versunken ist. Vielleicht möchte er dann noch mit dem Schachgroßmeister einen Rum trinken.
25 Samstag Jan 2014
Posted Highway To Hell
in„Wohin gehst du, Schocker?“
„In den Tod.“
„Dann bleibst du ja länger weg.“
Er presst die Lippen zusammen, er weiß was er von seiner Mutter geerbt hat, den Überbiss und das kalte Herz. Die Schlampe dreht nicht mal den Fernseher leiser.
„Ich komm nicht wieder, Ma, hast du das kapiert?“
„Mach keinen Ärger, Schocker!“, ruft sie laut, um das Gedudel aus dem Fernseher zu übertönen. „Willst du dich ausknipsen, oder was? Dann aber nicht hier – such dir dafür ’ne ruhige Gegend, fahr in die Mojave, da freuen sich die Geier.“
„Du wirst dich noch wundern, Ma.“
„Mach mir bloß keinen Ärger! Mit dir hatte ich immer nur Scherereien.“
„Ich werd ein paar Schweine mitnehmen.“ Schocker streichelt die Segeltuchtasche mit dem Sprengstoff-Gürtel, die Panzerfaust liegt im Pickup, abgedeckt hinter den Sitzen, die Pumpgun und die MP wird er gleich abholen.
„Wenn du es übertreibst, ruf ich die Cops an… man kann auch anständig in die Kiste springen.“
„Wie alt willst du werden, Ma? Im Himmel gibt’s kein Bier und kein Fernsehen.“
Gwenda Delaino stellt die Bierdose auf den Tisch und den Ton leiser, sie wirft die angerauchte Zigarette in den halbvollen Wassereimer, den sie gelegentlich auf der morschen Holzterrasse in den Garten ausschüttet, oder was sich so Garten nennt. Gwenda hat einen ausgeprägten Instinkt, in diesem Moment fühlt sie, dass sie sich in Acht nehmen muss. Schocker war eigentlich schon immer ein Idiot, genau wie sein Vater, doch seit dem Irak ist er unberechenbar geworden.
„Willst du deine eigene Mutter killen?“
„Du wirst uralt, Ma. Die Kippen werden dich killen, aber vorher verblödest du total, dann merkst du sowieso nichts mehr.“
Richtig beruhigt ist Gwenda nicht, dafür klingt ihre Stimme noch zu schrill. „Wen willst du denn mit hopsgehen lassen? Willst du das Veterans Department in die Luft jagen? Das ist ’ne Nummer zu groß für dich.“
„In die Luft jagen?“ Schocker wird hellhörig. „Wie kommst du denn darauf?“
„Was weiß ich… überleg dir das nochmal, du kriegst doch jetzt 61 Dollar mehr im Monat.“
61 Bucks mehr… und das Humpeln wird immer schlimmer. Granatsplitter, massive Einwirkungen, Ärztegelaber, fünf Mal haben sie Schocker am rechten Bein operiert, haben lange Nägel reingebohrt und die Knochenstücke verdrahtet – alles Krampf, es wird nicht wieder, ein Krüppel, er humpelt, er muss ständig Pillen einwerfen, sonst kommen die Schmerzen wie Faustschläge, manchmal braucht er sogar eine Spritze.
Auf dem Weg zu Louis denkt er wieder an das Dorf bei Fallūjah, jeden Tag muss er daran denken, an diese öde Gegend, an die Staubschwaden, an die Hitze, an das niedrige graue Haus, wo die Terroristen alle drin waren. Mochte ja keiner den Job machen, wegen der paar Kinder, da ist er eben allein hingerannt, hat alles was sich bewegte mit der MP abgeräumt, und als Ruhe war, da hat er noch zwei Handgranaten hinterher geschmissen, zur Sicherheit. Seitdem nannten sie ihn Schocker, den Spitznamen hat er weg, auch hier in der Heimat, auch seine versoffene Mutter hat ihn begeistert übernommen. Über acht Jahre ist das nun schon her. Doch die Bilder in seinem Kopf sind frisch, so als ob der Irak gestern gewesen wäre.
Louis ist nicht ganz dicht, dabei war er nur fünf Tage in Gefangenschaft, dann wurde er befreit, Schocker führte die Aktion an, und Schocker kam immer zur Sache, wenn’s hart auf hart ging. Das mit den Zigaretten, die sie auf seinen Oberschenkeln ausdrückten, hat Louis nicht richtig verkraftet, ein Finger ist auch weg – seitdem stottert er noch mehr als vorher, außerdem schreit er manchmal herum, ganz unerwartet, wie aus heiterem Himmel.
