2. Oktober 2013:
Und morgen die ganze Welt
Manchmal bin ich richtig ratlos, wenn ich in alten Büchern herumkrame, darunter vorzugsweise in Gedichtbänden, man erkennt sie schon beim Anschauen, sie sind dünn, die meisten offensichtlich ungelesen, oder aber sie haben durch das viele Lesen gelitten… gelitten? Nein, eher sind sie zu ihrem Recht gekommen, ein erkennbar gelesenes Buch finde ich eigentlich viel schöner als ein makelloses. Es gibt merkwürdige Hobbys: Ein Bekannter von mir, der auf dem Land wohnt und viel überdachten Platz hat, kauft neben alten Traktoren umzugs- und bananenkartonweise alte Bücher, jeweils für ein paar Euro, er hat sogar schon einmal einen ganzen Lastwagenanhänger voller Bücherkartons mit einem seiner Trecker angeschleppt, für 200 Euro – übrigens besitzt der Bekannte inzwischen schon über 180 Exemplare des Romans „Und Jimmy ging zum Regenbogen“ von Johannes Mario Simmel, Leinen oder Taschenbuch, alles ein Preis, bloß keine Käufer. In der Regel stammen die Bücher aus Wohnungsauflösungen, von alten Menschen, die gestorben sind, für deren Nachlass sich niemand mehr interessiert, auch nicht die Kinder, es sei denn, es handelt sich um Wertvolles, um etwas das man zu Geld machen kann.
Professionelle Wohnungsauflöser sind, wie ich selbst erfahren habe, nicht selten verdächtige Gestalten, sie raffen alles Verkäufliche an sich und schmeißen den Rest rigoros weg – so landen die Toten auf dem Friedhof und ihre Existenz auf dem Müll. Die Endreiniger gelebter Leben misstrauen Büchern, denn sie können nicht erkennen, welche der Bücher möglicherweise einen Wert haben, und außerdem würde es viel Zeit kosten, alle genauer zu sichten – deshalb gehen sie ebenso holzschnittartig wie gleichermaßen goldschnittartig zu Werk: Was gediegen aussieht, wird pauschal behalten – Sammlungen, Fachliteratur, Prunkbände, aufwändige Bildbände und sehr alte Bücher. Bei diesen Maßstäben fällt Lyrik meistens durch den Rost, sie ist für die Tonne, eine schlimme, doch für mich nicht ungünstige Praxis.
In älteren Gedichtbändchen stößt man häufig auf Widmungen, besonders in der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, also in einer Zeit, die auch die nationalsozialistisch gelenkte Literatur umfasst. Es muss damals eine andere, eine persönlichere Beschenkungskultur vorgeherrscht haben – man schenkte sich gegenseitig gerne Bücher, und das im Vergleich zu heute gezielter, liebevoller, mit Hintergedanken oder auch mit gewissen Erwartungen. Die Nazi-Schriftsteller werden heute ausgeblendet, tatsächlich schamhaft, denn gerade die wahnhaften lyrischen Ergüsse, die der Nationalsozialismus hervorbrachte, geben Anlass zur Scham, und nicht nur das, sie zeigen, wie die Deutschen damals getickt haben und wie wahrscheinlich viele von ihnen heute noch ticken. Man soll sich nichts vormachen: Es gibt keine schlagartigen Brüche in der Generationenabfolge durch ein erschütterndes Ereignis, sie bleibt kontinuierlich, Katastrophen ändern keine Charaktere – Katharsis ist eine Illusion, sie funktioniert nur in den Sonntagsreden, und die massenhaft über unsere (deutschen) Häupter gestreute Asche verweht im eisigen Wind der Gegenwart. Man kann nicht einerseits stolz an Traditionen anknüpfen, man kann nicht mehr locker teutonische Rumtata-Rituale zelebrieren – und andererseits eine Tradition unvergleichlicher Menschenverachtung für nichtig erklären, so als hätte sie es nie gegeben. Das einzig Gnädige ist der Mantel der Geschichte, er deckt auf Dauer alles zu, langsam, aber verlässlich. Im Vertrauen darauf muss man mit offenen Augen zurückschauen und sich als Deutscher erschauernd vorzustellen versuchen, was alles in einem steckt… tröstlich ist dabei nur, dass auch andere Völkerschaften von insofern schlechten Eltern sind.
Es zittern die morschen Knochen
Es zittern die morschen Knochen
Der Welt vor dem roten Krieg.
Wir haben den Schrecken gebrochen,
Für uns wars ein großer Sieg.
Wir werden weitermarschieren,
Wenn alles in Scherben fällt,
Denn heute gehört uns Deutschland
Und morgen die ganze Welt.
Und liegt vom Kampfe in Trümmern
Die ganze Welt zuhauf,
Das soll uns den Teufel kümmern,
Wir bauen sie wieder auf.
Und mögen die Alten auch schelten,
Wir lassen sie toben und schrein,
Und stemmen sich gegen uns Welten,
Wir werden doch Sieger sein.
