Weiterdenken ist öffentlich out – ein merkwürdiger Konsens, denn viele Menschen werden immer nachdenklicher. Sie machen sich Sorgen, nicht nur über ihre eigene Existenz, sondern zunehmend über Weltprobleme, und sie laufen mit diesen Sorgen ins Leere. Für die Medien sind solche Grübeleien am besten in den privaten Couchecken aufgehoben, wo sie sich nach einer Flasche Rotwein verflüchtigen.

Man hat sich stillschweigend geeinigt, düsterere Aussichten nur in einem abgesteckten Rahmen vorzuführen. Prekäres wird nicht zu Ende transportiert, meist wird es drastisch, aber orientierungslos abgehechelt, nach dem Motto: Nichts kommt cooler als lebensfroher Fatalismus. Ist selbstreglementierte Wahrnehmung selbstverständlich geworden? Oder hängt den Journalisten das alles zum Hals heraus? – Umweltzerstörung, Klimakatastrophe, Überbevölkerung, Ressourcenverschleuderung, Kriegstreiberei, die soziale Deformation der Gesellschaft. Und so weiter: eben die großen Probleme, für die keiner eine Lösung hat.

Fehlentwicklungen wie am Fließband zu deklamieren und sie spektakulär zu bebildern, führt die Menschen noch tiefer in den Trübsinn, wenn man sie dabei ohne Perspektiven alleinlässt. Doch in einem groteskem Sendungsbewusstsein für ihre Art der Realitätsvermittlung dreschen die Medien unablässig auf die Leute ein, ohne Rücksicht darauf, was sie damit anrichten – alles für einen fraglichen Unterhaltungswert unter dem Vorwand der Informationspflicht. Mit Konsequenzen, selbst wenn sie auf der Hand liegen, will niemand etwas zu tun haben. Lieber pflegt man weiter seinen Zynismus, so wird Sprachlosigkeit beredt gemacht und die Aussichtslosigkeit knallbunt überpinselt – es ist ein sich selbst verzehrender Journalismus, der sinnlos neugierig überall auf dem Erdball herumtorkelt wie ein Betrunkener auf der Suche nach der nächsten Kneipe.

Das Weiterdenken ist auch out, wenn es um Geld und Finanzen geht, also um das Kapital – seine globale Bedeutung Kapitalismus zu nennen, wäre schon bedenklich, weil den meisten Leuten dazu rückblickend bloß Sozialismus einfällt. Und der ist gegenwärtig so angesagt wie das Rauchen. Der Sozialismus in den klassischen und bereits realisierten Formen wird sich nicht wiederbeleben lassen. Damit stellt sich eine entscheidende Frage: Ist die kapitalistische Weltgesellschaft zukunftsfähig? Nein. Sie macht uns auf Dauer kaputt. Wir wissen es, unter vorgehaltener Hand raunen wir es uns zu, und wir sehen uns dabei um, obwohl noch kein Anlass dazu besteht. Ruhig bleiben: Die Erde wird nicht untergehen, die Menschheit wird nicht verschwinden, kein Doomsday-Pathos. Aber wahrscheinlich erst nach zwei oder drei weiteren Jahrhunderten wird das Herrschaftssystem von Konzernen im Allmachtswahn endgültig als folgenreiche Verirrung in die Geschichte eingehen.

Der Teufel ist die Seele des Konzerns – das klingt schon leicht meschugge, außerdem wirkt Konzernschelte hoffnungslos abgedroschen. Mit diesem Teufel hat es trotzdem etwas auf sich, unabhängig davon, ob man religiös ist: Die Großunternehmen lenken vielfach das Schicksal der Menschen, selbst wenn die nichts davon ahnen. Sie steuern Bedürfnisse, sie bemächtigen sich der Gefühle, sie legen den Gesichtskreis des Individuums fest. Nebenbei determinieren sie noch die Nichtshaftigkeit seines Todes, mit Gucklöchern für den Ausblick auf Transzendenz und Mysterien, die ebenso lachhaft wie eingängig sind – denn so kann man hartnäckige Gläubigkeitsreflexe gut vermarkten.

Woher kommt aber der Konzern-Teufel? Große Unternehmen handeln nicht menschlich – was nicht heißt, sie handelten automatisch unmoralisch. Als existenzieller Impetus entspricht dem Selbsterhaltungstrieb des Menschen der Betriebszweck des Unternehmens. Wichtigste Voraussetzung für eine prosperierende Volkswirtschaft sind effizient arbeitende Einzelunternehmen. Und das ist auch gut so, denkt man – weil schließlich irgendwo das Geld für unseren Lebensstandard herkommen muss.