„D… di… dieses Mal machen wir’s aber, Scho… Schocker!“
„Wir fahren erstmal hin, die Lage peilen.“
„Is… is klar!“
Die MP haben sie eingeladen, die beiden Pumpguns sind griffbereit, die Revolver für den Notfall stecken im Gürtel. Ja, alles klar, wie immer, Schocker sieht im Rückspiegel wie Louis die Garagentür zumacht, er muss grinsen – er hat nicht mitgezählt, wie oft sie es schon versucht haben, sicher schon fünf oder sechs Mal oder sogar noch öfter. Sie werden wieder um den Block fahren, sie werden das Gebäude genau in Augenschein nehmen, und dann werden sie wieder einen neuen Grund finden, weshalb die Sache verschoben werden muss – letztes Mal wollte Louis plötzlich noch ins Kino, er wollte sich unbedingt vorher noch einen bestimmten Film angucken, Schocker hat den Titel vergessen.
Die Fahrt dauert eine Stunde, aber heute biegt Schocker nach etwa zehn Minuten rechts ab.
„W… was soll das?“, fragt Louis entgeistert. „Da geht’s nach Baker.“
„Ich weiß.“ Baker liegt in der Mojave-Wüste. Seine Mutter hat Recht, eine ruhige Gegend. Schocker fährte noch einige Meilen, bis sie mitten in der Wüste sind. Er hält er an. Es ist einsam hier, unendlich einsam, kein Auto zu sehen, ein leerer Highway, der im Nichts endet. Als er die Segeltuchtasche rausholt, treffen sich ihre Blicke. Keiner sagt etwas, auch Louis bleibt still, er würde sowieso keinen richtigen Satz herausbringen. Stattdessen hebt er nur kurz seine rechte Hand, wie zum Gruß, es ist die Hand ohne Ringfinger. Schocker grüßt zurück, dann dreht er sich abrupt um und geht los.
Louis wartet auf die Explosion, es dauert nicht lange.
11 Freitag Okt 2013
Posted Herz in der Faust
inLi Ai-Bao wollte ihrem Mann im Tode beistehen, doch die Reise nach Süden in die Provinz Guangdong war lang. Li war elf Tage unterwegs – sie fuhr mit der Bahn, sie musste sich in überfüllte Busse quetschen, sie klammerte sich auf den Eingangsstufen an irgendetwas fest, um nicht hinausgestoßen zu werden. Auch per Anhalter versuchte sie es. Sie winkte, schrie den Autos hinterher, wurde von Dieselwolken und von dichtem Staub eingehüllt, bis endlich ein Lastwagen anhielt. In der Fahrerkabine war kein Platz mehr, Li musste auf die Ladefläche steigen, wo sie bis über den Kopf in Zuckerrohr-Stangen versank. Je näher sie dem Ziel kam desto wärmer wurde es. Weiterlesen
10 Donnerstag Okt 2013
Posted Ausflug mit Heinzi
inHeinzi hat mir seinen verfaulten Zahn geschenkt. Es war der drittletzte oben in der Mitte, die anderen beiden sind nur zu sehen, wenn er lacht. Heinzi lacht oft. Ich weiß, was ihm dieser Zahn bedeutete, ein echtes Geschenk. Sonst macht Heinzi meistens kurzen Prozess, wacklige Zähne zieht er einfach raus, und dann röchelt er sich einen. Röcheln ist sein Lachen. Für einen Spastiker kann er ganz gut sprechen: langsam, vermurkst, gequetscht. Wir beide können uns unterhalten. Aber in der Schule ging’s für ihn irgendwann nicht mehr weiter. Als sein Gelalle und Gezucke schlimmer wurden, schmissen sie ihm als Trost die Mittlere Reife hinterher – sein Traum vom Abitur war ausgeträumt, ein Tiefschlag für Heinzi, auch noch nach Jahren.
„Nu brauch ich… ’n Gebiss.“
Guter Witz, er röchelt, ich grinse ihn an.
Sie hätten ihn wieder vergessen – Heinzi, dieser Lügner. Ich sag’ dazu nichts mehr. Der Fahrer, der die Leute von der Werkstatt nach Hause fährt, ist Zivi wie ich, er hat mir vorher Bescheid gesagt.