Wir werden weitermarschieren,
Wenn alles in Scherben fällt,
Denn heute gehört uns Deutschland
Und morgen die ganze Welt
von Hans Baumann (1914-1988) – der Nazi-Dichter schlechthin, Herausgeber und Mitautor des
Soldatenliederbuches „Morgen marschieren wir“, das vom Oberkommando der Wehrmacht in Auftrag gegeben worden war. Baumann geriet in russische Gefangenschaft, wurde freigelassen und avancierte in der Nachkriegszeit zu einem bekannten Verfasser von Jugendbüchern und Volksliedern, viele von ihn wurden ohne weiteres in deutsche Schulbücher aufgenommen. Er erhielt anerkannte Literaturpreise, darunter im Jahr 1959 den „Gerhart-Hauptmann-Preis“ der Berliner freien Volksbühne für das Drama „Im Zeichen der Fische“ – dieser Preis wurde ihm allerdings nach einer öffentlichen Kontroverse über seine Nazi-Vergangenheit wieder aberkannt. Hans Baumann beteuerte wiederholt, dass er sich während seiner Gefangenschaft von Nationalsozialismus distanziert habe… er starb friedlich als wohlgeschätzter Bürger.
Braune Kolonne
Da braun an braun Kolonnen ziehn,
Ihr Marschtritt hämmert sich dir ein.
Du weißt, du kannst nicht mehr entfliehn,
Du wirst doch morgen bei uns sein.
Ein Lied erklingt, du summst es mit,
Wie gerne fielst du jubelnd ein!
Du gehst schon nebenher im Schritt,
So komm, so komm, und reih dich ein!
Bist jung wie wir, bist deutsch wie wir,
Von gleichem Blut und Geist!
Die Straße führt zu Hitler hier,
Der alle mit sich reißt!
Ja, braun an braun Kolonnen ziehn,
Ihr Marschtritt hämmert sich schon ein,
Es kann nicht einer mehr entfliehn,
Ganz Deutschland bald zieht hinterdrein!
von Herybert Menzel, geboren 1906, gefallen 1945
Dem Führer
Das ist die Wahrheit, die mich Dir verband:
Ich suchte Dich und fand mein Vaterland.
Ich war ein Blatt im unbegrenzten Raum,
Nun bist Du Heimat mir und bist mein Baum.
Wärst Du nicht Kraft, die von der Wurzel rinnt,
Verginge ich, wie weit verweht, im Wind.
Ich glaub an Dich, denn Du bist die Nation,
Ich glaub an Deutschland,
Weil Du Deutschlands Sohn
von Baldur von Schirach
Vorwärts! Vorwärts! schmettern die hellen Fanfaren (Lied)
Vorwärts! Vorwärts!
Schmettern die hellen Fanfaren,
Vorwärts! Vorwärts!
Jugend kennt keine Gefahren.
Deutschland, du wirst leuchtend stehn
Mögen wir auch untergehn.
Vorwärts! Vorwärts!
Schmettern die hellen Fanfaren,
Vorwärts! Vorwärts!
Jugend kennt keine Gefahren.
Ist das Ziel auch noch so hoch,
Jugend zwingt es doch.
Jugend! Jugend!
Wir sind der Zukunft Soldaten.
Jugend! Jugend!
Träger der kommenden Taten.
Ja, durch unsre Fäuste fällt
Wer sich uns entgegenstellt
Jugend! Jugend!
Wir sind der Zukunft Soldaten.
Jugend! Jugend!
Träger der kommenden Taten.
Führer, wir gehören dir,
Wir Kameraden, dir!
Uns’re Fahne flattert uns voran.
In die Zukunft ziehen wir Mann für Mann
Wir marschieren für Hitler
Durch Nacht und durch Not
Mit der Fahne der Jugend
Für Freiheit und Brot.
Uns’re Fahne flattert uns voran,
Uns’re Fahne ist die neue Zeit.
Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit!
Ja die Fahne ist mehr als der Tod!
von Baldur von Schirach (1907-1974) – Reichsjugendführer der NSDAP, fanatischer Hitler-Bewunderer, organisierte als Gauleiter die Deportation von hunderttausenden Juden, wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, kam 1966 frei und gab dann in Deutschland ungestört seine Memoiren heraus, Titel: „Ich glaubte an Hitler“.
Professionelle Entsorger sind gegenüber einem Verstorbenen und seinen Schätzen in aller Regel vollkommen respektlos.
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Baldur von Schirach sollte wissen, dass Hitler in Braunau am Inn in Österreich/Ungarn geboren wurde, was natürlich seine besonderen deutschen Taten nicht relativiert.
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…..Von der Etsch bis an den Belt (….)
Du Idiot !
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„…durch unsre Fäuste fällt wer sich uns entgegenstellt…“
So eine gequirlte Scheisse müsste eigentlich zu allen Zeit als solche erkannt worden sein!
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Im Tenor ändern sich ihre pseudo-hero Sprüche niemals. Heute rennen diese neuronenfreien Hirnies bei Pegida rum.
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