Der Erste und der Zweite Weltkrieg waren in erster Linie europäische Kriege – obwohl beide weltweite Folgen hatten, waren es keine weltumfassenden Kriege, auch nicht angesichts des Krieges zwischen den USA und Japan, der 1941 mit Pearl Harbour begann. Aber man kann es wohl als Weltkrieg begreifen, wenn gleichzeitig mehrere mächtige Staaten militärisch aufeinander prallen. Während des langen Kalten Krieges hing der mögliche Dritte Weltkrieg wie ein Damoklesschwert über den Völkern, vor allem über den europäischen.

Ein dritter großer Krieg hätte unweigerlich einen wirklichen Weltkrieg bedeutet, weil durch gegenseitige Atomschläge die Existenzbedingungen aller Menschen auf der Erde schwer beschädigt worden wären. Nachdem sich die akute Bedrohung durch den Kalten Krieg in eine relative durch die verbliebenen Atomwaffen verwandelt hatte, konnte man immerhin erwarten, dass die Welt viel friedlicher werden würde. Diese Einschätzung erwies sich schon bald als falsch.

Besonders die Vereinigten Staaten von Amerika weigerten sich, die Konsequenz des Friedens zu ziehen – zwar reduzierten die beiden ehemaligen Kontrahenten die Zahl ihrer Atomsprengköpfe beträchtlich, und die Start-Verhandlungen (Strategic Arms Reduction Talks bzw. Treaty) werden bis heute weiter geführt, aber Tatsache ist, dass die USA seit 1989 enorm aufgerüstet haben, nur mit „moderneren“ Schwerpunkten, hin zu kleineren, dafür flexibler einsetzbaren Waffensystemen. Außerdem wurden die amerikanischen Truppen nicht aus Deutschland abgezogen, das die imaginäre Frontlinie des Kalten Krieges durchzogen hatte. Bis heute bleibt man auf Vermutungen angewiesen bei der Frage, warum die Deutschen nach der Wiedervereinigung niemals den Truppenabzug verlangten, wo doch die russischen Soldaten aus Ostdeutschland restlos verschwunden waren. Die Friedensdividende, die so viele Menschen herbeisehnten, wurde von den Vereinigten Staaten krass ignoriert, sie wurde nicht für eine bessere Welt ausgezahlt, allerdings von den anderen Nationen auch nicht in angemessener Weise, auch das muss festgestellt werden.

Für die Bedrohung spielt es keine Rolle, dass die Zahl der Atomsprengköpfe halbiert wurde, man kann damit immer noch den ganzen Globus in die Luft jagen – die nukleare Katastrophe ist nur in den Hintergrund gerückt, sie existiert als realistisches Schreckensbild nach wie vor. Man gebe sich hier keinen Illusionen hin, denn auf die letalen Knöpfe kann weiterhin gedrückt werden. Die generelle Kriegsgefahr hat im Vergleich zum Ende des vorigen Jahrhunderts sogar zugenommen, unter diesen veränderten Gesichtspunkten:

1. Zuspitzung der sozialen Gesamtlage: Die Lebensbedingungen der meisten Menschen auf der Welt verschlechtern sich rapide – damit steigt die Wahrscheinlichkeit militärischer Konflikte.

2. Verschwimmende Definition von Krieg: Kriege sind immer schwieriger als solche zu identifizieren, die Kriterien vernebeln sich zusehends. Häufig liegen kriegsähnliche oder bürgerkriegsartige Zustände vor, zum Beispiel im Irak, in Afghanistan, in Syrien, eigentlich an der ganzen Levante mit dem Libanon, mit Isreal und Palästina, in Libyen, im Süd-Sudan, siehe Dafur, im chaotischen Somalia, in Mali, und neuerdings besonders bedrängend in der Ukraine. Selbst in Ländern wie Kolumbien – Stichwort 50 Jahre Bürgerkrieg – in Nigeria, in der Demokratischen Republik Kongo oder in Pakistan herrscht kein Frieden.

3. Waffentechnisch anonymisierter Krieg: Je weniger er greifbar wird, desto niedriger wird auch die Schwelle zum Krieg. Vornehmlich Drohnen, aber auch andere ferngelenkte Waffen machen es heute möglich, Länder in einen dauernden Quasikriegszustand hinein zu zwingen, dem sie wehrlos ausgesetzt sind.

4. Von außen induzierter Krieg: Lokale Kriege, gerade zwischen Volksgruppen, werden von einer fremden Macht durch verdeckte Aktivitäten provoziert, um ökonomische oder geostrategische Interessen zu verfolgen, die durchgehend verschleiert bleiben. Solche Kriege werden immer bedenkenloser angezettelt, sie werden zunehmend zu einem Mittel der internationalen Politik, wobei Menschlichkeit und Moral unter den Tisch fallen.

5. Krieg als Instrument für die Implementierung der Weltgesellschaft: Egal wo, ob in Thinktanks, ob in mysteriösen Geheimbünden oder ob schlichter in den Spitzenrängen der Politik und der Wirtschaft – man ist sich hinter den Kulissen der Macht stillschweigend darüber einig, dass es nur über Kriege möglich sein wird, eine stabile Globalgesellschaft nach eigenen Vorstellungen zu etablieren. Den größten Teil der Menschheit haben die Weltverunstaltungsgestalter in ihren Köpfen bereits als Kollateralschaden abgehakt: weg damit, eliminieren, es sind sowieso zu viele. Der Westen wird seine militärische Übermacht weiterhin aufrechterhalten, nicht allein weil er sich vor Überfällen eines Rivalen schützen will, und schon gar nicht, weil er sich vor Terroristen schützen will… der Westen hat inzwischen nicht mehr nur gegen das Böse aufgerüstet, sondern gegen die Menschen selbst, deren Massenhaftigkeit als bösartig betrachtet wird.

6. Krieg als existenzieller Selbstzweck: Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Zivilisation den Krieg als normale Variante des Daseins akzeptiert und zu einem gewissen Maße verinnerlicht hat – dieser Befund wird zurückgehalten, weil er die Menschheit kläglich dastehen lassen würde. Wenn sich im Kriegführen ein kollektives Durchsetzungsvermögen manifestiert, das positiv besetzt ist, dann vernichtet das Kollektiv damit den Wert des Individuums: Der Mensch als Person und als großartige Persönlichkeit hat sein Lebensrecht oft schon mit der Geburt verwirkt – der Mensch, die Krone der Schöpfung, wird in seiner Bedeutung wie durch eine entsetzliche Obsession nachrangig, sein Leben verkümmert zu einer grotesken Gnade, die willkürlich gewährt oder entzogen wird.