„Was grölst du hier so laut rum?“ Die sanfte Tour ist bei Heinzi nicht angesagt, steht er sowieso nicht drauf. Wenn er durchdreht, schnauz’ ich ihn voll an. Ein Mal schrie er so lange im Scherenlager, bis der Dorfpolizist anrückte.
„Vergessen mich hier. Bin’n armes Schwein.“
„Logo.“
„Tour machen, hey? Vielleicht… kommt mein Kumpel.“
„Du nervst.“
Bevor wir auf Tour gehen, muss ich den Rollstuhl vollpacken, er hat hinten ein extra großes Netz – obenauf die drei Sixpacks, die sind am wichtigsten, Zigaretten, eine Flasche Wasser, Pampers, Ersatzwäsche und den Beutel mit den Pillen.
„Alles okay… mit Carlo?“ Heinzi meint meinen Chef. Dem passt es nicht, dass ein Zivi mit einem seiner Behinderten säuft. Kein Alkohol bei der Arbeit, trotzdem haben Carlo und ich unser kleines Geheimnis: den abgeschlossenen Spind mit den Sixpacks. Er sorgt stillschweigend für Nachschub. Als Zivi seh’ ich nicht ein, auch noch das Bier zu bezahlen.
„Hab’ schon geschissen… ehrlich.“
„Klasse“, lobe ich wahrheitsgemäß. Heinzi hat sich zwei Mal unterwegs vollgesaut, gibt Schöneres.
Gleich hinter der Hauptstraße fängt das Moor an. Der schnurgerade Feldweg, den sie neu asphaltiert haben, ist ideal für den Rollstuhl. Sogar gutes Wetter, Frühjahr, die Bäume schlagen aus, die Wiesen grünen. Ich schieb’ so vor mich hin, Heinzi lässt sein erstes Holsten einlaufen, zappelt, sabbert, schmatzt vor Vergnügen. Er will schon wieder eine rauchen, pechschwarze Gitanes, normalerweise zwei Schachteln am Tag – seitdem sein linker Arm nicht mehr richtig mitmacht, qualmt er weniger. Ich stecke ihm die Zigarette an und schiebe sie zwischen seine braunen Finger.
„Kann sein… mein Kumpel kommt heut. Reich’… noch’n Holsten rüber.“
Wir sind weit ins Moor gerollt, an unseren Platz, wo wir anhalten und zusammen saufen.
Ich schnapp’ mir auch ein Bier, trinke es in einem Zug aus. Warm hier draußen.
„Willst du heulen?“, frage ich.
„Klar… muss sein… danach quatschen wir, wa?“
Heinzi weint am liebsten allein. Auf der anderen Seite des Weges gibt es eine erhöhte Einfahrt zu einer Viehweide, sein Stammplatz. Es ist ein festgelegter Wechsel, ein Ritual, er winselt, dann wieder glotzt er stumm in die Landschaft.
„Komm’ her!“
Ich bleibe sitzen, auf dem Erlenstamm, der schon seine Borke verloren hat, dessen Holz über den Winter schon weich wurde. Erlen sind nicht langlebig, ihr Holz taugt nichts. Heinzi hat sich äufgebäumt und ist in sich zusammengesackt. Der Rollstuhl steht noch. Sein Kumpel, wir haben beide auf ihn gewartet. Ich bleibe sitzen, ich schnapp’ mir das nächste Bier, trinke es in einem Zug aus – ist ja noch genug da, ein Glück.
29 Dienstag Jan 2013
Posted Tod im Stadtpark
in„Wie kamen Sie dazu, Mellereck?“
„Diese Nächte, vorher fühlte ich mich von ihnen beschützt, aber dann haben sie mir wehgetan, ich habe geschrien.“
„Was haben sie Ihnen getan, die Nächte?“
„Die Dunkelheit ist böse, ich will nicht lebendig tot sein. Das Schwarze will mich totschlagen Weiterlesen
19 Donnerstag Jan 2012
Posted Bahnhofsbekanntschaften
inWenn ich zur Seite schaue, wird mein Blick erwidert. Ich bin gern zu zweit. Manchmal wird meine Einladung abgelehnt, dann bleibe ich allein. Heute Abend diese leere Bank auf dem Bahnsteig, eine einladend leere Bank. Im Sitzen warten, ihn erwarten. Ich wusste, dass er nicht widerstehen kann. Aber sein Tag war anders. Seine Begegnung mit der Frau war von rotem Blut. Sie heißt Liebmich, ein schöner Name, darüber sind wir uns einig. Rotes Blut. Mich stören die Geheimnisse, die er vor mir hat, sie machen mich melancholisch. Er könnte offener zu mir sein, niemand hört uns zu, er weiß es doch. Er hätte mir vorher sagen sollen, dass Liebmich da ist. Das verzeihe ich ihm nicht, nicht so leicht.