Problematisch wird es, wenn viele Firmen sehr groß werden. Dann entsteht eine abgehobene Dimension von Ökonomie, die unkenntlich und so komplex wird, dass sie kaum noch zu kontrollieren ist. Firmen des Zuschnitts von Global Players verdienen so viel, dass sie andere Unternehmen der Reihe nach aufkaufen, es entstehen oligopolistische Märkte, die Menge des bilanziellen Eigenkapitals wächst regelmäßig so stark an, dass es intern nicht mehr eingesetzt werden kann. Dann muss dieses enorme Überschuss-Kapital verselbständigt nach einer rentierlichen Investition suchen.

Diese Verselbständigung ist geradezu katastrophal, ein Werk des Teufels. Sie hat einen Weltfinanzmarkt hervorgebracht, mit einer unvorstellbar großen fiktiven Geldschöpfung, dem volkswirtschaftlich nichts Fassbares zugrundeliegt. Die Entwicklung hat bereits in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eingesetzt, und sie kulminiert. Wie ein hungriger Wolf nach Fleisch, so giert ein ungeheures Kapitalvolumen nach seiner Nahrung, nämlich der Rendite – koste es, was es wolle. Und wie ein hungriger Wolf die Menschen angreift, tut es auch das Kapital. Denn es ist weitgehend in der Hand der Konzerne, deren Seele, wie gesagt, eine teuflische ist. Die ach so großartigen Manager tarnen nur den Teufel, sie sind seine Lakaien, sie dienen ihm – ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt, jedenfalls erhalten sie dafür einen fürstlichen Lohn.

Das anonyme Großkapital ist der Alien im Raumschiff Erde. Wir werden ihn so leicht nicht los. Selbst im Kino hat es nach der dritten Fortsetzung immer noch nicht geklappt. Niemand weiß, was der Alien vorhat – man weiß nur, dass er sich selbst ins Unendliche multiplizieren will und dass dieses Monster die Menschen bedroht. Alien, Teufel – alles idiotisch? Eine Welt ohne Kapital wäre nicht vorstellbar.

Doch inwieweit darf man es sich selbst überlassen? Im Schutz der Konzerne hat sich das Großkapital der politischen Steuerung weitgehend entzogen, indem es das ohnehin kümmerliche Instrumentarium der nationalen Regierungen in seiner Wirkung paralysiert und ganze Entscheidungsebenen korrumpiert. Das System der Sozialen Marktwirtschaft wird aufgerieben, bevor wir es richtig bemerkt haben. Im internationalen Maßstab zeichnen sich überhaupt keine handlungsfähigen Korrektive ab – unter der US-Fuchtel ist und bleibt die UNO eine Schwatzbude, die mit zahlreichen Blauhelm-Einsätzen über ihre faktische Ohmacht hinweg agiert. Auch Internationaler Währungsfonds, FED, OECD und GATT bleiben sehr zweifelhafte Institutionen auf dem Parkett der Weltpolitik.

Das wäre ein sinnvoller Lehrstuhl: nämlich die Auswirkungen des verwilderten Großkapitals auf die Menschheit und deren Zukunft zu analysieren, bloß: Allein der öffentlich formulierte Vorsatz, eine wissenschaftlich seriöse Kapitalwirtschaftslehre auf breiter Basis einzuführen, würde bereits einen Entrüstungssturm auslösen – man würde Zeter und Mordio schreien und in jeder Ecke perfide Kommunisten entdecken. Die Wahrheit wird geschickt verborgen. Wer Antworten sucht, wird also an den Universitäten bestimmt nicht fündig. Da beten nur Scharen von ehrgeizigen Studenten die ewigen Litaneien der Mikro- und Makroökonomie herunter und träumen davon, Trainee zu werden.

Dass man diesen Spezial-Teufel nicht mit dem Beelzebub Sozialismus austreiben kann, ist nur dann eine nützliche Erkenntnis, wenn man es nicht einfach dabei bewenden lässt. Wir stehen vor einem Handlungsvakuum globalen Ausmaßes. Wir haben es mit einem heimtückischen Gegner zu tun, dessen Feindseligkeit viele Menschen nicht wahrhaben wollen. Hier fiele den Medien eine gewaltige Aufgabe zu, sofern sich bei ihnen jemals wieder die Bereitschaft dazu ausbildet, trotz wirtschaftlicher Abhängigkeiten das Weiterdenken öffentlich attraktiv zu machen. Wenn es gelänge, eine stabile öffentliche Streitkultur über die Zukunft zu etablieren, wäre schon einiges gewonnen.