Aus dem Nachlass eingefügt mit einem Foto, das Hans-Wilhelm Precht in der argentinischen Hafenstadt Ushuhaia zeigt.
Seit einiger Zeit erstreckt sich der Erklärungsanspruch der Quantentheorie über die naturwissenschaftlichen Grenzen hinaus: Sie nimmt den menschlichen Geist ins Visier. Versuch einer Zeitdiagnose.
Die Quantentheorie – weiss man mittlerweile – ist paradox: Einerseits ist sie das bisher erfolgreichste Instrument zur Erklärung der Natur; andererseits ist sie unverständlich, wenn man sie aus der Sicht des gesunden Menschenverstands interpretieren möchte. In dieser Notlage riet der Physiker David Mermin seinen Kollegen: «Mund halten und rechnen!»
Es lockt das Bewusstsein
Diesen Rat schlagen die Physiker in den Wind. Sie rechnen zwar fleissig, halten den Mund aber immer weniger zu Fragen, mit denen sich traditionell eher die Philosophen abmühen. Zum Beispiel hat es ihnen das Bewusstsein angetan. Das zeigte sich kürzlich an der Tagung «Das Grosse, das Kleine und der menschliche Geist» im Verkehrshaus Luzern, organisiert von der Neuen Galerie Luzern. Anlässlich der 9. Schweizer Biennale zu Technik, Wissenschaft und Ästhetik diskutierten Physiker, Neurowissenschafter und Molekularbiologen über die Frage nach der «mysteriösen Brücke» zwischen Quantenwelt und unserer klassischen Alltagswelt.
Spezialgast war der Mathematiker und Physiker Sir Roger Penrose von der Oxford University. Penrose sorgt seit zwanzig Jahren innerhalb und ausserhalb der Fachkreise für Aufsehen mit seinen Ideen über die Entstehung von Bewusstsein aus quantenphysikalischen Prozessen. Er setzt damit eine Tradition fort, die mit den Spekulationen der Pioniere der Quantenphysik in den 1930er Jahren anhob.
Anders als die Physiker damals kann sich Penrose heute auf eine entwickelte Neurophysiologie stützen, speziell auf Studien des amerikanischen Arztes Stuart Hameroff über sogenannte Mikrotubuli. Das sind winzige Proteinröhrchen, die in allen Zellkernen vorkommen und als molekulare Computer fungieren. Das Entscheidende: Sie weisen die typische Grössenordnung für Quanteneffekte wie Kohärenz auf. Kohärenz bedeutet, dass Quantenobjekte – Elektronen, Photonen, Atome oder eben auch Mikrotubuli – auf eine Weise zusammenhängen, für die die klassische Physik keine Beschreibung hat.
Effekte, die aus einem solchen Zusammenhang – der «Verschränkung» – resultieren, sind zum Teil höchst sonderbar. Hier eine Analogie zur Veranschaulichung: Spielte man im Basler St.-Jakob-Stadion und im Aztekenstadion in Mexiko-Stadt zeitgleich mit zwei identischen, quantenverschränkten Fussbällen, dann würde die Beobachtung eines Baslers, dass der Ball einen Linksdrall hat, augenblicklich den entsprechenden Drall des Zwillingsballs in Mexiko-Stadt festlegen. Ein aus klassischer Sicht völlig unverständliches, ein – wie Einstein es nannte – spukhaftes Phänomen.
Diesen «Spuk» weisen die Physiker seit den 1980er Jahren experimentell nach – bei Mikroobjekten, die man möglichst störungsfrei von ihrer Umgebung isoliert. Normalerweise verrauscht dieser verschränkte Quantenzustand bei Makroobjekten wie Fussbällen innert kürzester Zeit infolge Wechselwirkung mit der Umgebung – er «kollabiert» und ist nicht nachweisbar. In ihren Fundamenten tickt die Welt zwar quantenmechanisch, aber dieses Ticken vernehmen wir im Bereich von gewöhnlichen Dingen wie Fussbällen, Uhren und Kühlschränken nicht. Viele Physiker sehen deshalb im Kollaps von verschränkten Quantenzuständen die Ursache für das Auftreten von klassischen Eigenschaften.