Liebmich steht am Ende des Bahnsteigs vor dem schwarzen Loch, vor der Unterwelt. Die Unterwelt wird den Zug entlassen, er wird sich für Sekunden den Menschen öffnen und wieder entfliehen. Ein Zug muss vieles über sich ergehen lassen. Liebmich sei über die Rolltreppe gekommen, behauptet er. Ich glaube ihm nicht. Die Rolltreppe ist ganz in der Nähe, sie führt auf die Bank zu, auf der wir sitzen. Liebmich musste mich sehen, sie hätte bestimmt gelächelt, mir zugewinkt. Wahrscheinlich wäre sie gekommen und hätte sich neben mich auf seinen Platz gesetzt.
Das sind so seine Behauptungen. Er neigt dazu, sie verletzen mich, da wo die Gedanken in den Kopf eintauchen. Angeblich wäre Liebmich schon vorher dagewesen, sie hätte schon vorher hinten am Bahnsteig gestanden vor dem schwarzen Loch, aus dem der Zug hervorschnellt. Ich wäre ihr hinterhergelaufen, das behauptet er. Ich muss mich sammeln, ich werde ihm so lange mit meinem Schweigen zusetzen, bis er verschwindet. Man kann nicht ständig Leute um sich haben, jeder braucht seine Ruhe. Doch er bleibt. Genug ist genug, ich schreie ihn an.
„Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“
Vor mir steht ein Mann in Uniform.
„Es ist nichts. Ich habe mich nur geärgert.“
„Mensch ärgere dich nicht.“ Der Mann in Uniform lacht, er beweist seinen Humor, er braucht keine Zeugen, er will mich aufheitern, das steht ihm nicht zu, dazu habe ich ihn nicht aufgefordert. Ich mag keine Anzüglichkeiten, man ist ihnen ausgesetzt, diesen Zubilligungen von Mitgefühl, Wärmekrümel, achtlos hingestreut wie Taubenfutter.
„Wann kommt der Zug?“, frage ich.
„Gleich.“
Verlassen hat er mich. Nun vermisse ich ihn. Ich hätte ihn nicht anschreien dürfen, er ist empfindlich. Er lässt sich nicht mehr blicken, es kommt vor, dass er tagelang schmollt. Der Zug wird gleich einfahren. Wenn ich zu Liebmich will, dann wird es Zeit. Mein Weg führt dicht an dem Mann in Uniform vorbei, der Mann hat sein Gesicht verloren, er sucht es. Wenigstens kann er mir nicht mehr nachblicken und mir Glück wünschen. Ständig wünschen die Menschen anderen Menschen Glück. Als ob Glück wünschbar wäre. Dem Mann in Uniform ist alles zuzutrauen, ich beschleunige meine Schritte, ich lasse ihn unendlich weit hinter mir. Der Bahnsteig ist lang. Kurz vor dem Ziel werde ich überrascht, er springt hinter einer der mächtigen Säulen hervor, die das Bahnhofsgewölbe tragen. Er ist wieder da. Wir begrüßen uns nur kurz, man kennt sich. Ich flüstere ihm zu, dass ich das rote Blut sehen will. Er wendet sich ab, er wirkt bekümmert.
Liebmich sieht blass aus neben dem schwarzen Loch, aus dem der Zug im nächsten Moment hervorschnellen wird. Kein rotes Blut. Sie streckt mir ihr Gesicht entgegen, ihr Sehnen, sie breitet ihre Arme weit aus. Seine Warnung ist unnötig, ich fühle, dass ich sie nicht umarmen darf, sie würde zu weinen anfangen, sie würde in mich hinein zerbrechen. Und dann steht er einfach daneben. Auch ich breite meine Arme aus. Wir beugen uns vor. Unsere Augen sind es, unsere Münder, sie treffen sich, zwei offene Münder, die sich aneinanderschmiegen, eine Zunge ertastet die andere, sie umschlingen sich im Speichelschaum. Liebmich schaut mir in die Augen, unsere Augen werden ein Sehen, unsere Blicke verschmelzen, ein einziger Lichtraum, in dem wir uns vereinigen.
Der Zug ist ein wütendes Ungeheuer, plötzlich steht es neben uns, es faucht, zischt, will uns überschlucken, uns fressen.
