„America-Bashing“ bedeutet in etwa „Auf die USA einschlagen“ – der Begriff fasst als Negativ-Slogan eine heftige Kritik an den Vereinigten Staaten zusammen, die auf unterschiedliche Art weltweit anzutreffen ist, zum Beispiel in Mittel- und Südamerika, wo der „Gringo“ als Synonym für das böse Nordamerika Tradition hat. Auch in Europa wurde das America-Bashing zu einem stehenden Begriff, hier allerdings auch zu einem Schlagwort für die Konservativen, um den hartnäckigen Antiamerikanismus pauschal zu verdammen. Damit stellt sich die Frage, wieviele Deutsche ernsthaft antiamerikanisch eingestellt sind – die Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn das deutsche Bild von den USA erscheint differenziert und diffus zugleich. Eine Tatsache sticht dabei hervor: Kein anderes Land auf der Erde hat für die Deutschen einen so hohen Stellenwert wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Deutschen sind auf dieses Land fixiert – zuerst kommen die USA, dann kommt lange Zeit nichts, und erst danach tauchen im Bewusstsein Länder wie Italien, Frankreich oder Großbritannien auf.

Bei Spekulationen ist Vorsicht geboten, aber man kann davon ausgehen, dass mindestens Hälfte der Deutschen ein vages Unbehagen gegenüber den USA verspürt, dass jedoch höchstens ein Fünftel der Deutschen die amerikanische Politik klar ablehnt. Die Mainstream-Medien haben die Aufgabe, die ausgeprägte Reserviertheit gegenüber den Vereinigten Staaten zu zerstreuen, die Berichterstattung wird seit Jahrzehnten von gezielter Oberflächlichkeit bestimmt, von Zurückhaltung, von Wankelmut, vom Weglassen wichtiger Ereignisse und allgemein von zu großzügigen Kompromissen beim Einordnen der Aktivitäten auf der anderen Seite des Atlantik. Für alle deutschen Leitmedien verbietet sich zu pointierte Kritik an den USA, sie ist politisch unerwünscht. Das löst einen Nebeneffekt aus: Weil die USA-Kritik in der etablierten Öffentlichkeit sehr moderat bleibt, fällt sie in den kaum kontrollierbaren Medien wie dem Internet häufig umso spektakulärer aus. Und die deutsche Kritik wird auch in den privaten Gesprächen zunehmend härter – Amerikaner würden den Jargon wahrscheinlich als skandalös empfinden.

Bei den Deutschen hat sich eine wachsende Diskrepanz in der Wahrnehmung der Vereinigten Staaten verfestigt, eine grundlegend unterschiedliche Sicht: Offiziell wird Freundschaft gepflegt, sie soll makellos aussehen wie die Glasfassade eines Hochhauses, modern und imposant – doch inzwischen verstärken sich auch die abwehrenden Gefühle in den Köpfen. Auf viele Deutsche wirkt die optimistische Dauerbeschallung kakophonisch, viele empfinden sie als penetrant und strapaziös, weil die Demutsrituale gegenüber dem mächtigen Partner nicht selten in Selbstverleugnung ausarten. Es kann deshalb kaum überraschen, dass eine Minderheit sogar ihren Hass auf die USA pflegt. Die Polarisierung erschwert eine Diskussion über die bilaterale Befindlichkeit aus der deutschen Perspektive – Ähnliches gilt umgekehrt für die USA, mit dem Unterschied, dass dort dem Problem in der Öffentlichkeit nur sehr wenig Bedeutung zukommt. Deutschland ist für die Amerikaner ein kleines Land, für die Deutschen dagegen ist Amerika ein Überriese. Wo aber liegen die Gefahren der durch Glattbügeln verplatteten Kommunikation in den beiden Ländern selbst und zwischen ihnen? In einer für die Zukunft folgenreichen Fehleinschätzung und Fehlentwicklung des transatlantischen Bündnisses.

Aktuell wird in Deutschland die Ausspähungskrise durchgehechelt. Die Bevölkerung interessiert sich nur mäßig für das Thema, weil es seine Bedeutung nicht richtig einschätzen kann. Das Spektakel mutet fast an wie ein Sommertheater: USA, NSA, Prism, XKeyscore, Tempora, Snowden… Snowden belegt, dass die ganze Welt von Amerika & Co ausspioniert wird, Snowden behauptet weiterhin, dass die Bündnisstaaten nicht nur davon Kenntnis haben, sondern auch fleißig dabei mitmachen, die Deutschen sowieso – und Snowden muss es wissen. Vielleicht weiß er sogar noch mehr. Nach Julian Assange und Bradley Manning hat Edward Snowden als dritter Whistleblower einen regelrechten KO-Schlag auf die Nase von Uncle Sam plaziert: Die Vereinigten Staaten sind angezählt, sie drohen die Orientierung zu verlieren, sie wollen ihre Argumentationsschwäche mit einem Achselzucken überspielen und laufen dabei Gefahr, sich in patriotischer Arroganz zu verkrampfen. Edward Snowden hat sein Heimatland kalt erwischt – wobei? Bei dem Versuch einer globalen Inbesitznahme der Privatheit durch umfassende Nachrichtenkontrolle.