Penrose und Hameroff begnügen sich nicht damit und nehmen nun das Bewusstsein ins Visier, genauer: die neurophysiologische Vorstufe bewusster Prozesse. Sie vermuten, dass sich gigantisch viele Mikrotubuli quasi zu einem einzigen selbstorchestrierten Quantenzustand verschränken können und dass dessen Kollaps dann als ein «Bing» (Hameroff) registriert wird: als ein Elementarereignis in Hirnzellen, das, mit vielen gleichen Ereignissen zusammengeschaltet, unser bewusstes Handeln steuert. Penrose ist dabei der Meinung, dass die herkömmliche Quantentheorie nicht hinreicht als Erklärung. Sie müsse mit der Gravitation in einer neuen Quantengravitationstheorie aufgehoben werden.
Natürlich gibt es fachliche Kritik zuhauf: Die Physiker monieren, dass diese Theorie bis jetzt noch gar nicht existiert und dass das Kollaps-Konzept selbst strittig ist. Die Neurowissenschafter stört, dass Penrose und Hameroff die Standardmodelle der Hirnphysiologie umgehen, die mit Dendriten und Synapsen operieren.
Es gibt grundsätzlichere Einwände. Die Vermutung ist so abwegig nicht, dass eine Quantenphysik des Bewusstseins an dem vorbeisteuert, was der Philosoph David Chalmers das «harte Problem» genannt hat: Bewusste Erfahrung ist immer die Erfahrung aus jemandes Perspektive. Aber wie soll man dieses Faktum in einem physikalischen Weltbild unterbringen, das keinen Platz für solche Jemande bereithält? Gewiss, Bewusstsein hat ein physiologisches oder physikalisches Korrelat, aber dieses Korrelat ist eben gerade nicht das Bewusstsein. Vielleicht gibt es ja eine Physik, die den Geist erklären kann, allerdings wäre sie – dies als These geäussert – so beschaffen, dass wir sie nicht verstehen.
Paranormale Spinnerei
Auch wenn es sich bei der Quantentheorie des Bewusstseins um einen spekulativen Hochseilakt handelt, so bleiben Penrose und Hameroff in den Gemarkungen seriöser Wissenschaftlichkeit: Es handelt sich quasi um «normale» Spinnerei. Seit einiger Zeit schon grassiert nun freilich noch eine ganz andere Quantentheorie. Man werfe einen Blick in die Regale populärwissenschaftlicher Literatur. Es wimmelt nur so von «Quantentheoretikern». Deren Umkehrschluss ist von entwaffnender Simplizität: Quantenphysikalische Phänomene sind seltsam, also ist alles Seltsame quantenphysikalisch erklärbar. Weil eigentlich niemand diese Theorie versteht, lässt sich mit ihr alles verstehen. Das ist natürlich ein Denkfehler, aber seine Ausbeutung feiert Hochkonjunktur. Alles ist mit allem verschränkt kraft eines mysteriösen Quantenallzusammenhangs.
Begonnen hatte der ganze Zirkus im Übrigen mit den westöstlichen Weltumarmern der 1970er Jahre. Der Physiker Fritjof Capra schrieb damals das Buch «Das Tao der Physik», in dem er postulierte, dass die alte Hindumystik im Grunde Quantentheorie in metaphysischer Verpackung sei. Das Buch wurde zum Bestseller, um nicht zu sagen zur neuen Bibel all jener Hippies, die danach dürsteten, die durch wissenschaftliche Rationalität entzauberte Weltsicht wieder spirituell aufzufüllen. «Quant» liess diese Leute wie die heilige hinduistische Silbe «om» erzittern, aus deren Vibrationen das Universum entstand. Und das Wort vibriert bis heute in der Alternativ- und Esoterik-Szene.
Unisono tönt das Mantra der Quantenphilosophen, -mediziner und -magier um den ganzen Globus: Bewusstsein (Bing!) ist überall! Bewusstsein und Universum bilden ein einziges «verschränktes» Ganzes! 2008 titelte eine grosse deutsche Zeitung – wohlgemerkt im Wissen-Teil: «Die Seele existiert auch nach dem Tod.» Im Artikel heisst der Autor das Jenseits in der grossen Kohärenz willkommen und lässt dadurch den alten Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion elegant hinter sich.