„Einsteigen!“ Vor mir steht der Mann in Uniform, er hat sein Gesicht wiedergefunden, es hat sich verbogen, es passt nicht mehr genau, es ist verkantet, gratige Risse am Kopfrand. Der Mann in Uniform verdeckt ihn, er lugt hinter dem Mann in Uniform hervor und winkt mir aufmunternd zu. Ich soll mit Liebmich alleine wegfahren. Er bleibt auf dem Bahnsteig zurück, zusammen mit dem Mann in Uniform, hier, nachts in diesem Bahnhof tief unter der Erde.
„Einsteigen!“
Liebmich ist unentschlossen, sie zögert einen Augenblick zu lange. Ich packe sie, da entgleitet sie mir, ich fühle, wie sie noch im Sturz zerfällt, wie sie aufschlägt auf dem Schotter zwischen der Bahnsteigkante und den Gleisen. Der Mann in Uniform hat mich in den Zug gestoßen, ich stolpere hinein, erschrockene Blicke von Fahrgästen, die nichts verstehen. Die Fahrgäste verstehen nichts. Ein freier Platz neben einer dicken Frau, Körperkontakt, flüchtig, voneinander abrücken. Schlecht wie nie fühle ich mich, niemand ist mehr bei mir, ich kann nur ein Wort denken: Liebmich.
15 Sonntag Jan 2012
Posted Immer diese Anderen
inWietse van Ammeren fliegt auf ihrem Rennrad durch das Rheiderland. Dieses Gefühl, über eine schnurgerade Straße durch die leere Landschaft fliegen, wo nichts den Blick hält, nicht denken – treten, treten, treten, den Glutball jagen, ihn verfolgen, in ihn hineinrasen wollen, bevor er versinkt. Wietse möchte das Dorf erreichen, bevor es dunkel wird. Dort gibt es eine Gastwirtschaft mit Fremdenzimmern.
Auf dieser schnurgeraden Straße steht zur gleichen Zeit ein Mann, etwa zwei Kilometer entfernt. Boon Bathoorn bleibt ruhig. Er ist der Großbauer von der Hofstelle Kostverloren, ihm gehört das meiste Land hier. Ruhig bleiben – doch sie kommen. Sie kommen, die Anderen, sie sind da. So wie es der Alte vorausgesagt hat. Er hätte nicht alleine fahren sollen, er hätte einen Knecht mitnehmen sollen.
Die Grote Mandränke, das zweite große Massenertrinken in der Sturmflut von 1634, in der mörderischen Burchardi-Flut. Auch das Dorf Rungholt wurde von der Flut ausradiert, wie andere Dörfer, untergegangen im Dollart an einem einzigen Tag. Überall trieben die Leichen auf dem Wasser, man musste sie in Sammelgräbern beerdigen. Das steht in den Annalen.
Als vor sechs Jahren der Straßenverlauf begradigt wurde, kam der alte Druivenga über die Wiese angestolpert, auf die Baustelle zu. Boon Bathoorn kann so leicht nichts erschüttern, im Frühjahr schlug er einen durchgedrehten Ochsen mit dem Vorschlaghammer tot und verzog dabei keine Miene. Aber damals, beim Anblick des Alten schreckte er zusammen: Das Böse war in seinen Augen, es glühte in seinem Blick, aus einer irren Angst heraus. Er war mit einem Mal ein Fremder. Druivenga kämpfte mit sich, Boon konnte es sehen, der Alte kämpfte. Er schrie die Arbeiter an, spuckte aus, sabberte, grölte wild herum. Dann holte er mit seiner halbleeren Genever-Flasche gegen die Baumaschinen aus, schlug die Flasche auf einem Bagger kaputt, immer wieder, ganz kaputt, bis ihm das Blut hellrot aus der Hand spritzte.
Wietse van Ammeren liegt auf dem Boden. Sie kann noch nicht richtig denken, ihr Kopf, sie versucht sich klarzumachen, was passiert ist. Gestürzt, halsüberkopf vom Fahrrad gefallen, aber wenigstens funktioniert das Denken noch. Nur das Bein tut weh, das linke. Trotzdem gelingt es ihr, aufstehen. Zuerst auf die Knie, irgendwie, auf den Knien hocken und sich dann mit den Händen abstützen – Pause, mühsam rappelt sie sich wieder hoch, kommt endlich in den Stand, sie wankt ein bisschen, doch sie steht.