Der Versuch wird ohne Einschränkungen fortgesetzt, trotz Snowden. Bis auf weiteres lässt sich dieser Prozess nicht mehr stoppen, es ist der erste großangelegte Feldzug der USA in einem selbst erklärten Cyber-Krieg gegen alle möglichen Feinde. Wegen des Mangels an anderen Feinden müssen vorläufig die Terroristen herhalten – wenn, was zu hoffen ist, der Terrorismus einmal besiegt sein sollte, dann könnte es für die Amerikaner mit dem feindlichen Nachschub schwierig werden. Die Formulierung mag bombastisch klingen, doch es geht den Amerikanern um eine neue Form der Weltherrschaft. Interessant sind im Prinzip alle und alles. Als verdächtig gelten Menschen und Unternehmen, die etwas zu verbergen haben – weil naturgemäß alle etwas zu verbergen haben, zum Beispiel ihr Privatleben, besteht die ganze Welt für die Amerikaner im Wesentlichen aus potentiellen Gegnern, aus generell Verdächtigen. Geführt wird dieser Krieg hauptsächlich von zu Hause aus, von einem riesigen Gebäudekomplex aus, in Fort Meaden im US-Bundesstaat Maryland, man nennt diesen Ort auch „Cryptocity“. Myriarden Datensätze werden dort gesammelt, sie werden mit einer raffinierten Software elektronisch ausgewertet und gegebenenfalls archiviert, von etwa 40.000 Mitarbeitern, auf einer Bürofläche so groß wie etwa 300 Fußballfelder, bei einem Etat von über 10 Milliarden Dollar. Das ist die Dimension dieses Krieges, das ist die Dimension der Bedrohung.

Man muss vorläufig mit der Überwachung leben – der Widerstand dagegen ist zum Scheitern verurteilt, er wird sich in faulen Kompromissen auflösen und mit der Vergabe von Placebos. In Deutschland wird man zur Beruhigung der Bevölkerung moderate Beschränkungen bei den Ausspähungsmöglichkeiten durch die Geheimdienste festlegen, doch sie sind nicht mehr wert als das Papier auf dem sie geschrieben stehen. Die Fakten diktieren die Realität: Wenn den Geheimdiensten die breite Datenbasis per Gesetz entzogen wird, dann verlieren sie praktisch ihre Arbeitsgrundlage. Denn der unüberschaubare Datenfluss lässt sich nicht im Vorwege nach unterschiedlichem Gefährdungspotential kanalisieren – die Selektion von sicherheitsrelevanten Datensätzen aus den Unmengen der theoretisch zu schützenden privaten Datensätze ist ein Widerspruch in sich selbst, weil Selektion zwangsweise immer Sichtung voraussetzt. Das hört sich deprimierend an… trotzdem hat der Überwachungswahn der Amerikaner aus der deutschen Perspektive auch sein Gutes: Zum ersten Mal stehen die vermeintlich unantastbaren deutsch-amerikanischen Beziehungen grundsätzlich zur Disposition, weil sich viele Deutsche von den Vereinigten Staaten angegriffen fühlen – hier zeigt sich eine neue Distanz, die noch zunehmen könnte, wenn die Bundesregierung nur rhetorische Zugeständnisse macht und sich faktisch über den Datenschutz hinwegsetzt.

Mehr Distanz zu den USA fürchtet unser politisches Establishment wie der Teufel das Weihwasser. Die mächtigen Politiker hierzulande, die meisten Wirtschaftsführer und andere wichtige Entscheider leben wie in einer Symbiose mit Nordamerika. Die Freundschaft mit den USA ist keine Freundschaft, sie ist in Wahrheit die bestimmende, weit über die Politik hinaus wirkende deutsche Doktrin der Nachkriegszeit bis zum heutigen Tag. In diesem Zusammenhang wird viel über die „Bilderberger“ spekuliert, über diesen geheimnisumwobenen transatlantischen Club, der sich im Jahr 1954 im niederländischen Oosterbeek gründete, wo man sich zum ersten Mal im „Hotel de Bilderberg“ traf – die erlauchten Clubmitglieder pflegen bei ihren Zusammenkünften nicht nur das europäisch-amerikanische Bündnis, sondern sie machen sich auch Gedanken darüber, wie man die kapitalistische Weltordnung erhalten und festigen kann. Allerdings wird der tatsächliche Einfluss dieser Gruppe auf die Politik überschätzt, sie bildet nicht das legendäre anonyme Zentrum der westlichen Macht, so wie es sich manche Kapitalismus-Kritiker vorstellen. Die Bilderberger sind auch weniger ein transatlantischer Thinktank, sondern nicht mehr als eine schillernde Gesprächsrunde mit halbstaatlichem Anstrich, die alle Jahre wieder in einem Nobelhotel stattfindet. Die meisten Teilnehmer sitzen am Katzentisch der politischen Macht, es sind vornehmlich eher primitive Ehrgeizlinge, die sich von der Atmosphäre angezogen fühlen und der Täuschung erliegen, zum exklusiven Kreis der Weltlenker zu gehören. Nicht die paar Bilderberger prägen das Verhältnis von Deutschland und den USA – es sind tausende Führungskräfte aus allen Bereichen, die eine streng amerikakonforme Machtelite stellen und deren strukturierende Kraft zusammen gewaltig ist.

Fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Deutschland seine staatliche Souveränität immer noch nicht vollends wiedergewonnen. Der völkerrechtliche und der formaljuristische Status Deutschlands weisen nach wie vor gewisse Beschränkungen durch drei der vier Siegermächte auf, nur Russland hat alle diesbezüglichen Ansprüche aufgegeben – im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika, die weiterhin historische Vorrechte in Deutschland aufrechterhalten. Die Einzelheiten sind nicht unkompliziert, sie führen im Ergebnis zu dem Tatbestand, dass hier ein nationaler Nachholbedarf vorliegt, der jedoch aus Opportunitätserwägungen gegenüber den USA von der deutschen Politik nicht formuliert und tatsächlich unterdrückt wird. Es herrscht keine Transparenz, und offensichtlich soll auch keine geschaffen werden. Das sind, selbst wenn man keinen nationalistischen Verirrungen anhängt, für einen gewöhnlichen Deutschen inakzeptable Zustände. Man muss staatliche Souveränität nicht unterschwellig mit Schuld und mit völkischem Ballast beschweren, so wie es immer noch den nachkriegsdeutschen Krampf-Reflexen entspricht – man kann das Bewusstsein, Teil eines souveränen Staates zu sein, auch als Bestätigung seiner eigenen Entscheidungsfreiheit begreifen, was allerdings voraussetzt, mitentscheiden zu wollen.

Die Menschheit sieht sich mehreren Problemen von globalem Ausmaß ausgesetzt, die schlimmstenfalls kollektiv existenzbedrohend werden könnten. Diese Tatsache muss im Hinblick auf die zukünftige Ausgestaltung der deutsch-amerikanischen Beziehungen viel stärker berücksichtigt werden. Deutschland kann sich nicht dauerhaft im Schatten der führenden Welt-Großmacht um die Übernahme von mehr Verantwortung herumdrücken, in dem Wissen, dass sich diese Großmacht anschickt, die drängenden Probleme weitgehend zu ignorieren und dafür die ökonomische Globalisierung nach kapitalistischem Muster in ihrem Sinne durchzusetzen, auch mit der Gewalt ihrer Militärmacht, die allen anderen Ländern zusammen haushoch überlegen ist. Deutschland darf sich nicht mit der Rolle eines Zuhelfers der USA zufriedengeben – das käme einem moralischen Offenbarungseid gleich. Eine Erwerbsgesellschaft ohne Ethos verliert mit seiner sozialen Integrität zuletzt auch ihren zum Götzen gewordenen materiellen Wohlstand, es ist nur eine Frage der Zeit.

Die Vereinigten Staaten von Amerika befinden sich auf einem merkwürdigen Weg ins Nirgendwo – dieses große und zum Teil auch großartige Land definiert für sich kein benennbares gesellschaftliches Existenzziel über Schlagworte wie Freiheit und Patriotismus hinaus. Anstatt brauchbare Zukunftsvisionen für alle Menschen zu produzieren, provoziert Amerika ein weltweites Desaster in der vagen Hoffnung, das Desaster als stärkste Weltmacht am besten zu überleben. Das kann kein Konzept sein, bei dem Deutschland kopflos mitzieht. Deutschland muss zusammen mit Europa den Versuch wagen, auf die USA konstruktiv, bedächtig, aber konsequent einzuwirken. Eine wirkliche Freundschaft, auch von Staaten, muss Belastungen aushalten. Die Belastungsproben sind da, sie sind akut und setzen Handlungsbedarf. Es wäre aber fatal kurzsichtig, das transatlantische Bündnis einseitig aufkündigen zu wollen – denn ohne die USA könnte nicht ein einziges Weltproblem auch nur ansatzweise gelöst werden, das vergessen die kompromisslosen USA-Kritiker allzu schnell – es geht darum, die Abhängigkeit Deutschlands allmählich in eine alternative Partnerschaft zu überführen, in die Deutschland seine Interessen selbstbewusst einbringen kann. Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine gemeinsame Zukunft, doch nur wenn sich beide den Herausforderungen der Zukunft offen stellen. Am Turbo-Kapitalismus bedenkenlos festzuhalten, bedeutet im Endeffekt nichts anderes, als die Routine der ökonomischen Versessenheit bis ins Uferlose fortzuschreiben – das Uferlose wäre die Katastrophe.

– aufgeschrieben im Juli 2013