Dem staunenden Publikum wird so ziemlich alles aus dem Zylinderhut der grossen Kohärenz gezaubert: Abnehmen, Homöopathie, geheimes Leben der Pflanzen, Ferien in Parallelwelten, Gespräche mit Toten, Glück, Geld, Unternehmenserfolg, Benzinsparen usw. Eine Schweizer Technikfirma beruft sich im Marketing ihrer Produkte explizit auf das Penrose-Hameroff-Modell, als ob es sich dabei bereits um rundum getestetes Wissen handelte. Wenig erstaunt stellt man dabei fest, dass die «Quantentheoretiker» immun sind gegen Kritik. Sie halten sich in ihrer Bewirtschaftung der Gutgläubigkeit schadlos an der Wissenschaft, spielen aber das Spiel Wissenschaft nicht mit. Ihre «Quantentheorie» verhält sich zur Quantentheorie – um hier Bertrand Russell zu paraphrasieren – wie Diebstahl zu ehrlicher Arbeit.
Die neue Königs-Wissenschaft
Woher diese Beschwörung der grossen Quantenkohärenz? Warum haben auf einmal alle ein tiefes Vertrauen in die Physik? Adelt es unsere Meinungen über die Welt, wenn wir sie im Namen der Quanten äussern? Ich wage mich an eine Zeitdiagnose. Hier offenbart sich ein Symptom der Post-Postmoderne: das rückfällige Bedürfnis nach einer universalen verbindlichen Weltsicht, offenkundig genug im erstarkenden religiösen Fundamentalismus. Mit ihrer Aura des Fundamentalen, Paradoxen, Mysteriösen erscheint die Quantentheorie wie geschaffen, dieses Bedürfnis auch von wissenschaftlicher Seite her zu stillen. Nachdem Vordenker der Postmoderne wie Paul Feyerabend, Jean-François Lyotard oder Richard Rorty der Wissenschaft ihre «absolutistische» Position in der Welterklärung abgesprochen hatten, hielt ein fröhlicher Markt von Weltdeutungen ohne Letztbegründungen Einzug: die Zeit des «schwachen Denkens».
Heute finden wir Evolutionsbiologie neben Kreationismus, Quantenmechanik neben Hindumystik, Biomedizin neben Ayurveda, Astrophysik neben Ufologie, Computerprognostik neben Teeblattlesen und was auch immer angeboten wird im unüberschaubaren Konsumtempel der Weltanschauungen, die alle ihre Geltungsansprüche erheben und gerade dadurch jegliche verbindliche Geltung unterhöhlen. Es mutet wie die tiefe Ironie einer Dialektik an, wenn in diesem Kuddelmuddel nun doch wieder eine «Königs»-Wissenschaft als heimliche Führerin Profil gewinnt, die Quantentheorie, die «es letztlich weiss». Die Alchemisten redeten früher vom Alkahest, von einem Elixier, das alles auflösen kann. Es scheint fast, als böte sich in der Quantentheorie ein moderner Alkahest an, ein universelles Lösungsmittel für alle Fragen.
Erfreulicherweise bin ich wohl nicht der Einzige, der die Quantenphysik nicht kapiert.
Wenn man etwas nicht kapiert, dann macht man daraus eben eine Religion.
LikeLike
Ein Foto von Wilhelm.
Gut.
Aus dem Nachlass???
Sehr gut !!!
Gibt es da noch mehr ?
LikeLike
Oh, Deeplooker, so gut, dass Du wieder da bist!
LikeLike
Reinstes Gehirnschmalz, danke. Macht nachdenklich.
LikeLike
Mich irritiert es eher.
LikeLike
Also ist nach einer Version Hindumystik eine vorgenommene Quantentheorie. Wahrscheinlich sind Mattjesheringe und Himbeereis auch dasgleiche 🙂
LikeLike
Bloß weil in Versuchsanordnungen Elektronen statt durch eines von zwei Löchern in einer Wand gleichzeitig durch beide fliegen wird daraus noch lange nicht Schrödingers Katze, die gleichzeitig tot und lebendig sein soll, Quanten hin, Quanten her.
LikeLike
Vielleicht liegt es ja nur daran, dass ich ein „WEIB“ bin. Ich verstehe Quantenphysik nicht, auch wenn ich mich bemüht habe, sie zu verstehen.
LikeLike
Naturwissenschaften müssen nicht anschauich sein, aber in der Quantenphysik hat man ständig den Eindruck, dass da irgend etwas anders sein muss als bisher immer vermutet oder „gerechnet“.
LikeLike
Falls noch mehr im Nachlass von W. ist, bitte publizieren !
LikeLike