Sie kann sogar gehen, immer langsam einen Fuß vor den anderen setzen. Da am Straßenrand, ihre schöne Rennmaschine, das Vorderrad total verbogen, irreparabel. Was ist los? Wietse van Ammeren fühlt, dass sie nicht allein ist. Die Dämmerung nimmt zu, die Konturen beginnen schon zu verschwimmen, die grünen Wiesen sind dunkelgrau geworden. Sie schaut sich nach allen Seiten um. Niemand da, keine Menschenseele, aber da sind diese Geräusche. Ein Ächzen aus der Ferne, ein Rumoren, ein Platschen in den Entwässerungsgräben. Nichts zu erkennen, nichts. Mit einem Schlag fällt ihr wieder ein, wie es zu dem Sturz gekommen ist – sie will hier nicht bleiben, keine Sekunde länger, sie humpelt los, nein, sie humpelt nicht mehr, sie rennt.
Boon Bathoorn hat sich hinter die offene Fahrertür seines Jeeps zurückgezogen, der Schlüssel steckt. Sie kommen, die Anderen, sie sind da. Meistens kommen sie im Herbst, meistens kommen sie kurz vor Vollmond. Vor seit sechs Jahren begann es, seitdem werden im Rheiderland Menschen vermisst. Zuerst sind es nur Schatten, schwarze Quallen, die aus dem Nichts auftauchen, schemenhaft, kaum auszumachen. Langsam setzen sich ihre Silhouetten schärfer ab vor der Weite der Polder im Mondschein. Sie torkeln, sie wanken, doch sie sammeln sich. Boon sieht das Aufblitzen von Reflektionen im schwindenden Sonnenlicht, er sieht Arme hochzucken. Er hat sich auf die Unterlippe gebissen, das Blut im Mund schmeckt bitter.
Sie sind näher gekommen, Boon Bathoorn hat sich hinter das Steuer geworfen und ist mit aufheulendem Motor davongejagt. Nun rollt der Jeep auf den Platz zu, wo der Polderkanal in den Staadskanal einmündet. Die Stelle hat ihm einmal der alte Druivenga beschrieben, es ist die richtige Stelle. Als die Scheinwerfer eine Gestalt erfassen, tritt Boon hart auf die Bremse. Beinahe wäre er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe gestoßen. Das Zittern hat sich angekündigt, in diesem Moment überfällt es ihn. Er reißt sich zusammen, er erkennt eine junge Frau – die Kupplung bleibt durchgetreten, der erste Gang ist eingelegt. Die Frau gestikuliert und läuft auf ihn zu.
Boon hat das Fenster nur einen Spalt breit geöffnet. Immerhin macht sie in ihrem Sportdress einen sehr lebendigen Eindruck. Das Mädchen blutet an einem Bein.
„Unfall?“
„Endlich kommt jemand!“ Wietse van Ammeren ist sichtlich erleichtert, sie ist noch außer Atem, sie redet hektisch auf den Mann im Auto ein. „Bin gestürzt, mit meinem Rennrad, voll über den Lenker geflogen, zu abrupt gebremst. Vor mir war auf einmal irgendetwas – dachte ich, Leute oder so, aber…“
„Wir müssen hier weg“, sagt er scharf, „Du bist verletzt?“
„Nur am Oberschenkel, Schürfwunde. Ich bin ins Gras geflogen, ich konnte mich abfedern, so einigermaßen.“
„Steig’ ein!“, blafft er das Mädchen an. „Wir müssen weg hier, aber ich muss noch eben etwas erledigen, dauert nicht lange.“
Seine Augen suchen sorgfältig die Umgebung ab. Nichts, nichts außer den Linien der Gräben, die sich im Grenzenlosen treffen. Die Dämmerung geht in die in Nacht über, keine Wolke am Himmel, aber der Mond. Ganz dunkel wird es heute nicht werden.
„Mein Fahrrad muss mit“, erklärt Wietse, als sie neben ihm sitzt, „nicht ohne mein Rennrad, das war teuer.“
„Morgen.“
„Von wegen – morgen ist es geklaut. Wir holen das Rad sofort, oder ich ruf‘ die Polizei an.“
„Mach‘ was du willst.“ Auch noch frech werden, Boon ärgert sich über das vorlaute Mädchen, aber er ist im Stillen froh, nicht mehr allein zu sein, er lenkt ein. „Gut, wir holen dein Fahrrad gleich. Ich muss nur vorher noch das Schwein ausladen. Hier, nimm mal kurz das Gewehr!“
„Igitt!“ Wietse van Ammeren kann nicht fassen, was vor sich geht. Der Kerl hat ihr eine Flinte in die Hand gedrückt, er hat eine Jutedecke auf der Rückbank hochgeschlagen, und nun blickt sie mit großen Augen auf zwei Schweinehälften. „Warum willst du denn das Schwein ausgerechnet hier ausladen, hier in dieser einsamen Gegend?“
„Es wird abgeholt, ein alter Brauch.“
„Ehrlich?“
Seit drei Jahren legt Boon Bathoorn zwei Schweinehälften aus, immer im Herbst um diese Zeit, immer an diesem Platz. Am nächsten Tag sind sie weg, jedes Mal. Aber es lohnt sich. Seit drei Jahren kam kein Mensch mehr zu Schaden, und es wird auch niemand mehr vermisst. Die Staatspolitie hat längst aufgegeben, sie ist abgetaucht, er kann die blöden Witze am Telefon nicht mehr hören.
„Gib mir das Gewehr!“ Boon steht vor dem Jeep, er hat Kraft, er hat die erste Schweinehälfte mit Leichtigkeit geschultert. Die Stelle ist nur ein paar Schritte entfernt. Genau hier, am Rand des Kanals will er seine Last ablegen, da hört ein tiefes Gurgeln, ein Röcheln. Der Uferschlick vor ihm hebt sich, er hebt sich weiter, bis eine schlammbedeckte Gestalt daraus hervorkriecht, sie stöhnt, noch nie hat Boon so ein Stöhnen gehört, er lässt die Schweinehälfte fallen, er greift nach seinem Gewehr, in einem Sekundenbruchteil zielt er – die Gestalt reißt die Arme hoch, abwehrend, Knochenarme, an denen skelettierte Hände hängen. Boon will schießen, doch plötzlich erkennt er ihn.
„Druivenga! Um Gottes willen, Druivenga!“ Sein rechtes Auge hängt heraus, er hat ein klaffendes Loch in der Stirn, die halbe Nase ist abgebrochen, er starrt vor Dreck – aber Boon Bathoorn erkennt seinen alten Knecht, den er vor vier Jahren beerdigt hat. Er schießt, ein lauter Knall hallt durch die unendliche Weite des Rheiderlandes, er schießt noch einmal, dann hört er hinter sich den Schrei.
Boon Bathoorn handelt kaltblütig. Er schiebt blitzschnell zwei neue Patronen in sein Gewehr nach und läuft in einen besseren Winkel zum Jeep, um das Mädchen nicht zu gefährden. Er zielt, er zielt präzise, lädt wieder nach, schießt, lädt immer wieder nach, er schießt und schießt, bis sich die Traube um das Auto herum aufgelöst hat. Die Fahrertür ist frei, Boon rennt los, reißt die Tür auf, wird am Bein festgehalten, eine schmerzhafte Kralle, wie ein Wilder hämmert er mit dem Gewehrknauf auf die Hand ein, dann ist der Arm zertrümmert, er kann hineinspringen, die Tür zuschlagen, den Motor anlassen, Gas geben.
Sie rasen durch die Nacht. Sie rasen schon zehn Minuten lang auf der schnurgeraden Straße durch die Nacht. Schweigend. Wietse hat sich an Boon angelehnt, ihr Kopf sucht seine Halsbeuge, das Zittern nimmt langsam ab, verschwindet schließlich ganz.
„Was ist mit dem Fahrrad?“, fragt er.
„Ich will es nie wieder sehen.“
10 Mittwoch Aug 2011
Posted Pflanzzeit
inSo ein Tag. Der Geruch von Erde, schwer und betörend. Die Erde ist bereit, die Pflanzen aufzunehmen. Über ihm ein strahlend blauer Himmel. Er schaut hoch, genießt den Wind, das Licht, die Wärme des Frühsommers.
Auf den Pflanzenkarton neben ihm ist ein Schatten gefallen, länglich, konkret. Wo der Schatten endet, stößt sein Blick auf ein Frauenbein, auf einen bestrumpften Unterschenkel. Weiße Halbschuhe, fast ohne Absatz, mit roten Schnürsenkeln: Marietta.
Sie fragt, was er macht. Er pflanzt, er möchte in Ruhe pflanzen, man kann es gar nicht übersehen. Sie fragt, was für ein Zeug das ist, in dem Pappkarton. Sein Nacken verspannt sich. Da erscheint Mariettas zweites Bein, ihr weißes Kleid verdunkelt seinen Einkauf, für den er im Gartencenter zwei Stunden verbrachte. Er wählte aus, er verwarf, er entschied sich um, er ließ seiner Phantasie freien Lauf.
Das Zeug im Karton… rotbeerige Zaunrüben, Rankpflanzen, vier kerngesunde Exemplare. Warum soll er es Marietta sagen? Warum? Es interessiert sie nicht. Nein, es interessiert sie nicht. Doch sie ist neugierig.
„Bryonia dioica.“
„Was?“ Marietta ist zusammengezuckt.
„Die rotbeerige Zaunrübe.“
Wie groß ihre Augen sind, wunderschöne Augen. Jetzt schließen sie sich, Marietta hat ihren Kopf zurückgeworfen, sie schüttet ihr helles Lachen über ihm aus. Kontrollverlust, typisch.
„Rüben direkt an der Hauswand? Du wirst nie ein Bauer.“
„Die rotbeerige Zaunrübe ist eine Rankpflanze. Verdammt noch mal! Sie heißt nur so.“
Marietta ist eine Nachbarin, redselig, nett, eine Nachbarin. Sie wohnt etwa einen Kilometer entfernt in einem kleinen Häuschen, wo alles bunt angemalt ist, selbst der Kühlschrank. In dieser einsamen Gegend besucht man sich manchmal. Er hat sie grob zu sich herangezogen, seine Hände umfassen ihren Hintern.
„Wie heißt sie noch, deine Rübe?“, will Marietta wissen.
„Das sind Strümpfe“, staunt er, „mit Strumpfhaltern.“
„Na und?“
„Nichts drunter.“
„Das hast du längst gefühlt mit deinen Patschhänden. Mach ja das Kleid nicht schmutzig!“
Er hebt sie mit einem Ruck hoch. Marietta macht sich an seiner Hose zu schaffen.
„Die Bryonia dioica”, keucht er, “ist außerdem eine gefährliche Giftpflanze.“
„Ach so.“ Marietta ist beschäftigt, die Hose rutscht schon herunter.
„Aber die Sumpfmeisen fressen ihre Beeren sehr gern, da sind sie ganz scharf drauf.“
„Sumpfmeisen?“
„Die rotbeerige Zaunrübe vermehrt sich eingeschlechtlich, männlich oder weiblich.“
„Mein Gott, wie langweilig.“ Sie lächelt, sie gibt ihm einen Kuss. „Du bist ein Idiot.“
06 Sonntag Feb 2011
Posted Socken für Dimitrij
in„Du stopfst immer noch Socken, Tante Mila… keine Frau stopft heute noch Socken.“
„Ich habe sie selbst gestrickt.“ Die alte Miljena blickte zu ihrem Neffen auf, dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. „Im Winter beschwert ihr Männer euch, dass keine da sind. Du hast es erledigt, Dimitrij?“
„Ja.“
„Schwierigkeiten?“
„Es war ein Geistlicher… in einer schwarzen Soutane.“
„Das wusstest du vorher.“ Tante Mila’s Ton wurde streng. Sie konzentrierte sich darauf, einen neuen Faden durch das Nadelöhr zu schieben. „Wir töten, Dimitrij, zwei Familien leben vom Töten. Das Geschäft läuft gut, wir haben mehr als genug Aufträge. Ein Geistlicher, und wenn schon – ein greiser Pfaffe, dem Tode nahe.“ Sie seufzte. „Warum bloß hat Gott mir keinen Sohn geschenkt?“
„Es war so einfach“, sagte Dimitrij leise. „er saß auf einem Stein direkt vor der Steilküste, er schaute aufs Meer.“
„Wo?“
„Bei Nizza.“
„Ja, die Welt ist groß… viele fremde Orte, weit weg. Es soll schön sein am Mittelmeer. Du hast ihn runtergestoßen.“
„Er überschlug sich in der Luft – der Mann sah mich noch an.“
„Ja, darum musstest du dich wieder betrinken!“, schrie die alte Miljena. „Musstest durch die Straßen torkeln, so laut vor dich hin brabbeln, dass es jeder hören konnte! Bis hierher nach Kirgisien konnte man es hören.“
„Wer hat mich beschattet, Tante Mila?“ Der Schock saß tief, es dauerte, bis er sich wieder im Griff hatte. „Eine Viertelmillion Dollar, ist doch nicht zu verachten… oder?“
Tante Mila machte bedächtig ihr Nähkästchen auf. Dimitrij erkannte sofort das Klicken ihrer kleinen Pistole.